Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.Vom Gläubiger für einen Grund angeben, warum der Gläubiger jetzt eherals der Schuldner verlieren solle? Hat der Gläubiger nicht schon genung dadurch gelitten, daß er seinem Schuldner die große Wohlthat gethan, ihm während des Krieges alle Zin- sen in leichter Münze abzunehmen? Soll er jetzo noch das Bisgen, was er vielleicht in dreyßig schweren Jahren mit Aufopferung seiner Gesundheit bey saurer Milch und trocknen Brodte in Holland erworben hat a), und durch dessen Hülfe er seinen kränklichen Körper bis an irgend ein nahgelegenes Grab zu schleppen gedachte; soll er dies jetzt am Rande des Grabes missen? soll er seine Kinder vor fremde Thüren schi- cken? soll er sein Weib unter der Last ersticken sehen? blos darum, damit sein Schuldner und kein andrer ehrlicher Mann diesen oder jenen Hof bewohne? Nein. Die Sache ist leicht entschieden. Man würge Bürgen und Schuldner und helfe dem Gläubiger. Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner ist, und Diese Frage ist freylich schwerer zu beantworten, so leicht Leib- a) Der große Credit der Oßnabr. Eigenbehörigen rührt daher,
daß die Menge Heuerleute, welche nach Holland zur Ar- beit gehn, ihnen ihr erworbenes Geld leihen, um etwas Land zur Heuer zu bekommen. Vom Glaͤubiger fuͤr einen Grund angeben, warum der Glaͤubiger jetzt eherals der Schuldner verlieren ſolle? Hat der Glaͤubiger nicht ſchon genung dadurch gelitten, daß er ſeinem Schuldner die große Wohlthat gethan, ihm waͤhrend des Krieges alle Zin- ſen in leichter Muͤnze abzunehmen? Soll er jetzo noch das Bisgen, was er vielleicht in dreyßig ſchweren Jahren mit Aufopferung ſeiner Geſundheit bey ſaurer Milch und trocknen Brodte in Holland erworben hat a), und durch deſſen Huͤlfe er ſeinen kraͤnklichen Koͤrper bis an irgend ein nahgelegenes Grab zu ſchleppen gedachte; ſoll er dies jetzt am Rande des Grabes miſſen? ſoll er ſeine Kinder vor fremde Thuͤren ſchi- cken? ſoll er ſein Weib unter der Laſt erſticken ſehen? blos darum, damit ſein Schuldner und kein andrer ehrlicher Mann dieſen oder jenen Hof bewohne? Nein. Die Sache iſt leicht entſchieden. Man wuͤrge Buͤrgen und Schuldner und helfe dem Glaͤubiger. Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner iſt, und Dieſe Frage iſt freylich ſchwerer zu beantworten, ſo leicht Leib- a) Der große Credit der Oßnabr. Eigenbehoͤrigen ruͤhrt daher,
daß die Menge Heuerleute, welche nach Holland zur Ar- beit gehn, ihnen ihr erworbenes Geld leihen, um etwas Land zur Heuer zu bekommen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0228" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Vom Glaͤubiger</hi></fw><lb/> fuͤr einen Grund angeben, warum der Glaͤubiger jetzt eher<lb/> als der Schuldner verlieren ſolle? Hat der Glaͤubiger nicht<lb/> ſchon genung dadurch gelitten, daß er ſeinem Schuldner die<lb/> große Wohlthat gethan, ihm waͤhrend des Krieges alle Zin-<lb/> ſen in leichter Muͤnze abzunehmen? Soll er jetzo noch das<lb/> Bisgen, was er vielleicht in dreyßig ſchweren Jahren mit<lb/> Aufopferung ſeiner Geſundheit bey ſaurer Milch und trocknen<lb/> Brodte in Holland erworben hat <note place="foot" n="a)">Der große Credit der Oßnabr. Eigenbehoͤrigen ruͤhrt daher,<lb/> daß die Menge Heuerleute, welche nach Holland zur Ar-<lb/> beit gehn, ihnen ihr erworbenes Geld leihen, um etwas<lb/> Land zur Heuer zu bekommen.