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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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die erste Sorge zur Bereicher. eines Landes seyn?
und Gott nach seinem Wahne ungestört zu dienen. Den An-
laß dazu gab der Prediger des Orts, der in einen Rufe einer
besondern Heiligkeit stand, und in der That ein Mann war,
an welchem mein Vater in aller Absicht einen getreuen Ge-
hülfen fand. Er bauete sich zuerst nur ein kleines Haus,
welches aber doch in seiner Einrichtung so etwas besonders
und gefälliges hatte, daß sich alle Einwohner ein gleiches
wünschten. In diesem schlug er seinen Weberstuhl auf, und
der Prediger verschaffete ihm noch einige Kinder aus dem
Orte, die für ihn sponnen, und arbeiteten. Diesen wuste er
eine solche Liebe gegen sich beyzubringen, daß fast alles was
in dem Städtgen gebohren wurde, sich zu ihm drängte. Der
Prediger kam täglich und unterrichtete sie bey der Arbeit;
mein Vater sorgte dafür, daß sie alle reinlich und auf eine
vorzügliche Art in Camelot gekleidet wurden; und die Eltern,
welche das wahre vom falschen nicht unterscheiden konnten,
freueten sich, ihre Kinder so gut aufgehoben zu sehen. Man-
che Väter ließen sich bewegen auf die eine oder andre Art bey
der Fabrik zu dienen; und viele Mütter hielten es für ein
Zeichen der Andacht, sich eben so wie ihre Kinder zu kleiden;
so daß in der Zeit von zwölf Jahren Kleidung, Phisionomien,
und Menschen eine ganz neue Gestalt und ich mag wohl sagen,
einen ganz neuen Geist erhielten.

"Die Einmüthigkeit herrschte vollkommen in der neuen
Secte, und die Menschen gefielen sich mehr und mehr in dem-
jenigen, was den Reiz der Neuigkeit hatte und das Werk
ihrer Erfindung zu seyn schien. Sie arbeiteten und beteten
und ergötzten sich auch bisweilen untereinander, und der Ruf
dieser glücklichen Bruderschaft zog eine Menge von arbeitsa-
men Schwärmern herbey, die gern für andre arbeiten aber
für sich denken wollten.

"Da-
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die erſte Sorge zur Bereicher. eines Landes ſeyn?
und Gott nach ſeinem Wahne ungeſtoͤrt zu dienen. Den An-
laß dazu gab der Prediger des Orts, der in einen Rufe einer
beſondern Heiligkeit ſtand, und in der That ein Mann war,
an welchem mein Vater in aller Abſicht einen getreuen Ge-
huͤlfen fand. Er bauete ſich zuerſt nur ein kleines Haus,
welches aber doch in ſeiner Einrichtung ſo etwas beſonders
und gefaͤlliges hatte, daß ſich alle Einwohner ein gleiches
wuͤnſchten. In dieſem ſchlug er ſeinen Weberſtuhl auf, und
der Prediger verſchaffete ihm noch einige Kinder aus dem
Orte, die fuͤr ihn ſponnen, und arbeiteten. Dieſen wuſte er
eine ſolche Liebe gegen ſich beyzubringen, daß faſt alles was
in dem Staͤdtgen gebohren wurde, ſich zu ihm draͤngte. Der
Prediger kam taͤglich und unterrichtete ſie bey der Arbeit;
mein Vater ſorgte dafuͤr, daß ſie alle reinlich und auf eine
vorzuͤgliche Art in Camelot gekleidet wurden; und die Eltern,
welche das wahre vom falſchen nicht unterſcheiden konnten,
freueten ſich, ihre Kinder ſo gut aufgehoben zu ſehen. Man-
che Vaͤter ließen ſich bewegen auf die eine oder andre Art bey
der Fabrik zu dienen; und viele Muͤtter hielten es fuͤr ein
Zeichen der Andacht, ſich eben ſo wie ihre Kinder zu kleiden;
ſo daß in der Zeit von zwoͤlf Jahren Kleidung, Phiſionomien,
und Menſchen eine ganz neue Geſtalt und ich mag wohl ſagen,
einen ganz neuen Geiſt erhielten.

„Die Einmuͤthigkeit herrſchte vollkommen in der neuen
Secte, und die Menſchen gefielen ſich mehr und mehr in dem-
jenigen, was den Reiz der Neuigkeit hatte und das Werk
ihrer Erfindung zu ſeyn ſchien. Sie arbeiteten und beteten
und ergoͤtzten ſich auch bisweilen untereinander, und der Ruf
dieſer gluͤcklichen Bruderſchaft zog eine Menge von arbeitſa-
men Schwaͤrmern herbey, die gern fuͤr andre arbeiten aber
fuͤr ſich denken wollten.

„Da-
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[259/0277] die erſte Sorge zur Bereicher. eines Landes ſeyn? und Gott nach ſeinem Wahne ungeſtoͤrt zu dienen. Den An- laß dazu gab der Prediger des Orts, der in einen Rufe einer beſondern Heiligkeit ſtand, und in der That ein Mann war, an welchem mein Vater in aller Abſicht einen getreuen Ge- huͤlfen fand. Er bauete ſich zuerſt nur ein kleines Haus, welches aber doch in ſeiner Einrichtung ſo etwas beſonders und gefaͤlliges hatte, daß ſich alle Einwohner ein gleiches wuͤnſchten. In dieſem ſchlug er ſeinen Weberſtuhl auf, und der Prediger verſchaffete ihm noch einige Kinder aus dem Orte, die fuͤr ihn ſponnen, und arbeiteten. Dieſen wuſte er eine ſolche Liebe gegen ſich beyzubringen, daß faſt alles was in dem Staͤdtgen gebohren wurde, ſich zu ihm draͤngte. Der Prediger kam taͤglich und unterrichtete ſie bey der Arbeit; mein Vater ſorgte dafuͤr, daß ſie alle reinlich und auf eine vorzuͤgliche Art in Camelot gekleidet wurden; und die Eltern, welche das wahre vom falſchen nicht unterſcheiden konnten, freueten ſich, ihre Kinder ſo gut aufgehoben zu ſehen. Man- che Vaͤter ließen ſich bewegen auf die eine oder andre Art bey der Fabrik zu dienen; und viele Muͤtter hielten es fuͤr ein Zeichen der Andacht, ſich eben ſo wie ihre Kinder zu kleiden; ſo daß in der Zeit von zwoͤlf Jahren Kleidung, Phiſionomien, und Menſchen eine ganz neue Geſtalt und ich mag wohl ſagen, einen ganz neuen Geiſt erhielten. „Die Einmuͤthigkeit herrſchte vollkommen in der neuen Secte, und die Menſchen gefielen ſich mehr und mehr in dem- jenigen, was den Reiz der Neuigkeit hatte und das Werk ihrer Erfindung zu ſeyn ſchien. Sie arbeiteten und beteten und ergoͤtzten ſich auch bisweilen untereinander, und der Ruf dieſer gluͤcklichen Bruderſchaft zog eine Menge von arbeitſa- men Schwaͤrmern herbey, die gern fuͤr andre arbeiten aber fuͤr ſich denken wollten. „Da- R 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/277>, abgerufen am 21.11.2024.