Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775.

Bild:
<< vorherige Seite

der Armen-Anstalten.
sonst haben müsse, weil die Versuchung zur Faulheit sonst zu
stark werden würde; und daß es besser sey, denjenigen, der
nur noch einzig und allein ein gesundes Auge übrig hat, sein
Brod durch eine ihm anvertrauete Aufsicht verdienen zu lassen,
als ihn auf dem Faulbette zu ernähren, will ich jetzt nichts er-
wehnen. Es ist bekannt genug; der Satz, worauf ich bauen
will, soll seyn, Armuth muß verächtlich bleiben.

Nur muß man mich wohl verstehen. Ein gesunder
fleißiger Mensch ist nie arm. Der Reichthum bestehet nicht
in Gelde sondern in Stärke, Geschicklichkeit und Fleiße. Diese
haben einen güldnen Boden; und verlassen einen nie; das
Geld sehr oft. In der letzten Erndte sahe ich die Frau eines
Heuermanns, deren Mann ein Hollands-Gänger ist, welche
selbst mähete und band, und ihr vierteljähriges Kind neben
sich in der Furche liegen hatte; wo es so geruhig als in der
besten Wiege schlief. Nach einer Weile warf sie muthig ihre
Sense nieder, setzte sich auf eine Garbe, legte das Kind an
die gesunde Brust und hieng mit einem zufriedenen und müt-
terlichen Blicke über den saugenden Knaben. Wie groß, wie
reich, dachte ich, ist nicht diese Frau? Zum mähen, binden,
säugen und Frau zu seyn, gehören sonst vier Personen. Aber
dieser ihre Gesundheit und Geschicklichkeit dienet für viere.
Die Natur zeigt hier eine homerische Allegorie für die Arbeit-
samkeit ohne Caylus und Winkelmann.

Wenn ich es also als ein Gesetz annehme, daß Armuth
schimpfen müsse; so bald sie nicht durch ein besonders Unglück
ehrlich gemacht wird: so verstehe ich darunter den Mangel,
der aus Ungeschicklichkeit und Faulheit entspringt; und mache
mit Fleiß dieses große Gesetz hart, weil wir von Natur ohne
hin weichherzig genug sind, mit jedem Armen ohne Unter-
suchung Mitleid zu haben; und unser Herz insgemein den
Verstand betriegt, wenn es aufs Wohlthun ankömmt. Das

Sprüch-

der Armen-Anſtalten.
ſonſt haben muͤſſe, weil die Verſuchung zur Faulheit ſonſt zu
ſtark werden wuͤrde; und daß es beſſer ſey, denjenigen, der
nur noch einzig und allein ein geſundes Auge uͤbrig hat, ſein
Brod durch eine ihm anvertrauete Aufſicht verdienen zu laſſen,
als ihn auf dem Faulbette zu ernaͤhren, will ich jetzt nichts er-
wehnen. Es iſt bekannt genug; der Satz, worauf ich bauen
will, ſoll ſeyn, Armuth muß verächtlich bleiben.

Nur muß man mich wohl verſtehen. Ein geſunder
fleißiger Menſch iſt nie arm. Der Reichthum beſtehet nicht
in Gelde ſondern in Staͤrke, Geſchicklichkeit und Fleiße. Dieſe
haben einen guͤldnen Boden; und verlaſſen einen nie; das
Geld ſehr oft. In der letzten Erndte ſahe ich die Frau eines
Heuermanns, deren Mann ein Hollands-Gaͤnger iſt, welche
ſelbſt maͤhete und band, und ihr vierteljaͤhriges Kind neben
ſich in der Furche liegen hatte; wo es ſo geruhig als in der
beſten Wiege ſchlief. Nach einer Weile warf ſie muthig ihre
Senſe nieder, ſetzte ſich auf eine Garbe, legte das Kind an
die geſunde Bruſt und hieng mit einem zufriedenen und muͤt-
terlichen Blicke uͤber den ſaugenden Knaben. Wie groß, wie
reich, dachte ich, iſt nicht dieſe Frau? Zum maͤhen, binden,
ſaͤugen und Frau zu ſeyn, gehoͤren ſonſt vier Perſonen. Aber
dieſer ihre Geſundheit und Geſchicklichkeit dienet fuͤr viere.
Die Natur zeigt hier eine homeriſche Allegorie fuͤr die Arbeit-
ſamkeit ohne Caylus und Winkelmann.

