Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Abmeyerungen können dem Hofesherrn

Wollte man sagen: der Proceß soll ganz summarisch seyn,
und ein Urtheil das Glück oder Unglück des Menschen ent-
scheiden; oder alle Verschickung der Acten soll in diesem Falle
verboten seyn: so erreichte die Sache freylich ein kürzers Ziel;
aber wird ein Freyer sich auf diesen Wurf eigen geben, oder
ein Gläubiger darauf borgen? und wird der Gutsherr so
viel Vertrauen auf einen einzelnen Richter oder einen von
diesem erwählten Referenten setzen, um es auf dessen Urtheil
allein ankommen lassen? Würde nicht in einem solchen Falle
wenigstens das Urtheil eines Collegiums nöthig seyn? und
kan man hoffen, wenn dieses dazu angesetzet, mithin alle
fernere Appellation verboten würde, daß die Reichsgerichte
sich dadurch die Hände binden lassen werden?

Niemand kennet unstreitig einen schlechten Wirth besser als
seine Nachbaren, und die Eingesessenen des Kirchspiels: diese
wissen es aufs genaueste was er für ein Vogel sey, und ob
man von ihm noch Besserung hoffen könne. Könnte man
sich ihre Entscheidung ohne Eigennutz und ohne Absichten ge-
denken: so würde ihr Urtheil das sicherste und geschwindeste
seyn; man brauchte keine Entscheidungsgründe von ihnen zu
erfordern und kein Gläubiger würde sich fürchten; die voll-
kommenste Beruhigung würde auf allen Seiten seyn können:
aber die Eingesessene des Kirchspiels sind mehrentheils unter
einander verwandt; sie haben an dem Beklagten zu fordern
und wollen nicht gern verlieren; sie sind wenn es zum Ent-
scheiden kömmt, furchtsam und mitleidig; sie sind natürlicher
Weise mit einander gegen die Gutsherrn; und so fällt auch
diese Art des Verfahrens, worauf sich sonst ein jeder mit Si-
cherheit stützen könnte, außer Betracht. Die Eingesessene
eines andern Kirchspiels können aber keine Urtheiler abgeben,
weil sie den schlechten Wirth in seinem ganzen Umfange nicht
genugsam kennen.

Bey
Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofesherrn

Wollte man ſagen: der Proceß ſoll ganz ſummariſch ſeyn,
und ein Urtheil das Gluͤck oder Ungluͤck des Menſchen ent-
ſcheiden; oder alle Verſchickung der Acten ſoll in dieſem Falle
verboten ſeyn: ſo erreichte die Sache freylich ein kuͤrzers Ziel;
aber wird ein Freyer ſich auf dieſen Wurf eigen geben, oder
ein Glaͤubiger darauf borgen? und wird der Gutsherr ſo
viel Vertrauen auf einen einzelnen Richter oder einen von
dieſem erwaͤhlten Referenten ſetzen, um es auf deſſen Urtheil
allein ankommen laſſen? Wuͤrde nicht in einem ſolchen Falle
wenigſtens das Urtheil eines Collegiums noͤthig ſeyn? und
kan man hoffen, wenn dieſes dazu angeſetzet, mithin alle
fernere Appellation verboten wuͤrde, daß die Reichsgerichte
ſich dadurch die Haͤnde binden laſſen werden?

