XXXXIIII. Unterschied zwischen der Ehre in großen und in kleinen Städten.
Wie'groß der Unterschied der Ehre und einer rechtschaf- fenen Empfindung in einer unermeßlichen Hauptstadt und den kleinen Haupt- und Landstädten Deutschlandes sey; und wie wenig sich allenfalls von der Gildefähigkeit eines Hurkindes in London, ein Exempel zur Nachfolge nehmen lasse, mag folgende Stelle eines Briefes von Herr Lovell, welchen wir in der London-Chronik vom 19-21 Oct. 1773 lesen, beweisen.
.... Der Streit zwischen mir und Herrn Altermann Wilkes steht jetzt also. Er sagt, ohne es zu beweisen, ich sey ein Bärenhäuter: ich hätte Stockprügel empfan- gen und mich nur mit Thränen vertheidiget ... ich sage und kan ihn stehendes Fußes überführen, er sey ein nie- derträchtiger Betrüger, der jede Gelegenheit genutzet, wo er seine Freunde oder das Publicum bestehlen können; ich sage, um von vielen weniges anzuführen, daß er Sylvien schelmisch behandelt, daß er seine dem Capitain Bodens gegebene Handschrift abgeleugnet; daß er einem französischen Juwelier um eine große Summe schänd- lich betrogen -- ich sage, daß er die ihm anvertraueten Cassen des Fündlings-Hospitals und der Militz von Bukkingham bestohlen; und daß er während der Zeit für einen rechtschaffenen Patrioten angesehn seyn wollte, sich von dem vorigen Ministerio mit einer Pension von tau-
send
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XXXXIIII. Unterſchied zwiſchen der Ehre in großen und in kleinen Staͤdten.
Wie’groß der Unterſchied der Ehre und einer rechtſchaf- fenen Empfindung in einer unermeßlichen Hauptſtadt und den kleinen Haupt- und Landſtaͤdten Deutſchlandes ſey; und wie wenig ſich allenfalls von der Gildefaͤhigkeit eines Hurkindes in London, ein Exempel zur Nachfolge nehmen laſſe, mag folgende Stelle eines Briefes von Herr Lovell, welchen wir in der London-Chronik vom 19-21 Oct. 1773 leſen, beweiſen.
.... Der Streit zwiſchen mir und Herrn Altermann Wilkes ſteht jetzt alſo. Er ſagt, ohne es zu beweiſen, ich ſey ein Baͤrenhaͤuter: ich haͤtte Stockpruͤgel empfan- gen und mich nur mit Thraͤnen vertheidiget … ich ſage und kan ihn ſtehendes Fußes uͤberfuͤhren, er ſey ein nie- dertraͤchtiger Betruͤger, der jede Gelegenheit genutzet, wo er ſeine Freunde oder das Publicum beſtehlen koͤnnen; ich ſage, um von vielen weniges anzufuͤhren, daß er Sylvien ſchelmiſch behandelt, daß er ſeine dem Capitain Bodens gegebene Handſchrift abgeleugnet; daß er einem franzoͤſiſchen Juwelier um eine große Summe ſchaͤnd- lich betrogen — ich ſage, daß er die ihm anvertraueten Caſſen des Fuͤndlings-Hoſpitals und der Militz von Bukkingham beſtohlen; und daß er waͤhrend der Zeit fuͤr einen rechtſchaffenen Patrioten angeſehn ſeyn wollte, ſich von dem vorigen Miniſterio mit einer Penſion von tau-
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XXXXIIII.
Unterſchied zwiſchen der Ehre in großen
und in kleinen Staͤdten.
Wie’groß der Unterſchied der Ehre und einer rechtſchaf-
fenen Empfindung in einer unermeßlichen Hauptſtadt
und den kleinen Haupt- und Landſtaͤdten Deutſchlandes ſey;
und wie wenig ſich allenfalls von der Gildefaͤhigkeit eines
Hurkindes in London, ein Exempel zur Nachfolge nehmen
laſſe, mag folgende Stelle eines Briefes von Herr Lovell,
welchen wir in der London-Chronik vom 19-21 Oct. 1773
leſen, beweiſen.
.... Der Streit zwiſchen mir und Herrn Altermann
Wilkes ſteht jetzt alſo. Er ſagt, ohne es zu beweiſen,
ich ſey ein Baͤrenhaͤuter: ich haͤtte Stockpruͤgel empfan-
gen und mich nur mit Thraͤnen vertheidiget … ich ſage
und kan ihn ſtehendes Fußes uͤberfuͤhren, er ſey ein nie-
dertraͤchtiger Betruͤger, der jede Gelegenheit genutzet,
wo er ſeine Freunde oder das Publicum beſtehlen koͤnnen;
ich ſage, um von vielen weniges anzufuͤhren, daß er
Sylvien ſchelmiſch behandelt, daß er ſeine dem Capitain
Bodens gegebene Handſchrift abgeleugnet; daß er einem
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Caſſen des Fuͤndlings-Hoſpitals und der Militz von
Bukkingham beſtohlen; und daß er waͤhrend der Zeit fuͤr
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/315>, abgerufen am 24.11.2024.
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