Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

der hofgesessenen Schuldner.
Capital gleichsam bey Pfennigen an, und die Zeit, wo der
eine frey der andre aber bezahlt ist, nahet ohne menschliche
Verhinderung und Beförderung mit gemessenen Schritten
heran. Was Nationen, Fürsten und fürstenmäßige Schuld-
ner mit einem Fond d'amortissement ausrichten, dieses hat
die Erfahrung als der sicherste Lehrmeister dem ländlichen
Schuldner längst gewiesen; und wie sanft ist es, mit jedem
Jahr, mit jedem Morgen zu denken, daß man schon wieder-
um ein Jahr oder einen Tag seiner Befreyung von Schul-
den näher gekommen, und nun bald der Acker, den der Gläu-
biger jetzt zum vorletzten und dann zum letztenmal genießt,
unter seinen eignen Pflug nehmen werde.

Man vergleiche hiemit den bürgerlichen Contrakt von Hand-
verschreibungen und Zinsen. Wie schrecklich ist der nicht? Hun-
dert Thaler hatte der arme Schuldner in einer Summe nöthig;
nun soll er sie in einer Summe auch wieder bezahlen; er soll sie in
derselben Münze entrichten, worinn er sie empfangen; er soll es
seinem Gläubiger einhalb Jahr vorher sagen, wenn er ihn bezah-
len will; er sollerwarten und allezeit fertig seyn, wenn der Gläu-
biger ihm eine halbjährige Löse thut; er soll alles was er hat da-
für zum Unterpfande setzen; er muß dem Gläubiger die Wahl
lassen, ob dieser ihm seine bewegliche oder-unbewegliche Haabe
und Güter zur bequemen oder unbequemen Zeit nehmen wolle;
mit einem Worte, er muß immer in der Furcht leben, jedem
der ihm im unverhofften Aufkündigungsfall zu Hülfe kom-
men kan, gefällig seyn, und wenn er die Hälfte oder auch
drey Viertel der Schuld baar liegen hat, dennoch solches un-
ter vielen Versuchungen Jahre lang ungenutzt lassen, oder
mit Unsicherheit ausborgen, bis er das ganze Capital zusam-
men hat; alle Gefahr davon stehen, und es wohl gezählt in
seinem Beutel haben, ehe und bevor er es wagen darf, die
halbjchrige Löse zu thun. Wer diesem Contrakt vor jenem

den
P 4

der hofgeſeſſenen Schuldner.
Capital gleichſam bey Pfennigen an, und die Zeit, wo der
eine frey der andre aber bezahlt iſt, nahet ohne menſchliche
Verhinderung und Befoͤrderung mit gemeſſenen Schritten
heran. Was Nationen, Fuͤrſten und fuͤrſtenmaͤßige Schuld-
ner mit einem Fond d’amortiſſement ausrichten, dieſes hat
die Erfahrung als der ſicherſte Lehrmeiſter dem laͤndlichen
Schuldner laͤngſt gewieſen; und wie ſanft iſt es, mit jedem
Jahr, mit jedem Morgen zu denken, daß man ſchon wieder-
um ein Jahr oder einen Tag ſeiner Befreyung von Schul-
den naͤher gekommen, und nun bald der Acker, den der Glaͤu-
biger jetzt zum vorletzten und dann zum letztenmal genießt,
unter ſeinen eignen Pflug nehmen werde.