Niemand kennet unſtreitig einen ſchlechten Wirth beſſer als
ſeine Nachbaren, und die Eingeſeſſenen des Kirchſpiels: dieſe
wiſſen es aufs genaueſte was er fuͤr ein Vogel ſey, und ob
man von ihm noch Beſſerung hoffen koͤnne. Koͤnnte man
ſich ihre Entſcheidung ohne Eigennutz und ohne Abſichten ge-
denken: ſo wuͤrde ihr Urtheil das ſicherſte und geſchwindeſte
ſeyn; man brauchte keine Entſcheidungsgruͤnde von ihnen zu
erfordern und kein Glaͤubiger wuͤrde ſich fuͤrchten; die voll-
kommenſte Beruhigung wuͤrde auf allen Seiten ſeyn koͤnnen:
aber die Eingeſeſſene des Kirchſpiels ſind mehrentheils unter
einander verwandt; ſie haben an dem Beklagten zu fordern
und wollen nicht gern verlieren; ſie ſind wenn es zum Ent-
ſcheiden koͤmmt, furchtſam und mitleidig; ſie ſind natuͤrlicher
Weiſe mit einander gegen die Gutsherrn; und ſo faͤllt auch
dieſe Art des Verfahrens, worauf ſich ſonſt ein jeder mit Si-
cherheit ſtuͤtzen koͤnnte, außer Betracht. Die Eingeſeſſene
eines andern Kirchſpiels koͤnnen aber keine Urtheiler abgeben,
weil ſie den ſchlechten Wirth in ſeinem ganzen Umfange nicht
genugſam kennen.

