Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

der Huren und Hurkinder.
Liebe mit einer beständigen Verachtung; sie flochten Kränze für
unbefleckte Bräute; und hatten tausenderley Erfindungen ih-
ren Ehrentag zu schmücken; und warum dieses? blos um alle
Ehre und alle bürgerliche Wohlthaten für den Ehestand auf-
zuheben und diesen dadurch zu befördern. Hätte diesen je-
mand beweisen wollen, daß die unächten Kinder insgemein
mehr Genie als andre, und an dem Verbrechen ihrer Eltern
keine Schuld hätten; hätte ihnen jemand nach den Grund-
sätzen wilder Völker vormahlen wollen, daß die größten Hu-
ren nothwendig die schönsten, angenehmsten und liebenswür-
digsten seyn müßten, weil sie so früh und allgemein gesucht
worden: so würden sie gewiß geantwortet haben? Diese
Gründe sind richtig im Stande der Natur aber der Absicht
einer Civilvereinigung nicht gemäs.

Man glaube indessen nicht, als wenn sie nicht auch die
Schwierigkeit gefühlet hätten, welche unsre Philosophen be-
wegt, mit den Huren Mitleid zu haben. Der Sack, worinn
sie diejenigen von ihnen ertränkten, welche einen Kindermord
begangen, um sich von der Schande zu befreyen, zeigt nur
gar deutlich, durch welchen Weg sie der zufälligen Würkung
einer für das gemeine Beste des Ehestandes nothwendigen
Schande begegnen wollen. Er zeigt deutlich, daß sie ebenfalls
das menschliche Herz gekannt, es aber für sicherer gehalten
haben die Strafe sonderbar und erschrecklich zu machen, als
jene Schande zu vermindern. Unsre neuen Philosophen hin-
gegen vermindern die Schande ohne einmal die Strafe so zu
schärfen, wie sie unsre Vorfahren geschärfet haben; und schwer-
lich werden sie doch auf diesem Wege das wahre Ziel erreichen,
oder sie müssen den Ehestand ganz aufheben, und einer ledi-
gen Mutter mit der verehligten gleiche Vorzüge einräumen.

So lange dieses nicht geschicht; so lange die Verachtung,
welche man einem geschwächten Weibsbilde zeigt, durch eine

ganz
T 3

der Huren und Hurkinder.
Liebe mit einer beſtaͤndigen Verachtung; ſie flochten Kraͤnze fuͤr
unbefleckte Braͤute; und hatten tauſenderley Erfindungen ih-
ren Ehrentag zu ſchmuͤcken; und warum dieſes? blos um alle
Ehre und alle buͤrgerliche Wohlthaten fuͤr den Eheſtand auf-
zuheben und dieſen dadurch zu befoͤrdern. Haͤtte dieſen je-
mand beweiſen wollen, daß die unaͤchten Kinder insgemein
mehr Genie als andre, und an dem Verbrechen ihrer Eltern
keine Schuld haͤtten; haͤtte ihnen jemand nach den Grund-
ſaͤtzen wilder Voͤlker vormahlen wollen, daß die groͤßten Hu-
ren nothwendig die ſchoͤnſten, angenehmſten und liebenswuͤr-
digſten ſeyn muͤßten, weil ſie ſo fruͤh und allgemein geſucht
worden: ſo wuͤrden ſie gewiß geantwortet haben? Dieſe
Gruͤnde ſind richtig im Stande der Natur aber der Abſicht
einer Civilvereinigung nicht gemaͤs.