Man vergleiche hiemit den buͤrgerlichen Contrakt von Hand-
verſchreibungen und Zinſen. Wie ſchrecklich iſt der nicht? Hun-
dert Thaler hatte der arme Schuldner in einer Summe noͤthig;
nun ſoll er ſie in einer Summe auch wieder bezahlen; er ſoll ſie in
derſelben Muͤnze entrichten, worinn er ſie empfangen; er ſoll es
ſeinem Glaͤubiger einhalb Jahr vorher ſagen, wenn er ihn bezah-
len will; er ſollerwarten und allezeit fertig ſeyn, wenn der Glaͤu-
biger ihm eine halbjaͤhrige Loͤſe thut; er ſoll alles was er hat da-
fuͤr zum Unterpfande ſetzen; er muß dem Glaͤubiger die Wahl
laſſen, ob dieſer ihm ſeine bewegliche oder-unbewegliche Haabe
und Guͤter zur bequemen oder unbequemen Zeit nehmen wolle;
mit einem Worte, er muß immer in der Furcht leben, jedem
der ihm im unverhofften Aufkuͤndigungsfall zu Huͤlfe kom-
men kan, gefaͤllig ſeyn, und wenn er die Haͤlfte oder auch
drey Viertel der Schuld baar liegen hat, dennoch ſolches un-
ter vielen Verſuchungen Jahre lang ungenutzt laſſen, oder
mit Unſicherheit ausborgen, bis er das ganze Capital zuſam-
men hat; alle Gefahr davon ſtehen, und es wohl gezaͤhlt in
ſeinem Beutel haben, ehe und bevor er es wagen darf, die
halbjchrige Loͤſe zu thun. Wer dieſem Contrakt vor jenem

