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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Gedanken über den westphäl. Leibeigenthum.
"sey. In der Welt kommt alles auf die Erbnutzung an,
"und die Gründe bleiben da liegen, wo sie seit der Schöp-
"fung gelegen haben. Den Verkauf freyer Güter kan man
"ebenfalls eine Abäußerung nennen. Ein Besitzer geht da-
"von ab und der andere wieder darauf. Hier nützen die
"Gläubiger das Geld; bey den Leibeignen nützen sie den
"Grund; und in der That kommen beyde gleich weit. Die
"Sache bleibt nur in unsern Begriffen unterschieden; und
"wenn wir von diesem philosophischen Begriffe des Grundeigen-
"thums 10 oder 20 pro Cent so oft erhielten, als eine zufäl-
"lige Veränderung mit der Erbnutzung vorgenommen würde:
"so dünkt mich könnten wir wohl zufrieden seyn, und we-
"nigstens besser als jetzt stehn."

Dies sind die Klagen der Gutsherrn; und man kan würk-
lich gerade zu nicht in Abrede seyn, daß selbige nicht vollkom-
men gegründet wären. Dennoch aber ist die Sache so leicht
nicht zu heben, wie sie sich solches vorstellen; und es gehöret
eine mühsame Entwickelung verschiedener Begriffe dazu, um
auf den rechten Punkt zu kommen. Unser Leibeigenthum ist
aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt. Es ist das selt-
samste Gemische was sich in der Rechtsgelehrsamkeit findet;
und wird durch neuere Begriffe noch immer mehr und mehr
verworren.

Der Gutsherr, sagt man, hatte ehedem das höchste Recht
über seinen Leibeignen; er konnte ihn tödten wenn er wollte;
der Leibeigne stellete keine Person vor; er hatte nichts eignes;
er war keines Rechts, keines Besitzes, keiner Erbnutzung
fähig. Die Gutsherrliche Willkühr war sein Gesetze. Heute
muste er diesen Acker pflügen, morgen einen andern. Hatte

er
G 3

Gedanken uͤber den weſtphaͤl. Leibeigenthum.
„ſey. In der Welt kommt alles auf die Erbnutzung an,
„und die Gruͤnde bleiben da liegen, wo ſie ſeit der Schoͤp-
„fung gelegen haben. Den Verkauf freyer Guͤter kan man
„ebenfalls eine Abaͤußerung nennen. Ein Beſitzer geht da-
„von ab und der andere wieder darauf. Hier nuͤtzen die
„Glaͤubiger das Geld; bey den Leibeignen nuͤtzen ſie den
„Grund; und in der That kommen beyde gleich weit. Die
„Sache bleibt nur in unſern Begriffen unterſchieden; und
„wenn wir von dieſem philoſophiſchen Begriffe des Grundeigen-
„thums 10 oder 20 pro Cent ſo oft erhielten, als eine zufaͤl-
„lige Veraͤnderung mit der Erbnutzung vorgenommen wuͤrde:
„ſo duͤnkt mich koͤnnten wir wohl zufrieden ſeyn, und we-
„nigſtens beſſer als jetzt ſtehn.„

Dies ſind die Klagen der Gutsherrn; und man kan wuͤrk-
lich gerade zu nicht in Abrede ſeyn, daß ſelbige nicht vollkom-
men gegruͤndet waͤren. Dennoch aber iſt die Sache ſo leicht
nicht zu heben, wie ſie ſich ſolches vorſtellen; und es gehoͤret
eine muͤhſame Entwickelung verſchiedener Begriffe dazu, um
auf den rechten Punkt zu kommen. Unſer Leibeigenthum iſt
aus lauter Widerſpruͤchen zuſammengeſetzt. Es iſt das ſelt-
ſamſte Gemiſche was ſich in der Rechtsgelehrſamkeit findet;
und wird durch neuere Begriffe noch immer mehr und mehr
verworren.

Der Gutsherr, ſagt man, hatte ehedem das hoͤchſte Recht
uͤber ſeinen Leibeignen; er konnte ihn toͤdten wenn er wollte;
der Leibeigne ſtellete keine Perſon vor; er hatte nichts eignes;
er war keines Rechts, keines Beſitzes, keiner Erbnutzung
faͤhig. Die Gutsherrliche Willkuͤhr war ſein Geſetze. Heute
muſte er dieſen Acker pfluͤgen, morgen einen andern. Hatte

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[101/0119] Gedanken uͤber den weſtphaͤl. Leibeigenthum. „ſey. In der Welt kommt alles auf die Erbnutzung an, „und die Gruͤnde bleiben da liegen, wo ſie ſeit der Schoͤp- „fung gelegen haben. Den Verkauf freyer Guͤter kan man „ebenfalls eine Abaͤußerung nennen. Ein Beſitzer geht da- „von ab und der andere wieder darauf. Hier nuͤtzen die „Glaͤubiger das Geld; bey den Leibeignen nuͤtzen ſie den „Grund; und in der That kommen beyde gleich weit. Die „Sache bleibt nur in unſern Begriffen unterſchieden; und „wenn wir von dieſem philoſophiſchen Begriffe des Grundeigen- „thums 10 oder 20 pro Cent ſo oft erhielten, als eine zufaͤl- „lige Veraͤnderung mit der Erbnutzung vorgenommen wuͤrde: „ſo duͤnkt mich koͤnnten wir wohl zufrieden ſeyn, und we- „nigſtens beſſer als jetzt ſtehn.„ Dies ſind die Klagen der Gutsherrn; und man kan wuͤrk- lich gerade zu nicht in Abrede ſeyn, daß ſelbige nicht vollkom- men gegruͤndet waͤren. Dennoch aber iſt die Sache ſo leicht nicht zu heben, wie ſie ſich ſolches vorſtellen; und es gehoͤret eine muͤhſame Entwickelung verſchiedener Begriffe dazu, um auf den rechten Punkt zu kommen. Unſer Leibeigenthum iſt aus lauter Widerſpruͤchen zuſammengeſetzt. Es iſt das ſelt- ſamſte Gemiſche was ſich in der Rechtsgelehrſamkeit findet; und wird durch neuere Begriffe noch immer mehr und mehr verworren. Der Gutsherr, ſagt man, hatte ehedem das hoͤchſte Recht uͤber ſeinen Leibeignen; er konnte ihn toͤdten wenn er wollte; der Leibeigne ſtellete keine Perſon vor; er hatte nichts eignes; er war keines Rechts, keines Beſitzes, keiner Erbnutzung faͤhig. Die Gutsherrliche Willkuͤhr war ſein Geſetze. Heute muſte er dieſen Acker pfluͤgen, morgen einen andern. Hatte er G 3

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/119>, abgerufen am 24.11.2024.