Man glaube indeſſen nicht, als wenn ſie nicht auch die
Schwierigkeit gefuͤhlet haͤtten, welche unſre Philoſophen be-
wegt, mit den Huren Mitleid zu haben. Der Sack, worinn
ſie diejenigen von ihnen ertraͤnkten, welche einen Kindermord
begangen, um ſich von der Schande zu befreyen, zeigt nur
gar deutlich, durch welchen Weg ſie der zufaͤlligen Wuͤrkung
einer fuͤr das gemeine Beſte des Eheſtandes nothwendigen
Schande begegnen wollen. Er zeigt deutlich, daß ſie ebenfalls
das menſchliche Herz gekannt, es aber fuͤr ſicherer gehalten
haben die Strafe ſonderbar und erſchrecklich zu machen, als
jene Schande zu vermindern. Unſre neuen Philoſophen hin-
gegen vermindern die Schande ohne einmal die Strafe ſo zu
ſchaͤrfen, wie ſie unſre Vorfahren geſchaͤrfet haben; und ſchwer-
lich werden ſie doch auf dieſem Wege das wahre Ziel erreichen,
oder ſie muͤſſen den Eheſtand ganz aufheben, und einer ledi-
gen Mutter mit der verehligten gleiche Vorzuͤge einraͤumen.

So lange dieſes nicht geſchicht; ſo lange die Verachtung,
welche man einem geſchwaͤchten Weibsbilde zeigt, durch eine