den
P 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="231"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der hofge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;enen Schuldner.</hi></fw><lb/>
Capital gleich&#x017F;am bey Pfennigen an, und die Zeit, wo der<lb/>
eine frey der andre aber bezahlt i&#x017F;t, nahet ohne men&#x017F;chliche<lb/>
Verhinderung und Befo&#x0364;rderung mit geme&#x017F;&#x017F;enen Schritten<lb/>
heran. Was Nationen, Fu&#x0364;r&#x017F;ten und fu&#x0364;r&#x017F;tenma&#x0364;ßige Schuld-<lb/>
ner mit einem <hi rendition="#aq">Fond d&#x2019;amorti&#x017F;&#x017F;ement</hi> ausrichten, die&#x017F;es hat<lb/>
die Erfahrung als der &#x017F;icher&#x017F;te Lehrmei&#x017F;ter dem la&#x0364;ndlichen<lb/>
Schuldner la&#x0364;ng&#x017F;t gewie&#x017F;en; und wie &#x017F;anft i&#x017F;t es, mit jedem<lb/>
Jahr, mit jedem Morgen zu denken, daß man &#x017F;chon wieder-<lb/>
um ein Jahr oder einen Tag &#x017F;einer Befreyung von Schul-<lb/>
den na&#x0364;her gekommen, und nun bald der Acker, den der Gla&#x0364;u-<lb/>
biger jetzt zum vorletzten und dann zum letztenmal genießt,<lb/>
unter &#x017F;einen eignen Pflug nehmen werde.</p><lb/>
        <p>Man vergleiche hiemit den bu&#x0364;rgerlichen Contrakt von Hand-<lb/>
ver&#x017F;chreibungen und Zin&#x017F;en. Wie &#x017F;chrecklich i&#x017F;t der nicht? Hun-<lb/>
dert Thaler hatte der arme Schuldner in einer Summe no&#x0364;thig;<lb/>
nun &#x017F;oll er &#x017F;ie in einer Summe auch wieder bezahlen; er &#x017F;oll &#x017F;ie in<lb/>
der&#x017F;elben Mu&#x0364;nze entrichten, worinn er &#x017F;ie empfangen; er &#x017F;oll es<lb/>
&#x017F;einem Gla&#x0364;ubiger einhalb Jahr vorher &#x017F;agen, wenn er ihn bezah-<lb/>
len will; er &#x017F;ollerwarten und allezeit fertig &#x017F;eyn, wenn der Gla&#x0364;u-<lb/>
biger ihm eine halbja&#x0364;hrige Lo&#x0364;&#x017F;e thut; er &#x017F;oll alles was er hat da-<lb/>
fu&#x0364;r zum Unterpfande &#x017F;etzen; er muß dem Gla&#x0364;ubiger die Wahl<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ob die&#x017F;er ihm &#x017F;eine bewegliche oder-unbewegliche Haabe<lb/>
und Gu&#x0364;ter zur bequemen oder unbequemen Zeit nehmen wolle;<lb/>
mit einem Worte, er muß immer in der Furcht leben, jedem<lb/>
der ihm im unverhofften Aufku&#x0364;ndigungsfall zu Hu&#x0364;lfe kom-<lb/>
men kan, gefa&#x0364;llig &#x017F;eyn, und wenn er die Ha&#x0364;lfte oder auch<lb/>
drey Viertel der Schuld baar liegen hat, dennoch &#x017F;olches un-<lb/>
ter vielen Ver&#x017F;uchungen Jahre lang ungenutzt la&#x017F;&#x017F;en, oder<lb/>
mit Un&#x017F;icherheit ausborgen, bis er das ganze Capital zu&#x017F;am-<lb/>
men hat; alle Gefahr davon &#x017F;tehen, und es wohl geza&#x0364;hlt in<lb/>
&#x017F;einem Beutel haben, ehe und bevor er es wagen darf, die<lb/>
halbjchrige Lo&#x0364;&#x017F;e zu thun. Wer die&#x017F;em Contrakt vor jenem<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 4</fw><fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[231/0249] der hofgeſeſſenen Schuldner. Capital gleichſam bey Pfennigen an, und die Zeit, wo der eine frey der andre aber bezahlt iſt, nahet ohne menſchliche Verhinderung und Befoͤrderung mit gemeſſenen Schritten heran. Was Nationen, Fuͤrſten und fuͤrſtenmaͤßige Schuld- ner mit einem Fond d’amortiſſement ausrichten, dieſes hat die Erfahrung als der ſicherſte Lehrmeiſter dem laͤndlichen Schuldner laͤngſt gewieſen; und wie ſanft iſt es, mit jedem Jahr, mit jedem Morgen zu denken, daß man ſchon wieder- um ein Jahr oder einen Tag ſeiner Befreyung von Schul- den naͤher gekommen, und nun bald der Acker, den der Glaͤu- biger jetzt zum vorletzten und dann zum letztenmal genießt, unter ſeinen eignen Pflug nehmen werde. Man vergleiche hiemit den buͤrgerlichen Contrakt von Hand- verſchreibungen und Zinſen. Wie ſchrecklich iſt der nicht? Hun- dert Thaler hatte der arme Schuldner in einer Summe noͤthig; nun ſoll er ſie in einer Summe auch wieder bezahlen; er ſoll ſie in derſelben Muͤnze entrichten, worinn er ſie empfangen; er ſoll es ſeinem Glaͤubiger einhalb Jahr vorher ſagen, wenn er ihn bezah- len will; er ſollerwarten und allezeit fertig ſeyn, wenn der Glaͤu- biger ihm eine halbjaͤhrige Loͤſe thut; er ſoll alles was er hat da- fuͤr zum Unterpfande ſetzen; er muß dem Glaͤubiger die Wahl laſſen, ob dieſer ihm ſeine bewegliche oder-unbewegliche Haabe und Guͤter zur bequemen oder unbequemen Zeit nehmen wolle; mit einem Worte, er muß immer in der Furcht leben, jedem der ihm im unverhofften Aufkuͤndigungsfall zu Huͤlfe kom- men kan, gefaͤllig ſeyn, und wenn er die Haͤlfte oder auch drey Viertel der Schuld baar liegen hat, dennoch ſolches un- ter vielen Verſuchungen Jahre lang ungenutzt laſſen, oder mit Unſicherheit ausborgen, bis er das ganze Capital zuſam- men hat; alle Gefahr davon ſtehen, und es wohl gezaͤhlt in ſeinem Beutel haben, ehe und bevor er es wagen darf, die halbjchrige Loͤſe zu thun. Wer dieſem Contrakt vor jenem den P 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/249
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/249>, abgerufen am 24.11.2024.