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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Ueber die unsern Zeiten verminderte Schande
ganz neue Art von Erziehung nicht ausgerottet wird; so lange
jeder ehrliche Mann sich scheuet eine solche Person zu heyra-
then, eben so lange wird auch die stärkste Versuchung zum
Kindermord bleiben, und die Bemühungen der Gesetzgeber
vereiteln.

Außerdem aber ist die Ehre allezeit ein überaus großes Mit-
tel, um dem Laster zu steuren und die Tugend zu erhalten. In
Ländern wo die Ehre ihren Werth verliert, müssen die Strafen
nothwendig grausam werden; und es scheinet mir überaus be-
denklich zu seyn, die Schande eines Verbrechens, wozu die
Versuchung allemal gleich stark bleiben wird, zu vermindern,
um sich hernach in die Nothwendigkeit grausamer Strafen zu
setzen.

So vernünftig und billig die Schande ist, womit unsre
Vorfahren dem echten Stande zum Besten eine Hure belegt
haben; eben so gerecht und vernünftig ist auch der Flecken,
womit sie die unechten Geburten bezeichnet. Es tritt hier
eben derselbe Grund ein, und der Vorzug aus einem reinen
Ehebette erzeugt zu seyn, muß allen heilig seyn, welche den
Ehestand zu befördern wünschen. Nach den göttlichen Ge-
setzen müssen die Kinder bis ins vierte Glied ihrer Väter Mis-
sethat tragen, um diese so viel kräftiger abzuhalten sich mit
Sünden zu beflecken; warum will der philosophische Gesetz-
geber hier den göttlichen verbessern? Die Mißheyrath eines
Edelmanns wirkt unter dem Schutze der Gesetze bis ins vierte
Glied, warum sollte die unehliche Vermischung im bürgerli-
chen Stande nicht unter gleicher Begünstigung auf das erste
Glied würken? Die Rechte der Menschheit werden in beyden
Fällen keinem genommen. In beyden Fällen findet nur eine
Ausschließung von gewissen Wohlthaten statt, die der Adel
für vollbürtige und der Bürger für echte Kinder ausgesetzt

hat.

Ueber die unſern Zeiten verminderte Schande
ganz neue Art von Erziehung nicht ausgerottet wird; ſo lange
jeder ehrliche Mann ſich ſcheuet eine ſolche Perſon zu heyra-
then, eben ſo lange wird auch die ſtaͤrkſte Verſuchung zum
Kindermord bleiben, und die Bemuͤhungen der Geſetzgeber
vereiteln.

Außerdem aber iſt die Ehre allezeit ein uͤberaus großes Mit-
tel, um dem Laſter zu ſteuren und die Tugend zu erhalten. In
Laͤndern wo die Ehre ihren Werth verliert, muͤſſen die Strafen
nothwendig grauſam werden; und es ſcheinet mir uͤberaus be-
denklich zu ſeyn, die Schande eines Verbrechens, wozu die
Verſuchung allemal gleich ſtark bleiben wird, zu vermindern,
um ſich hernach in die Nothwendigkeit grauſamer Strafen zu
ſetzen.

So vernuͤnftig und billig die Schande iſt, womit unſre
Vorfahren dem echten Stande zum Beſten eine Hure belegt
haben; eben ſo gerecht und vernuͤnftig iſt auch der Flecken,
womit ſie die unechten Geburten bezeichnet. Es tritt hier
eben derſelbe Grund ein, und der Vorzug aus einem reinen
Ehebette erzeugt zu ſeyn, muß allen heilig ſeyn, welche den
Eheſtand zu befoͤrdern wuͤnſchen. Nach den goͤttlichen Ge-
ſetzen muͤſſen die Kinder bis ins vierte Glied ihrer Vaͤter Miſ-
ſethat tragen, um dieſe ſo viel kraͤftiger abzuhalten ſich mit
Suͤnden zu beflecken; warum will der philoſophiſche Geſetz-
geber hier den goͤttlichen verbeſſern? Die Mißheyrath eines
Edelmanns wirkt unter dem Schutze der Geſetze bis ins vierte
Glied, warum ſollte die unehliche Vermiſchung im buͤrgerli-
chen Stande nicht unter gleicher Beguͤnſtigung auf das erſte
Glied wuͤrken? Die Rechte der Menſchheit werden in beyden
Faͤllen keinem genommen. In beyden Faͤllen findet nur eine
Ausſchließung von gewiſſen Wohlthaten ſtatt, die der Adel
fuͤr vollbuͤrtige und der Buͤrger fuͤr echte Kinder ausgeſetzt

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[294/0312] Ueber die unſern Zeiten verminderte Schande ganz neue Art von Erziehung nicht ausgerottet wird; ſo lange jeder ehrliche Mann ſich ſcheuet eine ſolche Perſon zu heyra- then, eben ſo lange wird auch die ſtaͤrkſte Verſuchung zum Kindermord bleiben, und die Bemuͤhungen der Geſetzgeber vereiteln. Außerdem aber iſt die Ehre allezeit ein uͤberaus großes Mit- tel, um dem Laſter zu ſteuren und die Tugend zu erhalten. In Laͤndern wo die Ehre ihren Werth verliert, muͤſſen die Strafen nothwendig grauſam werden; und es ſcheinet mir uͤberaus be- denklich zu ſeyn, die Schande eines Verbrechens, wozu die Verſuchung allemal gleich ſtark bleiben wird, zu vermindern, um ſich hernach in die Nothwendigkeit grauſamer Strafen zu ſetzen. So vernuͤnftig und billig die Schande iſt, womit unſre Vorfahren dem echten Stande zum Beſten eine Hure belegt haben; eben ſo gerecht und vernuͤnftig iſt auch der Flecken, womit ſie die unechten Geburten bezeichnet. Es tritt hier eben derſelbe Grund ein, und der Vorzug aus einem reinen Ehebette erzeugt zu ſeyn, muß allen heilig ſeyn, welche den Eheſtand zu befoͤrdern wuͤnſchen. Nach den goͤttlichen Ge- ſetzen muͤſſen die Kinder bis ins vierte Glied ihrer Vaͤter Miſ- ſethat tragen, um dieſe ſo viel kraͤftiger abzuhalten ſich mit Suͤnden zu beflecken; warum will der philoſophiſche Geſetz- geber hier den goͤttlichen verbeſſern? Die Mißheyrath eines Edelmanns wirkt unter dem Schutze der Geſetze bis ins vierte Glied, warum ſollte die unehliche Vermiſchung im buͤrgerli- chen Stande nicht unter gleicher Beguͤnſtigung auf das erſte Glied wuͤrken? Die Rechte der Menſchheit werden in beyden Faͤllen keinem genommen. In beyden Faͤllen findet nur eine Ausſchließung von gewiſſen Wohlthaten ſtatt, die der Adel fuͤr vollbuͤrtige und der Buͤrger fuͤr echte Kinder ausgeſetzt hat.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/312>, abgerufen am 24.11.2024.