</note>, und durch deſſen Huͤlfe<lb/> er ſeinen kraͤnklichen Koͤrper bis an irgend ein nahgelegenes<lb/> Grab zu ſchleppen gedachte; ſoll er dies jetzt am Rande des<lb/> Grabes miſſen? ſoll er ſeine Kinder vor fremde Thuͤren ſchi-<lb/> cken? ſoll er ſein Weib unter der Laſt erſticken ſehen? blos<lb/> darum, damit ſein Schuldner und kein andrer ehrlicher Mann<lb/> dieſen oder jenen Hof bewohne? Nein. Die Sache iſt<lb/> leicht entſchieden. Man wuͤrge Buͤrgen und Schuldner und<lb/> helfe dem Glaͤubiger.</p><lb/> <p>Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner iſt, und<lb/> den Hof nur zum Bau unter hat? Wenn die Sache auf dieſe<lb/> Spitze zu ſtehen koͤmmt:<lb/><hi rendition="#et">Daß der Glaͤubiger keinen Stilleſtand geben will; gleich-<lb/> wol aber der Leibeigne ohne ſolchen zu erhalten, kein<lb/> Vieh im Stalle und kein Korn auf dem Felde behalten<lb/> kan. Was ſoll hier der Richter thun?</hi></p><lb/> <p>Dieſe Frage iſt freylich ſchwerer zu beantworten, ſo leicht<lb/> ſie auch manchem ſcheinen mag, der dem Gutsherrn ſagen<lb/> wuͤrde: er ſolle gegen die Glaͤubiger hervor treten, und den<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Leib-</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [210/0228]
Vom Glaͤubiger
fuͤr einen Grund angeben, warum der Glaͤubiger jetzt eher
als der Schuldner verlieren ſolle? Hat der Glaͤubiger nicht
ſchon genung dadurch gelitten, daß er ſeinem Schuldner die
große Wohlthat gethan, ihm waͤhrend des Krieges alle Zin-
ſen in leichter Muͤnze abzunehmen? Soll er jetzo noch das
Bisgen, was er vielleicht in dreyßig ſchweren Jahren mit
Aufopferung ſeiner Geſundheit bey ſaurer Milch und trocknen
Brodte in Holland erworben hat a), und durch deſſen Huͤlfe
er ſeinen kraͤnklichen Koͤrper bis an irgend ein nahgelegenes
Grab zu ſchleppen gedachte; ſoll er dies jetzt am Rande des
Grabes miſſen? ſoll er ſeine Kinder vor fremde Thuͤren ſchi-
cken? ſoll er ſein Weib unter der Laſt erſticken ſehen? blos
darum, damit ſein Schuldner und kein andrer ehrlicher Mann
dieſen oder jenen Hof bewohne? Nein. Die Sache iſt
leicht entſchieden. Man wuͤrge Buͤrgen und Schuldner und
helfe dem Glaͤubiger.
Aber wie, wenn der Schuldner ein Leibeigner iſt, und
den Hof nur zum Bau unter hat? Wenn die Sache auf dieſe
Spitze zu ſtehen koͤmmt:
Daß der Glaͤubiger keinen Stilleſtand geben will; gleich-
wol aber der Leibeigne ohne ſolchen zu erhalten, kein
Vieh im Stalle und kein Korn auf dem Felde behalten
kan. Was ſoll hier der Richter thun?
Dieſe Frage iſt freylich ſchwerer zu beantworten, ſo leicht
ſie auch manchem ſcheinen mag, der dem Gutsherrn ſagen
wuͤrde: er ſolle gegen die Glaͤubiger hervor treten, und den
Leib-
a) Der große Credit der Oßnabr. Eigenbehoͤrigen ruͤhrt daher,
daß die Menge Heuerleute, welche nach Holland zur Ar-
beit gehn, ihnen ihr erworbenes Geld leihen, um etwas
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