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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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von einer Dame auf dem Lande.
über ihre Ankunft, die zärtlichsten Umarmungen, die schmei-
chelhaftesten Liebkosungen folgten einander ganz ungezwun-
gen; und mein Mann, der durch diesen poßierlichen Einfall
fortgerissen wurde, gab mir nichts nach. Wir lachten beyde
über unsre Rollen von ganzen Herzen, und unsre Gäste, die
dieses Lachen vor lauter Zeichen der Freude über ihre Ankunft
dankbar annahmen, drückten ihre Zufriedenheit mit gleicher
Lebhaftigkeit aus, und ehe eine Viertelstunde vorüber gieng,
waren wir alle so aufgeräumt, als wenn wir uns recht zum
Vergnügen bey einander versammlet hätten. Der Mangel
des Bratens wurde leicht ersetzt; das Neglige fand Beyfall
und der Tag lief uns in den Tone so fort, daß wir uns am
Abend nicht scheiden konnten. Es war als wenn sich auf ein-
mal ein ganz neuer Geist unser bemeistert hatte, und was erst
blos Rolle war, hatte sich dergestalt in Natur verwandelt,
daß wir würklich alles dasjenige fühlten, was wir Anfangs
nur spielen wollten.

Was dünkt Ihnen, liebste Freundin! von diesem Mittel,
sich in eine gute Laune, die wir so selten in unsrer Gewalt
haben, zu versetzen? Sollte es nicht zu dieser Zeit, wo man
oft so verdrüßlich empfangen und so kaltsinnig entlassen wird,
eine öffentliche Bekanntmachung verdienen? Die ganze Kunst
scheinet nur darinn zu bestehen, daß man seine Freunde erst
aufgeräumt und erkenntlich macht; und wird dieses gleich
Anfangs durch eine glückliche Verstellung erzwungen: so kön-
nen wir selbst nicht unaufgeräumt und unerkenntlich bleiben,
sondern müssen nach einer ganz natürlichen Harmonie mit
einstimmen. Wir vergessen so dann das Mittel und schme-
cken nur die Süßigkeiten des Erfolgs.

Mein Vater ein tiefsinniger Mann, der seine Hausrech-
nungen niemals nachsahe, aber dagegen den Lauf der Come-

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von einer Dame auf dem Lande.
uͤber ihre Ankunft, die zaͤrtlichſten Umarmungen, die ſchmei-
chelhafteſten Liebkoſungen folgten einander ganz ungezwun-
gen; und mein Mann, der durch dieſen poßierlichen Einfall
fortgeriſſen wurde, gab mir nichts nach. Wir lachten beyde
uͤber unſre Rollen von ganzen Herzen, und unſre Gaͤſte, die
dieſes Lachen vor lauter Zeichen der Freude uͤber ihre Ankunft
dankbar annahmen, druͤckten ihre Zufriedenheit mit gleicher
Lebhaftigkeit aus, und ehe eine Viertelſtunde voruͤber gieng,
waren wir alle ſo aufgeraͤumt, als wenn wir uns recht zum
Vergnuͤgen bey einander verſammlet haͤtten. Der Mangel
des Bratens wurde leicht erſetzt; das Neglige fand Beyfall
und der Tag lief uns in den Tone ſo fort, daß wir uns am
Abend nicht ſcheiden konnten. Es war als wenn ſich auf ein-
mal ein ganz neuer Geiſt unſer bemeiſtert hatte, und was erſt
blos Rolle war, hatte ſich dergeſtalt in Natur verwandelt,
daß wir wuͤrklich alles dasjenige fuͤhlten, was wir Anfangs
nur ſpielen wollten.

Was duͤnkt Ihnen, liebſte Freundin! von dieſem Mittel,
ſich in eine gute Laune, die wir ſo ſelten in unſrer Gewalt
haben, zu verſetzen? Sollte es nicht zu dieſer Zeit, wo man
oft ſo verdruͤßlich empfangen und ſo kaltſinnig entlaſſen wird,
eine oͤffentliche Bekanntmachung verdienen? Die ganze Kunſt
ſcheinet nur darinn zu beſtehen, daß man ſeine Freunde erſt
aufgeraͤumt und erkenntlich macht; und wird dieſes gleich
Anfangs durch eine gluͤckliche Verſtellung erzwungen: ſo koͤn-
nen wir ſelbſt nicht unaufgeraͤumt und unerkenntlich bleiben,
ſondern muͤſſen nach einer ganz natuͤrlichen Harmonie mit
einſtimmen. Wir vergeſſen ſo dann das Mittel und ſchme-
cken nur die Suͤßigkeiten des Erfolgs.

Mein Vater ein tiefſinniger Mann, der ſeine Hausrech-
nungen niemals nachſahe, aber dagegen den Lauf der Come-

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[371/0389] von einer Dame auf dem Lande. uͤber ihre Ankunft, die zaͤrtlichſten Umarmungen, die ſchmei- chelhafteſten Liebkoſungen folgten einander ganz ungezwun- gen; und mein Mann, der durch dieſen poßierlichen Einfall fortgeriſſen wurde, gab mir nichts nach. Wir lachten beyde uͤber unſre Rollen von ganzen Herzen, und unſre Gaͤſte, die dieſes Lachen vor lauter Zeichen der Freude uͤber ihre Ankunft dankbar annahmen, druͤckten ihre Zufriedenheit mit gleicher Lebhaftigkeit aus, und ehe eine Viertelſtunde voruͤber gieng, waren wir alle ſo aufgeraͤumt, als wenn wir uns recht zum Vergnuͤgen bey einander verſammlet haͤtten. Der Mangel des Bratens wurde leicht erſetzt; das Neglige fand Beyfall und der Tag lief uns in den Tone ſo fort, daß wir uns am Abend nicht ſcheiden konnten. Es war als wenn ſich auf ein- mal ein ganz neuer Geiſt unſer bemeiſtert hatte, und was erſt blos Rolle war, hatte ſich dergeſtalt in Natur verwandelt, daß wir wuͤrklich alles dasjenige fuͤhlten, was wir Anfangs nur ſpielen wollten. Was duͤnkt Ihnen, liebſte Freundin! von dieſem Mittel, ſich in eine gute Laune, die wir ſo ſelten in unſrer Gewalt haben, zu verſetzen? Sollte es nicht zu dieſer Zeit, wo man oft ſo verdruͤßlich empfangen und ſo kaltſinnig entlaſſen wird, eine oͤffentliche Bekanntmachung verdienen? Die ganze Kunſt ſcheinet nur darinn zu beſtehen, daß man ſeine Freunde erſt aufgeraͤumt und erkenntlich macht; und wird dieſes gleich Anfangs durch eine gluͤckliche Verſtellung erzwungen: ſo koͤn- nen wir ſelbſt nicht unaufgeraͤumt und unerkenntlich bleiben, ſondern muͤſſen nach einer ganz natuͤrlichen Harmonie mit einſtimmen. Wir vergeſſen ſo dann das Mittel und ſchme- cken nur die Suͤßigkeiten des Erfolgs. Mein Vater ein tiefſinniger Mann, der ſeine Hausrech- nungen niemals nachſahe, aber dagegen den Lauf der Come- ten A a 2

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/389>, abgerufen am 24.11.2024.