Wenn ich es alſo als ein Geſetz annehme, daß Armuth
ſchimpfen muͤſſe; ſo bald ſie nicht durch ein beſonders Ungluͤck
ehrlich gemacht wird: ſo verſtehe ich darunter den Mangel,
der aus Ungeſchicklichkeit und Faulheit entſpringt; und mache
mit Fleiß dieſes große Geſetz hart, weil wir von Natur ohne
hin weichherzig genug ſind, mit jedem Armen ohne Unter-
ſuchung Mitleid zu haben; und unſer Herz insgemein den
Verſtand betriegt, wenn es aufs Wohlthun ankoͤmmt. Das

Spruͤch-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0093" n="75"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Armen-An&#x017F;talten.</hi></fw><lb/>
&#x017F;on&#x017F;t haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, weil die Ver&#x017F;uchung zur Faulheit &#x017F;on&#x017F;t zu<lb/>
&#x017F;tark werden wu&#x0364;rde; und daß es be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ey, denjenigen, der<lb/>
nur noch einzig und allein ein ge&#x017F;undes Auge u&#x0364;brig hat, &#x017F;ein<lb/>
Brod durch eine ihm anvertrauete Auf&#x017F;icht verdienen zu la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
als ihn auf dem Faulbette zu erna&#x0364;hren, will ich jetzt nichts er-<lb/>
wehnen. Es i&#x017F;t bekannt genug; der Satz, worauf ich bauen<lb/>
will, &#x017F;oll &#x017F;eyn, <hi rendition="#fr">Armuth muß verächtlich bleiben.</hi></p><lb/>
        <p>Nur muß man mich wohl ver&#x017F;tehen. Ein ge&#x017F;under<lb/>
fleißiger Men&#x017F;ch i&#x017F;t nie arm. Der Reichthum be&#x017F;tehet nicht<lb/>
in Gelde &#x017F;ondern in Sta&#x0364;rke, Ge&#x017F;chicklichkeit und Fleiße. Die&#x017F;e<lb/>
haben einen gu&#x0364;ldnen Boden; und verla&#x017F;&#x017F;en einen nie; das<lb/>
Geld &#x017F;ehr oft. In der letzten Erndte &#x017F;ahe ich die Frau eines<lb/>
Heuermanns, deren Mann ein Hollands-Ga&#x0364;nger i&#x017F;t, welche<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t ma&#x0364;hete und band, und ihr viertelja&#x0364;hriges Kind neben<lb/>
&#x017F;ich in der Furche liegen hatte; wo es &#x017F;o geruhig als in der<lb/>
be&#x017F;ten Wiege &#x017F;chlief. Nach einer Weile warf &#x017F;ie muthig ihre<lb/>
Sen&#x017F;e nieder, &#x017F;etzte &#x017F;ich auf eine Garbe, legte das Kind an<lb/>
die ge&#x017F;unde Bru&#x017F;t und hieng mit einem zufriedenen und mu&#x0364;t-<lb/>
terlichen Blicke u&#x0364;ber den &#x017F;augenden Knaben. Wie groß, wie<lb/>
reich, dachte ich, i&#x017F;t nicht die&#x017F;e Frau? Zum ma&#x0364;hen, binden,<lb/>
&#x017F;a&#x0364;ugen und Frau zu &#x017F;eyn, geho&#x0364;ren &#x017F;on&#x017F;t vier Per&#x017F;onen. Aber<lb/>
die&#x017F;er ihre Ge&#x017F;undheit und Ge&#x017F;chicklichkeit dienet fu&#x0364;r viere.<lb/>
Die Natur zeigt hier eine homeri&#x017F;che Allegorie fu&#x0364;r die Arbeit-<lb/>
&#x017F;amkeit ohne Caylus und Winkelmann.</p><lb/>
        <p>Wenn ich es al&#x017F;o als ein Ge&#x017F;etz annehme, daß Armuth<lb/>
