Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.Die Spinnstube, chen. Vielleicht wäre es ihm auch eine Zeitlang geglückt,wenn nicht das charmante Rädgen mit einer unendlichen Menge Berloquen wäre gezieret gewesen. Sie wußte zwar die Geschichte ihres Ursprungs, und zu welchem Ende der Gott der Liebe diese kleinen Siegeszeichen erfunden hatte, nicht. Allein sie sahe doch ganz wohl ein, daß dieser über- flüßige Zierrath ein kleiner Spott über ihre ehmaligen Grund- sätze seyn solte. Indessen schwieg sie und spann. Arist aber machte Knöttgen. Kaum aber war ein Monat und mit diesem die Neuig- Die Scene, welche hierauf erfolgte, ist zu rührend um eine
Die Spinnſtube, chen. Vielleicht waͤre es ihm auch eine Zeitlang gegluͤckt,wenn nicht das charmante Raͤdgen mit einer unendlichen Menge Berloquen waͤre gezieret geweſen. Sie wußte zwar die Geſchichte ihres Urſprungs, und zu welchem Ende der Gott der Liebe dieſe kleinen Siegeszeichen erfunden hatte, nicht. Allein ſie ſahe doch ganz wohl ein, daß dieſer uͤber- fluͤßige Zierrath ein kleiner Spott uͤber ihre ehmaligen Grund- ſaͤtze ſeyn ſolte. Indeſſen ſchwieg ſie und ſpann. Ariſt aber machte Knoͤttgen. Kaum aber war ein Monat und mit dieſem die Neuig- Die Scene, welche hierauf erfolgte, iſt zu ruͤhrend um eine
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0072" n="54"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Die Spinnſtube,</hi></fw><lb/> chen. Vielleicht waͤre es ihm auch eine Zeitlang gegluͤckt,<lb/> wenn nicht das charmante Raͤdgen mit einer unendlichen<lb/> Menge Berloquen waͤre gezieret geweſen. Sie wußte zwar<lb/> die Geſchichte ihres Urſprungs, und zu welchem Ende der<lb/> Gott der Liebe dieſe kleinen Siegeszeichen erfunden hatte,<lb/> nicht. Allein ſie ſahe doch ganz wohl ein, daß dieſer uͤber-<lb/> fluͤßige Zierrath ein kleiner Spott uͤber ihre ehmaligen Grund-<lb/> ſaͤtze ſeyn ſolte. Indeſſen ſchwieg ſie und ſpann. Ariſt aber<lb/> machte Knoͤttgen.</p><lb/> <p>Kaum aber war ein Monat und mit dieſem die Neuig-<lb/> keit voruͤber, ſo fuͤhlete Ariſt ſelbſt die ganze Schwere dieſer<lb/> langweiligen Taͤndeley. Laͤngſt hatte er eingeſehen, daß<lb/> nichts als nuͤtzliche Arbeit die Zeit verkuͤrzen, und ein dauer-<lb/> haftes Vergnuͤgen erwecken koͤnnte; Allein dieſe ſeine Erkennt-<lb/> niß war unter dem Geraͤuſch jugendlicher Luſtbarkeiten ver-<lb/> ſchwunden; jetzt verwandelte ſie ſich aber in eine lebhafte<lb/> Ueberzeugung, da die Noth ſich bey ihm als ein ernſthafter<lb/> Sittenlehrer einſtellte. Er fing alſo an Selinden offenherz-<lb/> und zaͤrtlich zu geſtehen, wie es wohl ſchiene, daß ſie Recht<lb/> behalten wuͤrde......</p><lb/> <p>Die Scene, welche hierauf erfolgte, iſt zu ruͤhrend um<lb/> ſie zu beſchreiben. Es iſt genug zu wiſſen, daß Selinde den<lb/> Sieg, und eine ganz neue Spinnſtube erhielt; woraus ſie,<lb/> wie zuvor, ihre ganze Haushaltung regieren konnte. Nur<lb/> wolte Ariſt nicht, daß ſie Eingangs zur linken liegen ſolte,<lb/> weil er hier ſeinen Saal behalten, und die Damen ſo ihn be-<lb/> ſuchten, wie im Menuet, von der rechten zur linken fuͤhren<lb/> wollte. Dies war leicht eingeraͤumt; und jedermann weis<lb/> daß ſie beyde unter Raͤdern und Kindern ein ſehr hohes und<lb/> vergnuͤgtes Alter erreichet haben. Man ſagt dabey, daß die<lb/> damalige Landesfuͤrſtin ihnen die Ehre erwieſen, ſie in der<lb/> Spinnſtube zu beſuchen; und daß ſie zum Andenken derſelben<lb/> <fw place="bottom" type="catch">eine</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [54/0072]
Die Spinnſtube,
chen. Vielleicht waͤre es ihm auch eine Zeitlang gegluͤckt,
wenn nicht das charmante Raͤdgen mit einer unendlichen
Menge Berloquen waͤre gezieret geweſen. Sie wußte zwar
die Geſchichte ihres Urſprungs, und zu welchem Ende der
Gott der Liebe dieſe kleinen Siegeszeichen erfunden hatte,
nicht. Allein ſie ſahe doch ganz wohl ein, daß dieſer uͤber-
fluͤßige Zierrath ein kleiner Spott uͤber ihre ehmaligen Grund-
ſaͤtze ſeyn ſolte. Indeſſen ſchwieg ſie und ſpann. Ariſt aber
machte Knoͤttgen.
Kaum aber war ein Monat und mit dieſem die Neuig-
keit voruͤber, ſo fuͤhlete Ariſt ſelbſt die ganze Schwere dieſer
langweiligen Taͤndeley. Laͤngſt hatte er eingeſehen, daß
nichts als nuͤtzliche Arbeit die Zeit verkuͤrzen, und ein dauer-
haftes Vergnuͤgen erwecken koͤnnte; Allein dieſe ſeine Erkennt-
niß war unter dem Geraͤuſch jugendlicher Luſtbarkeiten ver-
ſchwunden; jetzt verwandelte ſie ſich aber in eine lebhafte
Ueberzeugung, da die Noth ſich bey ihm als ein ernſthafter
Sittenlehrer einſtellte. Er fing alſo an Selinden offenherz-
und zaͤrtlich zu geſtehen, wie es wohl ſchiene, daß ſie Recht
behalten wuͤrde......
Die Scene, welche hierauf erfolgte, iſt zu ruͤhrend um
ſie zu beſchreiben. Es iſt genug zu wiſſen, daß Selinde den
Sieg, und eine ganz neue Spinnſtube erhielt; woraus ſie,
wie zuvor, ihre ganze Haushaltung regieren konnte. Nur
wolte Ariſt nicht, daß ſie Eingangs zur linken liegen ſolte,
weil er hier ſeinen Saal behalten, und die Damen ſo ihn be-
ſuchten, wie im Menuet, von der rechten zur linken fuͤhren
wollte. Dies war leicht eingeraͤumt; und jedermann weis
daß ſie beyde unter Raͤdern und Kindern ein ſehr hohes und
vergnuͤgtes Alter erreichet haben. Man ſagt dabey, daß die
damalige Landesfuͤrſtin ihnen die Ehre erwieſen, ſie in der
Spinnſtube zu beſuchen; und daß ſie zum Andenken derſelben
eine
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |