Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.Beantwortung der Frage: Was muß Gemüther kan hier aushelfen. Der Reiche muß dem Armenso nahe kommen, daß er ihm völlig ins Herz, und dort seine Sicherheit sehen kan; alle Grundsätze der Religion und der Sittenlehre, welche dem Credit zu statten kommen, müssen auf das lebhafteste gefühlt und in dauerhafter Uebung seyn. Die Geistlichen, welchen würklich die Vorsorge für ein größer Theil unsrer zeitlichen Glückseligkeit obliegen sollte, als man ihnen insgemein gönnet, müssen die einzelnen Glieder ihrer Gemeine beständig in einem solchen Lichte erhalten, daß einer dem andern sein Vermögen ohne Handschrift vertrauen kan, wie solches unter den großen Kaufleuten beständig geschieht. Auf solche Art können alle Mitglieder des Staats, ohne eigne Gelder zu haben, nützliche Unternehmungen anfangen, und zu jeder Zeit Hülfe finden. Gesundheit, Fleiß und Redlich- keit machen das größte Capital des menschlichen Geschlechts aus; alles Gold und Silber in der Welt reichet so wenig daran als das baare Geld an den gesamten Credit reicht; und jedes Mitglied des Staats das in den Stand gesetzt wird, jenes Capital zu nutzen, ist ein größer Gewinnst für denselben, als ein bemittelter Verschwender, der durch Tittel und Be- dienungen ins Land gezogen wird. Allein unter den ströher- nen Banden, welche die menschliche Gesellschaft in den mehr- sten Ländern verknüpft, bleibt diese ergiebige Mine ungenutzt, und man hat die Tugenden als den Grund des Credits und des Handels zu wenig betrachtet. Die Eyfersucht des welt- lichen Standes gegen den geistlichen geht zu weit, und man schätzt ein Volk freyer, das durch Karnschieben und Prügel zu seiner Pflicht geführet wird, als das fromme Häuflein, was durch geistliche Bewegungsgründe zum glücklichen Scla- ven seiner Wohlfart gemachet worden. Hier muste ich meinen Freund unterbrechen, weil ich be- In-
Beantwortung der Frage: Was muß Gemuͤther kan hier aushelfen. Der Reiche muß dem Armenſo nahe kommen, daß er ihm voͤllig ins Herz, und dort ſeine Sicherheit ſehen kan; alle Grundſaͤtze der Religion und der Sittenlehre, welche dem Credit zu ſtatten kommen, muͤſſen auf das lebhafteſte gefuͤhlt und in dauerhafter Uebung ſeyn. Die Geiſtlichen, welchen wuͤrklich die Vorſorge fuͤr ein groͤßer Theil unſrer zeitlichen Gluͤckſeligkeit obliegen ſollte, als man ihnen insgemein goͤnnet, muͤſſen die einzelnen Glieder ihrer Gemeine beſtaͤndig in einem ſolchen Lichte erhalten, daß einer dem andern ſein Vermoͤgen ohne Handſchrift vertrauen kan, wie ſolches unter den großen Kaufleuten beſtaͤndig geſchieht. Auf ſolche Art koͤnnen alle Mitglieder des Staats, ohne eigne Gelder zu haben, nuͤtzliche Unternehmungen anfangen, und zu jeder Zeit Huͤlfe finden. Geſundheit, Fleiß und Redlich- keit machen das groͤßte Capital des menſchlichen Geſchlechts aus; alles Gold und Silber in der Welt reichet ſo wenig daran als das baare Geld an den geſamten Credit reicht; und jedes Mitglied des Staats das in den Stand geſetzt wird, jenes Capital zu nutzen, iſt ein groͤßer Gewinnſt fuͤr denſelben, als ein bemittelter Verſchwender, der durch Tittel und Be- dienungen ins Land gezogen wird. Allein unter den ſtroͤher- nen Banden, welche die menſchliche Geſellſchaft in den mehr- ſten Laͤndern verknuͤpft, bleibt dieſe ergiebige Mine ungenutzt, und man hat die Tugenden als den Grund des Credits und des Handels zu wenig betrachtet. Die Eyferſucht des welt- lichen Standes gegen den geiſtlichen geht zu weit, und man ſchaͤtzt ein Volk freyer, das durch Karnſchieben und Pruͤgel zu ſeiner Pflicht gefuͤhret wird, als das fromme Haͤuflein, was durch geiſtliche Bewegungsgruͤnde zum gluͤcklichen Scla- ven ſeiner Wohlfart gemachet worden. Hier muſte ich meinen Freund unterbrechen, weil ich be- In-
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Beantwortung der Frage: Was muß
Gemuͤther kan hier aushelfen. Der Reiche muß dem Armen
ſo nahe kommen, daß er ihm voͤllig ins Herz, und dort ſeine
Sicherheit ſehen kan; alle Grundſaͤtze der Religion und der
Sittenlehre, welche dem Credit zu ſtatten kommen, muͤſſen
auf das lebhafteſte gefuͤhlt und in dauerhafter Uebung ſeyn.
Die Geiſtlichen, welchen wuͤrklich die Vorſorge fuͤr ein groͤßer
Theil unſrer zeitlichen Gluͤckſeligkeit obliegen ſollte, als man
ihnen insgemein goͤnnet, muͤſſen die einzelnen Glieder ihrer
Gemeine beſtaͤndig in einem ſolchen Lichte erhalten, daß einer
dem andern ſein Vermoͤgen ohne Handſchrift vertrauen kan,
wie ſolches unter den großen Kaufleuten beſtaͤndig geſchieht.
Auf ſolche Art koͤnnen alle Mitglieder des Staats, ohne eigne
Gelder zu haben, nuͤtzliche Unternehmungen anfangen, und
zu jeder Zeit Huͤlfe finden. Geſundheit, Fleiß und Redlich-
keit machen das groͤßte Capital des menſchlichen Geſchlechts
aus; alles Gold und Silber in der Welt reichet ſo wenig daran
als das baare Geld an den geſamten Credit reicht; und
jedes Mitglied des Staats das in den Stand geſetzt wird,
jenes Capital zu nutzen, iſt ein groͤßer Gewinnſt fuͤr denſelben,
als ein bemittelter Verſchwender, der durch Tittel und Be-
dienungen ins Land gezogen wird. Allein unter den ſtroͤher-
nen Banden, welche die menſchliche Geſellſchaft in den mehr-
ſten Laͤndern verknuͤpft, bleibt dieſe ergiebige Mine ungenutzt,
und man hat die Tugenden als den Grund des Credits und
des Handels zu wenig betrachtet. Die Eyferſucht des welt-
lichen Standes gegen den geiſtlichen geht zu weit, und man
ſchaͤtzt ein Volk freyer, das durch Karnſchieben und Pruͤgel
zu ſeiner Pflicht gefuͤhret wird, als das fromme Haͤuflein,
was durch geiſtliche Bewegungsgruͤnde zum gluͤcklichen Scla-
ven ſeiner Wohlfart gemachet worden.
Hier muſte ich meinen Freund unterbrechen, weil ich be-
ſorgte, er moͤgte in eine patriotiſche Schwaͤrmerey verfallen.
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