&#x017F;chimpfen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; &#x017F;o bald &#x017F;ie nicht durch ein be&#x017F;onders Unglu&#x0364;ck<lb/>
ehrlich gemacht wird: &#x017F;o ver&#x017F;tehe ich darunter den Mangel,<lb/>
der aus Unge&#x017F;chicklichkeit und Faulheit ent&#x017F;pringt; und mache<lb/>
mit Fleiß die&#x017F;es große Ge&#x017F;etz hart, weil wir von Natur ohne<lb/>
hin weichherzig genug &#x017F;ind, mit jedem Armen ohne Unter-<lb/>
&#x017F;uchung Mitleid zu haben; und un&#x017F;er Herz insgemein den<lb/>
Ver&#x017F;tand betriegt, wenn es aufs Wohlthun anko&#x0364;mmt. Das<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Spru&#x0364;ch-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0093] der Armen-Anſtalten. ſonſt haben muͤſſe, weil die Verſuchung zur Faulheit ſonſt zu ſtark werden wuͤrde; und daß es beſſer ſey, denjenigen, der nur noch einzig und allein ein geſundes Auge uͤbrig hat, ſein Brod durch eine ihm anvertrauete Aufſicht verdienen zu laſſen, als ihn auf dem Faulbette zu ernaͤhren, will ich jetzt nichts er- wehnen. Es iſt bekannt genug; der Satz, worauf ich bauen will, ſoll ſeyn, Armuth muß verächtlich bleiben. Nur muß man mich wohl verſtehen. Ein geſunder fleißiger Menſch iſt nie arm. Der Reichthum beſtehet nicht in Gelde ſondern in Staͤrke, Geſchicklichkeit und Fleiße. Dieſe haben einen guͤldnen Boden; und verlaſſen einen nie; das Geld ſehr oft. In der letzten Erndte ſahe ich die Frau eines Heuermanns, deren Mann ein Hollands-Gaͤnger iſt, welche ſelbſt maͤhete und band, und ihr vierteljaͤhriges Kind neben ſich in der Furche liegen hatte; wo es ſo geruhig als in der beſten Wiege ſchlief. Nach einer Weile warf ſie muthig ihre Senſe nieder, ſetzte ſich auf eine Garbe, legte das Kind an die geſunde Bruſt und hieng mit einem zufriedenen und muͤt- terlichen Blicke uͤber den ſaugenden Knaben. Wie groß, wie reich, dachte ich, iſt nicht dieſe Frau? Zum maͤhen, binden, ſaͤugen und Frau zu ſeyn, gehoͤren ſonſt vier Perſonen. Aber dieſer ihre Geſundheit und Geſchicklichkeit dienet fuͤr viere. Die Natur zeigt hier eine homeriſche Allegorie fuͤr die Arbeit- ſamkeit ohne Caylus und Winkelmann. Wenn ich es alſo als ein Geſetz annehme, daß Armuth ſchimpfen muͤſſe; ſo bald ſie nicht durch ein beſonders Ungluͤck ehrlich gemacht wird: ſo verſtehe ich darunter den Mangel, der aus Ungeſchicklichkeit und Faulheit entſpringt; und mache mit Fleiß dieſes große Geſetz hart, weil wir von Natur ohne hin weichherzig genug ſind, mit jedem Armen ohne Unter- ſuchung Mitleid zu haben; und unſer Herz insgemein den Verſtand betriegt, wenn es aufs Wohlthun ankoͤmmt. Das Spruͤch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/93
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 1. Berlin, 1775, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien01_1775/93>, abgerufen am 21.11.2024.