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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Man sollte den alten Geckorden
Dichter, und alles was vom Stande war gab sich mit der
Dichtkunst ab, hatte also seine beständige Muse die ihn be-
geisterte, und welcher er wiederum seine Lieder weihte. Es
war dem Anbeter erlaubt seiner Dame alles was nur fein
und schmeichelhaft war zu sagen, und ihre Schönheit dasje-
nige Opfer zu bringen, was der Wohlstand erlaubte. Die
größten Prinzeßinnen machten sich eine Ehre aus dieser An-
betung, und der Quichotismus einiger Dichter gieng so weit,
daß sie sich Dulcineen in Gedanken wählten, und für Perso-
nen, die sie in ihren Leben nicht gesehen hatten, aus einer
idealischen Liebe verschmachteten wie Jaufred Riedel für die
Gräfin von Tripolis. a)

Wenn man die Vergnügungen der Zeit, worinn dieser hohe
Stil der Kunst stets frölich zu seyn herrschte, nur einiger mas-
sen überdenket: so wird man die Würkungen davon leicht er-
rathen. Auf unsern Bällen werden die Paare durchs Loos
gezogen; und diese sogenannten Glücksehen erhöhen sicher den
guten Ton, geben zu manchem schönen Einfalle Anlaß, und
füllen das Leere aus, was der Klang großer Gläser niemals
erfüllen will. Was hier diese Glücksehen thun, das thaten
wahrscheinlich jene Verbindungen in einem höhern Maaße.
Es mußte nothwendig die Gesellschaft lebhaft machen, wenn
jeder Dichter seine Dame öffentlich sagen durfte, was er bey
ihrem Anblick fühlte; und wenn diese ihm in eben dem Tone
antworten konnte. Jedes Auge mußte heiterer, jeder Mund
beredter, und jeder Einfall leichter seyn, als jetzt, wo der
Mann seiner Frauen gar nichts, der Liebhaber aber seine

Schmei-
a) Er gieng zu Schiffe um sie zu sehen, und starb bey seiner
Ankunft. Vorher hatte er schon ein Lied auf den Fall ge-
macht, wenn er, ohne sie zu sehen, zurück reisen müßte;
es fieng an: Irat et dolent m'en partray s'yeu non
vey est amour de luench etc.

Man ſollte den alten Geckorden
Dichter, und alles was vom Stande war gab ſich mit der
Dichtkunſt ab, hatte alſo ſeine beſtaͤndige Muſe die ihn be-
geiſterte, und welcher er wiederum ſeine Lieder weihte. Es
war dem Anbeter erlaubt ſeiner Dame alles was nur fein
und ſchmeichelhaft war zu ſagen, und ihre Schoͤnheit dasje-
nige Opfer zu bringen, was der Wohlſtand erlaubte. Die
groͤßten Prinzeßinnen machten ſich eine Ehre aus dieſer An-
betung, und der Quichotiſmus einiger Dichter gieng ſo weit,
daß ſie ſich Dulcineen in Gedanken waͤhlten, und fuͤr Perſo-
nen, die ſie in ihren Leben nicht geſehen hatten, aus einer
idealiſchen Liebe verſchmachteten wie Jaufred Riedel fuͤr die
Graͤfin von Tripolis. a)

Wenn man die Vergnuͤgungen der Zeit, worinn dieſer hohe
Stil der Kunſt ſtets froͤlich zu ſeyn herrſchte, nur einiger maſ-
ſen uͤberdenket: ſo wird man die Wuͤrkungen davon leicht er-
rathen. Auf unſern Baͤllen werden die Paare durchs Loos
gezogen; und dieſe ſogenannten Gluͤcksehen erhoͤhen ſicher den
guten Ton, geben zu manchem ſchoͤnen Einfalle Anlaß, und
fuͤllen das Leere aus, was der Klang großer Glaͤſer niemals
erfuͤllen will. Was hier dieſe Gluͤcksehen thun, das thaten
wahrſcheinlich jene Verbindungen in einem hoͤhern Maaße.
Es mußte nothwendig die Geſellſchaft lebhaft machen, wenn
jeder Dichter ſeine Dame oͤffentlich ſagen durfte, was er bey
ihrem Anblick fuͤhlte; und wenn dieſe ihm in eben dem Tone
antworten konnte. Jedes Auge mußte heiterer, jeder Mund
beredter, und jeder Einfall leichter ſeyn, als jetzt, wo der
Mann ſeiner Frauen gar nichts, der Liebhaber aber ſeine

Schmei-
a) Er gieng zu Schiffe um ſie zu ſehen, und ſtarb bey ſeiner
Ankunft. Vorher hatte er ſchon ein Lied auf den Fall ge-
macht, wenn er, ohne ſie zu ſehen, zuruͤck reiſen muͤßte;
es fieng an: Irat et dolent m’en partray s’yeu non
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[380/0398] Man ſollte den alten Geckorden Dichter, und alles was vom Stande war gab ſich mit der Dichtkunſt ab, hatte alſo ſeine beſtaͤndige Muſe die ihn be- geiſterte, und welcher er wiederum ſeine Lieder weihte. Es war dem Anbeter erlaubt ſeiner Dame alles was nur fein und ſchmeichelhaft war zu ſagen, und ihre Schoͤnheit dasje- nige Opfer zu bringen, was der Wohlſtand erlaubte. Die groͤßten Prinzeßinnen machten ſich eine Ehre aus dieſer An- betung, und der Quichotiſmus einiger Dichter gieng ſo weit, daß ſie ſich Dulcineen in Gedanken waͤhlten, und fuͤr Perſo- nen, die ſie in ihren Leben nicht geſehen hatten, aus einer idealiſchen Liebe verſchmachteten wie Jaufred Riedel fuͤr die Graͤfin von Tripolis. a) Wenn man die Vergnuͤgungen der Zeit, worinn dieſer hohe Stil der Kunſt ſtets froͤlich zu ſeyn herrſchte, nur einiger maſ- ſen uͤberdenket: ſo wird man die Wuͤrkungen davon leicht er- rathen. Auf unſern Baͤllen werden die Paare durchs Loos gezogen; und dieſe ſogenannten Gluͤcksehen erhoͤhen ſicher den guten Ton, geben zu manchem ſchoͤnen Einfalle Anlaß, und fuͤllen das Leere aus, was der Klang großer Glaͤſer niemals erfuͤllen will. Was hier dieſe Gluͤcksehen thun, das thaten wahrſcheinlich jene Verbindungen in einem hoͤhern Maaße. Es mußte nothwendig die Geſellſchaft lebhaft machen, wenn jeder Dichter ſeine Dame oͤffentlich ſagen durfte, was er bey ihrem Anblick fuͤhlte; und wenn dieſe ihm in eben dem Tone antworten konnte. Jedes Auge mußte heiterer, jeder Mund beredter, und jeder Einfall leichter ſeyn, als jetzt, wo der Mann ſeiner Frauen gar nichts, der Liebhaber aber ſeine Schmei- a) Er gieng zu Schiffe um ſie zu ſehen, und ſtarb bey ſeiner Ankunft. Vorher hatte er ſchon ein Lied auf den Fall ge- macht, wenn er, ohne ſie zu ſehen, zuruͤck reiſen muͤßte; es fieng an: Irat et dolent m’en partray s’yeu non vey eſt amour de luench etc.

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/398>, abgerufen am 22.11.2024.