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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

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Für die warmen Stuben der Landleute.

Ein Mensch der des Sommers in der Hitze arbeitet, und
oft in einem Tage mehr Schweiß vergießt, als ein Gelehrter
in einem Monate, würde dem Ansehen nach den langen Win-
ter nicht durchdauern, wenn er alsdenn nicht bisweilen in eben
der Maaße schwitzte, wie im Sommer. Der Russe kriecht
in einen warmen Backofen; die nordischen Völker hatten vor-
dem viele heisse Badstuben; sie haben später dicke Federbet-
ten und zuletzt warme Stuben zugelegt; sie haben zuerst die
Nothwendigkeit der Hemde von Leinewand eingesehen. Die-
ses einstimmige Verfahren der nordischen Völker, welches nicht
durch Bücher und Zeitungen, sondern durch eine überall wür-
kende Bedürfniß und Erfahrung erzeugt worden, macht es
sehr wahrscheinlich, daß ein Mann aus den nördlichen Ge-
genden, der des Sommers sein Brodt in dem stärksten
Schweisse gewinnet, des Winters nicht mit dem Maaße der
Wärme zukommen könne, womit müßige Leute, und ein Theil
Bürger in den Städten, die das ganze Jahr durch in der
Werkstätte sitzen, sich billig befriedigen. Die Natur entle-
diget sich von sehr vielen Uebeln durch den Schweiß; und sie
wählt diesen Weg gewiß fünfmal mehr als jeden andern.
Auch diese scheinet also jener Erfahrung das Wort zu reden,
und mit ihr einzustimmen.

Ich gebe es zu, daß Italiäner sich des Winters mit einem
Sonnencamine, und mit einer dünnen Bettdecke behelfen
können; allein der Italiäner ist ganz anders gemacht wie der
nördliche Deutsche; der fleischichter, blutreicher und weicher
ist als jener, und die Arbeit nicht so trocken verrichten kan
als ein festhäutiger, nervigter und geschmeidiger Südländer.
Ohnstreitig erfordert die Natur andre Körper in kalten als in
warmen Ländern; aber eben deswegen erfordern auch beyde
eine ganz unterschiedene Diät, und die heissen Badstuben
und Backofen, oder die dicken Federbette und warmen Stu-

ben
Fuͤr die warmen Stuben der Landleute.

Ein Menſch der des Sommers in der Hitze arbeitet, und
oft in einem Tage mehr Schweiß vergießt, als ein Gelehrter
in einem Monate, wuͤrde dem Anſehen nach den langen Win-
ter nicht durchdauern, wenn er alsdenn nicht bisweilen in eben
der Maaße ſchwitzte, wie im Sommer. Der Ruſſe kriecht
in einen warmen Backofen; die nordiſchen Voͤlker hatten vor-
dem viele heiſſe Badſtuben; ſie haben ſpaͤter dicke Federbet-
ten und zuletzt warme Stuben zugelegt; ſie haben zuerſt die
Nothwendigkeit der Hemde von Leinewand eingeſehen. Die-
ſes einſtimmige Verfahren der nordiſchen Voͤlker, welches nicht
durch Buͤcher und Zeitungen, ſondern durch eine uͤberall wuͤr-
kende Beduͤrfniß und Erfahrung erzeugt worden, macht es
ſehr wahrſcheinlich, daß ein Mann aus den noͤrdlichen Ge-
genden, der des Sommers ſein Brodt in dem ſtaͤrkſten
Schweiſſe gewinnet, des Winters nicht mit dem Maaße der
Waͤrme zukommen koͤnne, womit muͤßige Leute, und ein Theil
Buͤrger in den Staͤdten, die das ganze Jahr durch in der
Werkſtaͤtte ſitzen, ſich billig befriedigen. Die Natur entle-
diget ſich von ſehr vielen Uebeln durch den Schweiß; und ſie
waͤhlt dieſen Weg gewiß fuͤnfmal mehr als jeden andern.
Auch dieſe ſcheinet alſo jener Erfahrung das Wort zu reden,
und mit ihr einzuſtimmen.

Ich gebe es zu, daß Italiaͤner ſich des Winters mit einem
Sonnencamine, und mit einer duͤnnen Bettdecke behelfen
koͤnnen; allein der Italiaͤner iſt ganz anders gemacht wie der
noͤrdliche Deutſche; der fleiſchichter, blutreicher und weicher
iſt als jener, und die Arbeit nicht ſo trocken verrichten kan
als ein feſthaͤutiger, nervigter und geſchmeidiger Suͤdlaͤnder.
Ohnſtreitig erfordert die Natur andre Koͤrper in kalten als in
warmen Laͤndern; aber eben deswegen erfordern auch beyde
eine ganz unterſchiedene Diaͤt, und die heiſſen Badſtuben
und Backofen, oder die dicken Federbette und warmen Stu-

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[415/0433] Fuͤr die warmen Stuben der Landleute. Ein Menſch der des Sommers in der Hitze arbeitet, und oft in einem Tage mehr Schweiß vergießt, als ein Gelehrter in einem Monate, wuͤrde dem Anſehen nach den langen Win- ter nicht durchdauern, wenn er alsdenn nicht bisweilen in eben der Maaße ſchwitzte, wie im Sommer. Der Ruſſe kriecht in einen warmen Backofen; die nordiſchen Voͤlker hatten vor- dem viele heiſſe Badſtuben; ſie haben ſpaͤter dicke Federbet- ten und zuletzt warme Stuben zugelegt; ſie haben zuerſt die Nothwendigkeit der Hemde von Leinewand eingeſehen. Die- ſes einſtimmige Verfahren der nordiſchen Voͤlker, welches nicht durch Buͤcher und Zeitungen, ſondern durch eine uͤberall wuͤr- kende Beduͤrfniß und Erfahrung erzeugt worden, macht es ſehr wahrſcheinlich, daß ein Mann aus den noͤrdlichen Ge- genden, der des Sommers ſein Brodt in dem ſtaͤrkſten Schweiſſe gewinnet, des Winters nicht mit dem Maaße der Waͤrme zukommen koͤnne, womit muͤßige Leute, und ein Theil Buͤrger in den Staͤdten, die das ganze Jahr durch in der Werkſtaͤtte ſitzen, ſich billig befriedigen. Die Natur entle- diget ſich von ſehr vielen Uebeln durch den Schweiß; und ſie waͤhlt dieſen Weg gewiß fuͤnfmal mehr als jeden andern. Auch dieſe ſcheinet alſo jener Erfahrung das Wort zu reden, und mit ihr einzuſtimmen. Ich gebe es zu, daß Italiaͤner ſich des Winters mit einem Sonnencamine, und mit einer duͤnnen Bettdecke behelfen koͤnnen; allein der Italiaͤner iſt ganz anders gemacht wie der noͤrdliche Deutſche; der fleiſchichter, blutreicher und weicher iſt als jener, und die Arbeit nicht ſo trocken verrichten kan als ein feſthaͤutiger, nervigter und geſchmeidiger Suͤdlaͤnder. Ohnſtreitig erfordert die Natur andre Koͤrper in kalten als in warmen Laͤndern; aber eben deswegen erfordern auch beyde eine ganz unterſchiedene Diaͤt, und die heiſſen Badſtuben und Backofen, oder die dicken Federbette und warmen Stu- ben

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/433>, abgerufen am 22.11.2024.