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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

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Das Glück der Bettler.
drigen Classen der Menschen studirte, um sich in der komi-
schen Mahlerey fest zu setzen, und eine völlige Kenntniß vom
high Live below Stairs zu erhalten, führte mich dahin. Die
Magd, welche uns empfieng, setzte geschwind die Leiter an,
worauf wir herunter stiegen, und zog solche so gleich wieder
herauf, damit wir ihr ohne Bezahlung nicht entlaufen möch-
ten. Im Keller fanden wir zehn saubere Tische, woran
Messer und Gabel in langen Ketten hiengen. Man setzte
uns eine gute Rindfleisch Suppe; etwa vier Loth Rindfleisch
mit Senf; einen Erbsen-Pudding mit etwa 6 Loth Speck,
zwene Stück gutes Brod und 2 Gläser Bier vor; und vor
der Mahlzeit forderte die Wäscherin unser Hemd, um es wäh-
rend derselben zu waschen und zu trocknen; alles vor 21/2 Pence
oder 16 Pfennig unser Münze, mit Einschluß der Wäsche,
Doch diese Beschreibung im vorüber gehen. Am Sonntag
wird kein Hemd gewaschen; und dafür 1/2 Pfund gebratenes
Rindfleisch mit Kartoffeln zur Mahlzeit aufgesetzt.

In diesem Keller fanden wir uns in Gesellschaft der
Gassenbettler. Da wir uns vorher eine dazu schickliche Klei-
dung vom Trödelmarkte gemiethet hatten; so wurden wir
bald mit ihnen vertraut; und man that uns leicht die Ehre
zu glauben, daß wir Diebe oder Bettler aus einem andern
Kirchspiel wären. Allein wie sehr erstaunten wir nicht, als
wir die angenehme und unbekümmerte Lebensart dieser Bett-
ler erblickten.

Erstlich zählte ein jeder seinen Gewinnst vom Tage;
und besonders liessen sich die Blinden von zweyen andern
ihre Einnahme öffentlich und auf ihre Ehre zehlen, damit sie
von ihren Führerinnen nicht betrogen werden möchten. Es
war keiner unter ihnen, der nicht doppelt und dreymal so viel
erbettelt hatte, als der fleißigste Handwerksmann in einem

Tage
E 4

Das Gluͤck der Bettler.
drigen Claſſen der Menſchen ſtudirte, um ſich in der komi-
ſchen Mahlerey feſt zu ſetzen, und eine voͤllige Kenntniß vom
high Live below Stairs zu erhalten, fuͤhrte mich dahin. Die
Magd, welche uns empfieng, ſetzte geſchwind die Leiter an,
worauf wir herunter ſtiegen, und zog ſolche ſo gleich wieder
herauf, damit wir ihr ohne Bezahlung nicht entlaufen moͤch-
ten. Im Keller fanden wir zehn ſaubere Tiſche, woran
Meſſer und Gabel in langen Ketten hiengen. Man ſetzte
uns eine gute Rindfleiſch Suppe; etwa vier Loth Rindfleiſch
mit Senf; einen Erbſen-Pudding mit etwa 6 Loth Speck,
zwene Stuͤck gutes Brod und 2 Glaͤſer Bier vor; und vor
der Mahlzeit forderte die Waͤſcherin unſer Hemd, um es waͤh-
rend derſelben zu waſchen und zu trocknen; alles vor 2½ Pence
oder 16 Pfennig unſer Muͤnze, mit Einſchluß der Waͤſche,
Doch dieſe Beſchreibung im voruͤber gehen. Am Sonntag
wird kein Hemd gewaſchen; und dafuͤr ½ Pfund gebratenes
Rindfleiſch mit Kartoffeln zur Mahlzeit aufgeſetzt.

In dieſem Keller fanden wir uns in Geſellſchaft der
Gaſſenbettler. Da wir uns vorher eine dazu ſchickliche Klei-
dung vom Troͤdelmarkte gemiethet hatten; ſo wurden wir
bald mit ihnen vertraut; und man that uns leicht die Ehre
zu glauben, daß wir Diebe oder Bettler aus einem andern
Kirchſpiel waͤren. Allein wie ſehr erſtaunten wir nicht, als
wir die angenehme und unbekuͤmmerte Lebensart dieſer Bett-
ler erblickten.

Erſtlich zaͤhlte ein jeder ſeinen Gewinnſt vom Tage;
und beſonders lieſſen ſich die Blinden von zweyen andern
ihre Einnahme oͤffentlich und auf ihre Ehre zehlen, damit ſie
von ihren Fuͤhrerinnen nicht betrogen werden moͤchten. Es
war keiner unter ihnen, der nicht doppelt und dreymal ſo viel
erbettelt hatte, als der fleißigſte Handwerksmann in einem

Tage
E 4
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[71/0089] Das Gluͤck der Bettler. drigen Claſſen der Menſchen ſtudirte, um ſich in der komi- ſchen Mahlerey feſt zu ſetzen, und eine voͤllige Kenntniß vom high Live below Stairs zu erhalten, fuͤhrte mich dahin. Die Magd, welche uns empfieng, ſetzte geſchwind die Leiter an, worauf wir herunter ſtiegen, und zog ſolche ſo gleich wieder herauf, damit wir ihr ohne Bezahlung nicht entlaufen moͤch- ten. Im Keller fanden wir zehn ſaubere Tiſche, woran Meſſer und Gabel in langen Ketten hiengen. Man ſetzte uns eine gute Rindfleiſch Suppe; etwa vier Loth Rindfleiſch mit Senf; einen Erbſen-Pudding mit etwa 6 Loth Speck, zwene Stuͤck gutes Brod und 2 Glaͤſer Bier vor; und vor der Mahlzeit forderte die Waͤſcherin unſer Hemd, um es waͤh- rend derſelben zu waſchen und zu trocknen; alles vor 2½ Pence oder 16 Pfennig unſer Muͤnze, mit Einſchluß der Waͤſche, Doch dieſe Beſchreibung im voruͤber gehen. Am Sonntag wird kein Hemd gewaſchen; und dafuͤr ½ Pfund gebratenes Rindfleiſch mit Kartoffeln zur Mahlzeit aufgeſetzt. In dieſem Keller fanden wir uns in Geſellſchaft der Gaſſenbettler. Da wir uns vorher eine dazu ſchickliche Klei- dung vom Troͤdelmarkte gemiethet hatten; ſo wurden wir bald mit ihnen vertraut; und man that uns leicht die Ehre zu glauben, daß wir Diebe oder Bettler aus einem andern Kirchſpiel waͤren. Allein wie ſehr erſtaunten wir nicht, als wir die angenehme und unbekuͤmmerte Lebensart dieſer Bett- ler erblickten. Erſtlich zaͤhlte ein jeder ſeinen Gewinnſt vom Tage; und beſonders lieſſen ſich die Blinden von zweyen andern ihre Einnahme oͤffentlich und auf ihre Ehre zehlen, damit ſie von ihren Fuͤhrerinnen nicht betrogen werden moͤchten. Es war keiner unter ihnen, der nicht doppelt und dreymal ſo viel erbettelt hatte, als der fleißigſte Handwerksmann in einem Tage E 4

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/89>, abgerufen am 21.11.2024.