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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Gedanken über den westphäl. Leibeigenthum.
er Pferde: so muste er so weit damit fahren, als der Guts-
herr wollte, nicht wöchentlich sondern täglich, und so weit
die Pferde ziehen wollten. Wenn der Gutsherr etwas
schenkte, versprach oder bewilligte: so konnte er es morgen
wiederrufen. Der Leibeigne konnte gar nicht klagen. Er
war echt- und rechtlos, und nichts als das öffentliche Mitleid
oder die Religion bauete zuerst eine Säule, bey welcher der
Leibeigne gegen eine übertriebene Grausamkeit seines Herrn
Schutz finden konnte. So war der Leibeigenthum bey den
Römern; so soll er noch im Mecklenburgschen und in Liefland
seyn; und so muß er überall nach rechtlichen Begriffen zuerst
angenommen werden.

Aber nun kömmt der Gegensatz: Dieser Leibeigne saß oder
wohnte in Bezirken, so wie er noch jetzt im Mecklenburg-
schen und Liefländischen darinn wohnt; nicht aber auf Höfen
die zur gemeinen Vertheidigung ohne Mittel gezogen wer-
den, und deren Besitzer dem Aufgebot der Landesobrigkeit
folgen müssen. Der Gutsherr ist dort selbst steuerbar, wo
jene Art von Leibeigenthum eingeführt ist. Das ist er in
Mähren und Böhmen, in der Laußniz und in Liefland, und
das war er auch zu Rom. Dem Bürger und freyen Mann
lagen alle öffentliche Lasten auf; und dem Staate war es
sehr gleichgültig, ob einer tausend Zugsclaven oder so viel
Stück Zugvieh hielt; eins war so gut als das andre.

Vermuthlich ist die Beschaffenheit des westphälischen Bo-
dens, der nur lauter Flecke von Lande hat, und mit Heide,
Mohr, Sand und Gebürgen untermischt ist, Schuld daran
gewesen, daß man keine natürliche Bezirke angelegt hat.
Es sey aber diese oder eine andre Ursache: so wollen
wir setzen, daß anstatt der viertausend Höfe woraus unser

Stift

Gedanken uͤber den weſtphaͤl. Leibeigenthum.
er Pferde: ſo muſte er ſo weit damit fahren, als der Guts-
herr wollte, nicht woͤchentlich ſondern taͤglich, und ſo weit
die Pferde ziehen wollten. Wenn der Gutsherr etwas
ſchenkte, verſprach oder bewilligte: ſo konnte er es morgen
wiederrufen. Der Leibeigne konnte gar nicht klagen. Er
war echt- und rechtlos, und nichts als das oͤffentliche Mitleid
oder die Religion bauete zuerſt eine Saͤule, bey welcher der
Leibeigne gegen eine uͤbertriebene Grauſamkeit ſeines Herrn
Schutz finden konnte. So war der Leibeigenthum bey den
Roͤmern; ſo ſoll er noch im Mecklenburgſchen und in Liefland
ſeyn; und ſo muß er uͤberall nach rechtlichen Begriffen zuerſt
angenommen werden.

Aber nun koͤmmt der Gegenſatz: Dieſer Leibeigne ſaß oder
wohnte in Bezirken, ſo wie er noch jetzt im Mecklenburg-
ſchen und Lieflaͤndiſchen darinn wohnt; nicht aber auf Hoͤfen
die zur gemeinen Vertheidigung ohne Mittel gezogen wer-
den, und deren Beſitzer dem Aufgebot der Landesobrigkeit
folgen muͤſſen. Der Gutsherr iſt dort ſelbſt ſteuerbar, wo
jene Art von Leibeigenthum eingefuͤhrt iſt. Das iſt er in
Maͤhren und Boͤhmen, in der Laußniz und in Liefland, und
das war er auch zu Rom. Dem Buͤrger und freyen Mann
lagen alle oͤffentliche Laſten auf; und dem Staate war es
ſehr gleichguͤltig, ob einer tauſend Zugſclaven oder ſo viel
Stuͤck Zugvieh hielt; eins war ſo gut als das andre.

Vermuthlich iſt die Beſchaffenheit des weſtphaͤliſchen Bo-
dens, der nur lauter Flecke von Lande hat, und mit Heide,
Mohr, Sand und Gebuͤrgen untermiſcht iſt, Schuld daran
geweſen, daß man keine natuͤrliche Bezirke angelegt hat.
Es ſey aber dieſe oder eine andre Urſache: ſo wollen
wir ſetzen, daß anſtatt der viertauſend Hoͤfe woraus unſer

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[102/0120] Gedanken uͤber den weſtphaͤl. Leibeigenthum. er Pferde: ſo muſte er ſo weit damit fahren, als der Guts- herr wollte, nicht woͤchentlich ſondern taͤglich, und ſo weit die Pferde ziehen wollten. Wenn der Gutsherr etwas ſchenkte, verſprach oder bewilligte: ſo konnte er es morgen wiederrufen. Der Leibeigne konnte gar nicht klagen. Er war echt- und rechtlos, und nichts als das oͤffentliche Mitleid oder die Religion bauete zuerſt eine Saͤule, bey welcher der Leibeigne gegen eine uͤbertriebene Grauſamkeit ſeines Herrn Schutz finden konnte. So war der Leibeigenthum bey den Roͤmern; ſo ſoll er noch im Mecklenburgſchen und in Liefland ſeyn; und ſo muß er uͤberall nach rechtlichen Begriffen zuerſt angenommen werden. Aber nun koͤmmt der Gegenſatz: Dieſer Leibeigne ſaß oder wohnte in Bezirken, ſo wie er noch jetzt im Mecklenburg- ſchen und Lieflaͤndiſchen darinn wohnt; nicht aber auf Hoͤfen die zur gemeinen Vertheidigung ohne Mittel gezogen wer- den, und deren Beſitzer dem Aufgebot der Landesobrigkeit folgen muͤſſen. Der Gutsherr iſt dort ſelbſt ſteuerbar, wo jene Art von Leibeigenthum eingefuͤhrt iſt. Das iſt er in Maͤhren und Boͤhmen, in der Laußniz und in Liefland, und das war er auch zu Rom. Dem Buͤrger und freyen Mann lagen alle oͤffentliche Laſten auf; und dem Staate war es ſehr gleichguͤltig, ob einer tauſend Zugſclaven oder ſo viel Stuͤck Zugvieh hielt; eins war ſo gut als das andre. Vermuthlich iſt die Beſchaffenheit des weſtphaͤliſchen Bo- dens, der nur lauter Flecke von Lande hat, und mit Heide, Mohr, Sand und Gebuͤrgen untermiſcht iſt, Schuld daran geweſen, daß man keine natuͤrliche Bezirke angelegt hat. Es ſey aber dieſe oder eine andre Urſache: ſo wollen wir ſetzen, daß anſtatt der viertauſend Hoͤfe woraus unſer Stift

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/120>, abgerufen am 24.11.2024.