ganz
T 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0311" n="293"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der Huren und Hurkinder.</hi></fw><lb/>
Liebe mit einer be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Verachtung; &#x017F;ie flochten Kra&#x0364;nze fu&#x0364;r<lb/>
unbefleckte Bra&#x0364;ute; und hatten tau&#x017F;enderley Erfindungen ih-<lb/>
ren Ehrentag zu &#x017F;chmu&#x0364;cken; und warum die&#x017F;es? blos um alle<lb/>
Ehre und alle bu&#x0364;rgerliche Wohlthaten fu&#x0364;r den Ehe&#x017F;tand auf-<lb/>
zuheben und die&#x017F;en dadurch zu befo&#x0364;rdern. Ha&#x0364;tte die&#x017F;en je-<lb/>
mand bewei&#x017F;en wollen, daß die una&#x0364;chten Kinder insgemein<lb/>
mehr Genie als andre, und an dem Verbrechen ihrer Eltern<lb/>
keine Schuld ha&#x0364;tten; ha&#x0364;tte ihnen jemand nach den Grund-<lb/>
&#x017F;a&#x0364;tzen wilder Vo&#x0364;lker vormahlen wollen, daß die gro&#x0364;ßten Hu-<lb/>
ren nothwendig die &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten, angenehm&#x017F;ten und liebenswu&#x0364;r-<lb/>
dig&#x017F;ten &#x017F;eyn mu&#x0364;ßten, weil &#x017F;ie &#x017F;o fru&#x0364;h und allgemein ge&#x017F;ucht<lb/>
worden: &#x017F;o wu&#x0364;rden &#x017F;ie gewiß geantwortet haben? Die&#x017F;e<lb/>
Gru&#x0364;nde &#x017F;ind richtig im Stande der Natur aber der Ab&#x017F;icht<lb/>
einer Civilvereinigung nicht gema&#x0364;s.</p><lb/>
        <p>Man glaube inde&#x017F;&#x017F;en nicht, als wenn &#x017F;ie nicht auch die<lb/>
Schwierigkeit gefu&#x0364;hlet ha&#x0364;tten, welche un&#x017F;re Philo&#x017F;ophen be-<lb/>
wegt, mit den Huren Mitleid zu haben. Der Sack, worinn<lb/>
&#x017F;ie diejenigen von ihnen ertra&#x0364;nkten, welche einen Kindermord<lb/>
begangen, um &#x017F;ich von der Schande zu befreyen, zeigt nur<lb/>
gar deutlich, durch welchen Weg &#x017F;ie der zufa&#x0364;lligen Wu&#x0364;rkung<lb/>
einer fu&#x0364;r das gemeine Be&#x017F;te des Ehe&#x017F;tandes nothwendigen<lb/>
Schande begegnen wollen. Er zeigt deutlich, daß &#x017F;ie ebenfalls<lb/>
das men&#x017F;chliche Herz gekannt, es aber fu&#x0364;r &#x017F;icherer gehalten<lb/>
haben die Strafe &#x017F;onderbar und er&#x017F;chrecklich zu machen, als<lb/>
jene Schande zu vermindern. Un&#x017F;re neuen Philo&#x017F;ophen hin-<lb/>
gegen vermindern die Schande ohne einmal die Strafe &#x017F;o zu<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;rfen, wie &#x017F;ie un&#x017F;re Vorfahren ge&#x017F;cha&#x0364;rfet haben; und &#x017F;chwer-<lb/>
lich werden &#x017F;ie doch auf die&#x017F;em Wege das wahre Ziel erreichen,<lb/>
oder &#x017F;ie mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en den Ehe&#x017F;tand ganz aufheben, und einer ledi-<lb/>
gen Mutter mit der verehligten gleiche Vorzu&#x0364;ge einra&#x0364;umen.</p><lb/>
        <p>So lange die&#x017F;es nicht ge&#x017F;chicht; &#x017F;o lange die Verachtung,<lb/>
welche man einem ge&#x017F;chwa&#x0364;chten Weibsbilde zeigt, durch eine<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">T 3</fw><fw place="bottom" type="catch">ganz</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0311] der Huren und Hurkinder. Liebe mit einer beſtaͤndigen Verachtung; ſie flochten Kraͤnze fuͤr unbefleckte Braͤute; und hatten tauſenderley Erfindungen ih- ren Ehrentag zu ſchmuͤcken; und warum dieſes? blos um alle Ehre und alle buͤrgerliche Wohlthaten fuͤr den Eheſtand auf- zuheben und dieſen dadurch zu befoͤrdern. Haͤtte dieſen je- mand beweiſen wollen, daß die unaͤchten Kinder insgemein mehr Genie als andre, und an dem Verbrechen ihrer Eltern keine Schuld haͤtten; haͤtte ihnen jemand nach den Grund- ſaͤtzen wilder Voͤlker vormahlen wollen, daß die groͤßten Hu- ren nothwendig die ſchoͤnſten, angenehmſten und liebenswuͤr- digſten ſeyn muͤßten, weil ſie ſo fruͤh und allgemein geſucht worden: ſo wuͤrden ſie gewiß geantwortet haben? Dieſe Gruͤnde ſind richtig im Stande der Natur aber der Abſicht einer Civilvereinigung nicht gemaͤs. Man glaube indeſſen nicht, als wenn ſie nicht auch die Schwierigkeit gefuͤhlet haͤtten, welche unſre Philoſophen be- wegt, mit den Huren Mitleid zu haben. Der Sack, worinn ſie diejenigen von ihnen ertraͤnkten, welche einen Kindermord begangen, um ſich von der Schande zu befreyen, zeigt nur gar deutlich, durch welchen Weg ſie der zufaͤlligen Wuͤrkung einer fuͤr das gemeine Beſte des Eheſtandes nothwendigen Schande begegnen wollen. Er zeigt deutlich, daß ſie ebenfalls das menſchliche Herz gekannt, es aber fuͤr ſicherer gehalten haben die Strafe ſonderbar und erſchrecklich zu machen, als jene Schande zu vermindern. Unſre neuen Philoſophen hin- gegen vermindern die Schande ohne einmal die Strafe ſo zu ſchaͤrfen, wie ſie unſre Vorfahren geſchaͤrfet haben; und ſchwer- lich werden ſie doch auf dieſem Wege das wahre Ziel erreichen, oder ſie muͤſſen den Eheſtand ganz aufheben, und einer ledi- gen Mutter mit der verehligten gleiche Vorzuͤge einraͤumen. So lange dieſes nicht geſchicht; ſo lange die Verachtung, welche man einem geſchwaͤchten Weibsbilde zeigt, durch eine ganz T 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/311
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/311>, abgerufen am 24.11.2024.