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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Beantwortung der Frage: Was muß

"Dabey hatten sie eine so sichere nnd lebhafte Ueberzeu-
gung von dem Grundsatze: daß alles was betete und arbeite-
te, sein Brodt haben könnte, daß nach Verlauf von zwanzig
Jahren jeder junger Einwohner mit einer Zuversicht heyra-
thete, dergleichen andre nicht bey großen Einkünften haben.
Voll von den Gedanken, daß ihre Redlichkeit und Geschick-
lichkeit ihnen bey ihren Mitbrüdern so viel Credit verschaffen
würde, als sie zur Ausführung ihrer Unternehmungen im-
mer mehr gebrauchten, fiel es ihnen nicht einmal ein, an dem
Fortgange derselben zu zweifeln. Ihre Meynung in Glau-
benssachen war also gleichsam eine Art von Vermögen, welche
dem Landeigenthum oder einer andern Hypothek gleich gesetzer
werden konnte, und schwerlich hat je eine Gemeine auf ihre
Besitzungen so vielen Credit gehabt als die Secte auf ihre
Deukungsart erhielt.

"Nun brauche ich ihnen nichts mehr zu sagen. Sie wer-
den es aber leicht von selbst einsehen, wie auf diese Weise nach
und nach die Menge von schönen Häusern gebauet; vieles
Feldland in Gartenland verwandelt, ein guter Theil der Heyde
zu Kornfeldern und Wiesen gemacht; das Korn zu einem bil-
ligen Preise gehoben, der Ackersmann aufgemuntert, das
Spannwerk verbessert und der Viehstapel vermehret worden.
Alles dieses folgte unvermerkt von selbst, und der Morgen
Landes der vor dreyßig Jahren 15 Thaler galt, wird jetzt zu
150 verkaust. Die Stadt hat also den Werth ihrer Gründe
zehnmal vermehrt, und solche gewiß fünfmal vergrößert, so
daß sie jetzt funfzigmal so viel besitzt als vor dreyßig Jahren.
Vor Zeiten konnte man die Milch nicht verkaufen, und man
hielt deswegen nicht mehr Kühe als man um des Mistes wil-
len zur äußersten Noth gebrauchte. Jetzt lebt mancher ge-
ringer Mensch blos von einigen Kühen und ihrer Milch; so
sehr hat sich alles durch die Handlung verbessert.

"Das
Beantwortung der Frage: Was muß

„Dabey hatten ſie eine ſo ſichere nnd lebhafte Ueberzeu-
gung von dem Grundſatze: daß alles was betete und arbeite-
te, ſein Brodt haben koͤnnte, daß nach Verlauf von zwanzig
Jahren jeder junger Einwohner mit einer Zuverſicht heyra-
thete, dergleichen andre nicht bey großen Einkuͤnften haben.
Voll von den Gedanken, daß ihre Redlichkeit und Geſchick-
lichkeit ihnen bey ihren Mitbruͤdern ſo viel Credit verſchaffen
wuͤrde, als ſie zur Ausfuͤhrung ihrer Unternehmungen im-
mer mehr gebrauchten, fiel es ihnen nicht einmal ein, an dem
Fortgange derſelben zu zweifeln. Ihre Meynung in Glau-
bensſachen war alſo gleichſam eine Art von Vermoͤgen, welche
dem Landeigenthum oder einer andern Hypothek gleich geſetzer
werden konnte, und ſchwerlich hat je eine Gemeine auf ihre
Beſitzungen ſo vielen Credit gehabt als die Secte auf ihre
Deukungsart erhielt.

„Nun brauche ich ihnen nichts mehr zu ſagen. Sie wer-
den es aber leicht von ſelbſt einſehen, wie auf dieſe Weiſe nach
und nach die Menge von ſchoͤnen Haͤuſern gebauet; vieles
Feldland in Gartenland verwandelt, ein guter Theil der Heyde
zu Kornfeldern und Wieſen gemacht; das Korn zu einem bil-
ligen Preiſe gehoben, der Ackersmann aufgemuntert, das
Spannwerk verbeſſert und der Viehſtapel vermehret worden.
Alles dieſes folgte unvermerkt von ſelbſt, und der Morgen
Landes der vor dreyßig Jahren 15 Thaler galt, wird jetzt zu
150 verkauſt. Die Stadt hat alſo den Werth ihrer Gruͤnde
zehnmal vermehrt, und ſolche gewiß fuͤnfmal vergroͤßert, ſo
daß ſie jetzt funfzigmal ſo viel beſitzt als vor dreyßig Jahren.
Vor Zeiten konnte man die Milch nicht verkaufen, und man
hielt deswegen nicht mehr Kuͤhe als man um des Miſtes wil-
len zur aͤußerſten Noth gebrauchte. Jetzt lebt mancher ge-
ringer Menſch blos von einigen Kuͤhen und ihrer Milch; ſo
ſehr hat ſich alles durch die Handlung verbeſſert.

„Das
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[260/0278] Beantwortung der Frage: Was muß „Dabey hatten ſie eine ſo ſichere nnd lebhafte Ueberzeu- gung von dem Grundſatze: daß alles was betete und arbeite- te, ſein Brodt haben koͤnnte, daß nach Verlauf von zwanzig Jahren jeder junger Einwohner mit einer Zuverſicht heyra- thete, dergleichen andre nicht bey großen Einkuͤnften haben. Voll von den Gedanken, daß ihre Redlichkeit und Geſchick- lichkeit ihnen bey ihren Mitbruͤdern ſo viel Credit verſchaffen wuͤrde, als ſie zur Ausfuͤhrung ihrer Unternehmungen im- mer mehr gebrauchten, fiel es ihnen nicht einmal ein, an dem Fortgange derſelben zu zweifeln. Ihre Meynung in Glau- bensſachen war alſo gleichſam eine Art von Vermoͤgen, welche dem Landeigenthum oder einer andern Hypothek gleich geſetzer werden konnte, und ſchwerlich hat je eine Gemeine auf ihre Beſitzungen ſo vielen Credit gehabt als die Secte auf ihre Deukungsart erhielt. „Nun brauche ich ihnen nichts mehr zu ſagen. Sie wer- den es aber leicht von ſelbſt einſehen, wie auf dieſe Weiſe nach und nach die Menge von ſchoͤnen Haͤuſern gebauet; vieles Feldland in Gartenland verwandelt, ein guter Theil der Heyde zu Kornfeldern und Wieſen gemacht; das Korn zu einem bil- ligen Preiſe gehoben, der Ackersmann aufgemuntert, das Spannwerk verbeſſert und der Viehſtapel vermehret worden. Alles dieſes folgte unvermerkt von ſelbſt, und der Morgen Landes der vor dreyßig Jahren 15 Thaler galt, wird jetzt zu 150 verkauſt. Die Stadt hat alſo den Werth ihrer Gruͤnde zehnmal vermehrt, und ſolche gewiß fuͤnfmal vergroͤßert, ſo daß ſie jetzt funfzigmal ſo viel beſitzt als vor dreyßig Jahren. Vor Zeiten konnte man die Milch nicht verkaufen, und man hielt deswegen nicht mehr Kuͤhe als man um des Miſtes wil- len zur aͤußerſten Noth gebrauchte. Jetzt lebt mancher ge- ringer Menſch blos von einigen Kuͤhen und ihrer Milch; ſo ſehr hat ſich alles durch die Handlung verbeſſert. „Das

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 260. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/278>, abgerufen am 21.11.2024.