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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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nicht überlassen werden.

Mord und Raub sind große Verbrechen, und dennoch tre-
ten oft für den Schuldigen solche besondre große und rührende
Umstände ein, daß man Mühe hat ein Urtheil zu fällen.
Die Gesetze können auf diese Verbrechen die Strafe leicht be-
stimmen; aber die verschiedene Moralität der Handlungen
bleibt immer unter dem vernünftigen Ermessen des Richters.
Der menschliche Verstand hat hier noch kein Maaß erfunden,
wodurch der Gesetzgeber zu einer ganz genauen Bestimmung
seiner Gesetze anlangen kan. Die Verbrechen, wodurch ein
Leibeigner sich um den Hof bringt, lassen nothwendig noch
eine größere richterliche Ermäßigung zu, weil sie nicht so
schreyend sind wie jene, und folglich auch den Richter nicht
berechtigen können, hier so wie in jenen größern Verbrechen
wohl geschieht, die ganze Moralität bey Seite zu setzen und
dem Thäter des Exempels wegen die ganze Strenge des Ge-
setzes empfinden zu lassen.

Wollte man auf gleiche Art die Moralität der Handlungen
bey den Abäußerungsursachen außer Betracht setzen; und
z. E. den besten Wirth, der sich in dem höchsten Grad der
Versuchung, in einem unglücklichen Augenblick, worinn viel-
leicht der rechtschaffenste Mann gefehlet hätte, einen Ehebruch
zu schulden kommen lassen, so fort mit Weib und Kindern
vom Hofe jagen: so würde man gegen alle Politik handeln,
und die Sicherheit der Gläubiger, die dem besten Wirthe, in
den besten Umständen und in der größten Noth geborget, von
einer Schwachheitssünde abhangen lassen und jeden abschre-
cken einem solchen Manne, für einem liederlichen Wirth kan
sich ein jeder hüten, auszuhelfen. Will man aber die Mo-
ralität mit in Betracht ziehn: welcher Meister wird dann die
Grenzlinie ziehen können?

Wollte
nicht uͤberlaſſen werden.

Mord und Raub ſind große Verbrechen, und dennoch tre-
ten oft fuͤr den Schuldigen ſolche beſondre große und ruͤhrende
Umſtaͤnde ein, daß man Muͤhe hat ein Urtheil zu faͤllen.
Die Geſetze koͤnnen auf dieſe Verbrechen die Strafe leicht be-
ſtimmen; aber die verſchiedene Moralitaͤt der Handlungen
bleibt immer unter dem vernuͤnftigen Ermeſſen des Richters.
Der menſchliche Verſtand hat hier noch kein Maaß erfunden,
wodurch der Geſetzgeber zu einer ganz genauen Beſtimmung
ſeiner Geſetze anlangen kan. Die Verbrechen, wodurch ein
Leibeigner ſich um den Hof bringt, laſſen nothwendig noch
eine groͤßere richterliche Ermaͤßigung zu, weil ſie nicht ſo
ſchreyend ſind wie jene, und folglich auch den Richter nicht
berechtigen koͤnnen, hier ſo wie in jenen groͤßern Verbrechen
wohl geſchieht, die ganze Moralitaͤt bey Seite zu ſetzen und
dem Thaͤter des Exempels wegen die ganze Strenge des Ge-
ſetzes empfinden zu laſſen.

Wollte man auf gleiche Art die Moralitaͤt der Handlungen
bey den Abaͤußerungsurſachen außer Betracht ſetzen; und
z. E. den beſten Wirth, der ſich in dem hoͤchſten Grad der
Verſuchung, in einem ungluͤcklichen Augenblick, worinn viel-
leicht der rechtſchaffenſte Mann gefehlet haͤtte, einen Ehebruch
zu ſchulden kommen laſſen, ſo fort mit Weib und Kindern
vom Hofe jagen: ſo wuͤrde man gegen alle Politik handeln,
und die Sicherheit der Glaͤubiger, die dem beſten Wirthe, in
den beſten Umſtaͤnden und in der groͤßten Noth geborget, von
einer Schwachheitsſuͤnde abhangen laſſen und jeden abſchre-
cken einem ſolchen Manne, fuͤr einem liederlichen Wirth kan
ſich ein jeder huͤten, auszuhelfen. Will man aber die Mo-
ralitaͤt mit in Betracht ziehn: welcher Meiſter wird dann die
Grenzlinie ziehen koͤnnen?

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[159/0177] nicht uͤberlaſſen werden. Mord und Raub ſind große Verbrechen, und dennoch tre- ten oft fuͤr den Schuldigen ſolche beſondre große und ruͤhrende Umſtaͤnde ein, daß man Muͤhe hat ein Urtheil zu faͤllen. Die Geſetze koͤnnen auf dieſe Verbrechen die Strafe leicht be- ſtimmen; aber die verſchiedene Moralitaͤt der Handlungen bleibt immer unter dem vernuͤnftigen Ermeſſen des Richters. Der menſchliche Verſtand hat hier noch kein Maaß erfunden, wodurch der Geſetzgeber zu einer ganz genauen Beſtimmung ſeiner Geſetze anlangen kan. Die Verbrechen, wodurch ein Leibeigner ſich um den Hof bringt, laſſen nothwendig noch eine groͤßere richterliche Ermaͤßigung zu, weil ſie nicht ſo ſchreyend ſind wie jene, und folglich auch den Richter nicht berechtigen koͤnnen, hier ſo wie in jenen groͤßern Verbrechen wohl geſchieht, die ganze Moralitaͤt bey Seite zu ſetzen und dem Thaͤter des Exempels wegen die ganze Strenge des Ge- ſetzes empfinden zu laſſen. Wollte man auf gleiche Art die Moralitaͤt der Handlungen bey den Abaͤußerungsurſachen außer Betracht ſetzen; und z. E. den beſten Wirth, der ſich in dem hoͤchſten Grad der Verſuchung, in einem ungluͤcklichen Augenblick, worinn viel- leicht der rechtſchaffenſte Mann gefehlet haͤtte, einen Ehebruch zu ſchulden kommen laſſen, ſo fort mit Weib und Kindern vom Hofe jagen: ſo wuͤrde man gegen alle Politik handeln, und die Sicherheit der Glaͤubiger, die dem beſten Wirthe, in den beſten Umſtaͤnden und in der groͤßten Noth geborget, von einer Schwachheitsſuͤnde abhangen laſſen und jeden abſchre- cken einem ſolchen Manne, fuͤr einem liederlichen Wirth kan ſich ein jeder huͤten, auszuhelfen. Will man aber die Mo- ralitaͤt mit in Betracht ziehn: welcher Meiſter wird dann die Grenzlinie ziehen koͤnnen? Wollte

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/177>, abgerufen am 24.11.2024.