Bey
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0178" n="160"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Die Abmeyerungen ko&#x0364;nnen dem Hofesherrn</hi> </fw><lb/>
        <p>Wollte man &#x017F;agen: der Proceß &#x017F;oll ganz &#x017F;ummari&#x017F;ch &#x017F;eyn,<lb/>
und ein Urtheil das Glu&#x0364;ck oder Unglu&#x0364;ck des Men&#x017F;chen ent-<lb/>
&#x017F;cheiden; oder alle Ver&#x017F;chickung der Acten &#x017F;oll in die&#x017F;em Falle<lb/>
verboten &#x017F;eyn: &#x017F;o erreichte die Sache freylich ein ku&#x0364;rzers Ziel;<lb/>
aber wird ein Freyer &#x017F;ich auf die&#x017F;en Wurf eigen geben, oder<lb/>
ein Gla&#x0364;ubiger darauf borgen? und wird der Gutsherr &#x017F;o<lb/>
viel Vertrauen auf einen einzelnen Richter oder einen von<lb/>
die&#x017F;em erwa&#x0364;hlten Referenten &#x017F;etzen, um es auf de&#x017F;&#x017F;en Urtheil<lb/>
allein ankommen la&#x017F;&#x017F;en? Wu&#x0364;rde nicht in einem &#x017F;olchen Falle<lb/>
wenig&#x017F;tens das Urtheil eines Collegiums no&#x0364;thig &#x017F;eyn? und<lb/>
kan man hoffen, wenn die&#x017F;es dazu ange&#x017F;etzet, mithin alle<lb/>
fernere Appellation verboten wu&#x0364;rde, daß die Reichsgerichte<lb/>
&#x017F;ich dadurch die Ha&#x0364;nde binden la&#x017F;&#x017F;en werden?</p><lb/>
        <p>Niemand kennet un&#x017F;treitig einen &#x017F;chlechten Wirth be&#x017F;&#x017F;er als<lb/>
&#x017F;eine Nachbaren, und die Einge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;enen des Kirch&#x017F;piels: die&#x017F;e<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en es aufs genaue&#x017F;te was er fu&#x0364;r ein Vogel &#x017F;ey, und ob<lb/>
man von ihm noch Be&#x017F;&#x017F;erung hoffen ko&#x0364;nne. Ko&#x0364;nnte man<lb/>
&#x017F;ich ihre Ent&#x017F;cheidung ohne Eigennutz und ohne Ab&#x017F;ichten ge-<lb/>
denken: &#x017F;o wu&#x0364;rde ihr Urtheil das &#x017F;icher&#x017F;te und ge&#x017F;chwinde&#x017F;te<lb/>
&#x017F;eyn; man brauchte keine Ent&#x017F;cheidungsgru&#x0364;nde von ihnen zu<lb/>
erfordern und kein Gla&#x0364;ubiger wu&#x0364;rde &#x017F;ich fu&#x0364;rchten; die voll-<lb/>
kommen&#x017F;te Beruhigung wu&#x0364;rde auf allen Seiten &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen:<lb/>
aber die Einge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ene des Kirch&#x017F;piels &#x017F;ind mehrentheils unter<lb/>
einander verwandt; &#x017F;ie haben an dem Beklagten zu fordern<lb/>
und wollen nicht gern verlieren; &#x017F;ie &#x017F;ind wenn es zum Ent-<lb/>
&#x017F;cheiden ko&#x0364;mmt, furcht&#x017F;am und mitleidig; &#x017F;ie &#x017F;ind natu&#x0364;rlicher<lb/>
Wei&#x017F;e mit einander gegen die Gutsherrn; und &#x017F;o fa&#x0364;llt auch<lb/>
die&#x017F;e Art des Verfahrens, worauf &#x017F;ich &#x017F;on&#x017F;t ein jeder mit Si-<lb/>
cherheit &#x017F;tu&#x0364;tzen ko&#x0364;nnte, außer Betracht. Die Einge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;ene<lb/>
eines andern Kirch&#x017F;piels ko&#x0364;nnen aber keine Urtheiler abgeben,<lb/>
weil &#x017F;ie den &#x017F;chlechten Wirth in &#x017F;einem ganzen Umfange nicht<lb/>
genug&#x017F;am kennen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Bey</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[160/0178] Die Abmeyerungen koͤnnen dem Hofesherrn Wollte man ſagen: der Proceß ſoll ganz ſummariſch ſeyn, und ein Urtheil das Gluͤck oder Ungluͤck des Menſchen ent- ſcheiden; oder alle Verſchickung der Acten ſoll in dieſem Falle verboten ſeyn: ſo erreichte die Sache freylich ein kuͤrzers Ziel; aber wird ein Freyer ſich auf dieſen Wurf eigen geben, oder ein Glaͤubiger darauf borgen? und wird der Gutsherr ſo viel Vertrauen auf einen einzelnen Richter oder einen von dieſem erwaͤhlten Referenten ſetzen, um es auf deſſen Urtheil allein ankommen laſſen? Wuͤrde nicht in einem ſolchen Falle wenigſtens das Urtheil eines Collegiums noͤthig ſeyn? und kan man hoffen, wenn dieſes dazu angeſetzet, mithin alle fernere Appellation verboten wuͤrde, daß die Reichsgerichte ſich dadurch die Haͤnde binden laſſen werden? Niemand kennet unſtreitig einen ſchlechten Wirth beſſer als ſeine Nachbaren, und die Eingeſeſſenen des Kirchſpiels: dieſe wiſſen es aufs genaueſte was er fuͤr ein Vogel ſey, und ob man von ihm noch Beſſerung hoffen koͤnne. Koͤnnte man ſich ihre Entſcheidung ohne Eigennutz und ohne Abſichten ge- denken: ſo wuͤrde ihr Urtheil das ſicherſte und geſchwindeſte ſeyn; man brauchte keine Entſcheidungsgruͤnde von ihnen zu erfordern und kein Glaͤubiger wuͤrde ſich fuͤrchten; die voll- kommenſte Beruhigung wuͤrde auf allen Seiten ſeyn koͤnnen: aber die Eingeſeſſene des Kirchſpiels ſind mehrentheils unter einander verwandt; ſie haben an dem Beklagten zu fordern und wollen nicht gern verlieren; ſie ſind wenn es zum Ent- ſcheiden koͤmmt, furchtſam und mitleidig; ſie ſind natuͤrlicher Weiſe mit einander gegen die Gutsherrn; und ſo faͤllt auch dieſe Art des Verfahrens, worauf ſich ſonſt ein jeder mit Si- cherheit ſtuͤtzen koͤnnte, außer Betracht. Die Eingeſeſſene eines andern Kirchſpiels koͤnnen aber keine Urtheiler abgeben, weil ſie den ſchlechten Wirth in ſeinem ganzen Umfange nicht genugſam kennen. Bey

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/178
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/178>, abgerufen am 21.11.2024.