Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

Umgekehrt: es ist rathsamer
noch jetzo davon in den vielfältigen, selbst da wo man jetzt
flickt, vorhandenen Ruinen. Nur ihre neuere Nachkommen
flicken und flicken bis sie die ganze Natur jener Wege zerstö-
ret und durch den nächsten den besten Sand oder Koth, Wa-
sen, Stroh und Quecken, das sonst noch erträgliche Terrain
zu grundlosen Morästen und Fluch auspressenden Mordwegen
umschaffen. Sehr oft habe ich es erfahren, daß natürliche
Schlaglöcher weniger gefährlich zu paßiren, als die geflickten
Wege, die ich alsdenn lieber gekünstelte Mordgruben betitelt
hätte.

Ich halte es überflüßig, das fehlerhafte der von Frost und
Hitze hergenommenen Wegebesserungsmittel weitläuftig zu
zeigen. Wer Wege, die geflickt werden, kennet, und die
Kinderjahre zurück geleget, um von der Ungewißheit auch
selbst unsrer sogenannten beständigen Jahrszeiten Erfahrungen
zu sammlen, der wird jene willkührliche Besserung nie an-
preisen, es sey denn, daß er es wage den Rath hinzuzufügen:
Unsere Frachten wie die Alten so einzurichten, daß wir sie
nur in der besten Jahrszeit ab- und zuführten.

Soll eine Heerstraße nun zu allen Zeiten fahrbar seyn; so
erfordert solche Aufsicht mithin Kosten. Woher dann aber
die Kosten dieser für die Ewigkeit angestelleten Aufsicht, dieser
Unterhaltung, so unbeträchtlich sie auch gegen das immer-
währende Flicken seyn mag? Ist dazu ein Weggeld gut und
rathsam, wird nicht der Unterthan dadurch auf eine neue Art
gedrücket und wird denn solches zum Endzwecke hinreichen?

Ich würde zweifelhaft bey dieser Frage gewesen seyn, wenn
nicht einige Tage zuvor als ich sie mir in einem gewissen Lande
bey der würklichen Abforderung zweener Groschen für die
Befahrung einer Meile neu erbaueten Weges, aufzuwerfen

Gele-

Umgekehrt: es iſt rathſamer
noch jetzo davon in den vielfaͤltigen, ſelbſt da wo man jetzt
flickt, vorhandenen Ruinen. Nur ihre neuere Nachkommen
flicken und flicken bis ſie die ganze Natur jener Wege zerſtoͤ-
ret und durch den naͤchſten den beſten Sand oder Koth, Wa-
ſen, Stroh und Quecken, das ſonſt noch ertraͤgliche Terrain
zu grundloſen Moraͤſten und Fluch auspreſſenden Mordwegen
umſchaffen. Sehr oft habe ich es erfahren, daß natuͤrliche
Schlagloͤcher weniger gefaͤhrlich zu paßiren, als die geflickten
Wege, die ich alsdenn lieber gekuͤnſtelte Mordgruben betitelt
haͤtte.

Ich halte es uͤberfluͤßig, das fehlerhafte der von Froſt und
Hitze hergenommenen Wegebeſſerungsmittel weitlaͤuftig zu
zeigen. Wer Wege, die geflickt werden, kennet, und die
Kinderjahre zuruͤck geleget, um von der Ungewißheit auch
ſelbſt unſrer ſogenannten beſtaͤndigen Jahrszeiten Erfahrungen
zu ſammlen, der wird jene willkuͤhrliche Beſſerung nie an-
preiſen, es ſey denn, daß er es wage den Rath hinzuzufuͤgen:
Unſere Frachten wie die Alten ſo einzurichten, daß wir ſie
nur in der beſten Jahrszeit ab- und zuführten.

Soll eine Heerſtraße nun zu allen Zeiten fahrbar ſeyn; ſo
erfordert ſolche Aufſicht mithin Koſten. Woher dann aber
die Koſten dieſer fuͤr die Ewigkeit angeſtelleten Aufſicht, dieſer
Unterhaltung, ſo unbetraͤchtlich ſie auch gegen das immer-
waͤhrende Flicken ſeyn mag? Iſt dazu ein Weggeld gut und
rathſam, wird nicht der Unterthan dadurch auf eine neue Art
gedruͤcket und wird denn ſolches zum Endzwecke hinreichen?

Ich wuͤrde zweifelhaft bey dieſer Frage geweſen ſeyn, wenn
nicht einige Tage zuvor als ich ſie mir in einem gewiſſen Lande
bey der wuͤrklichen Abforderung zweener Groſchen fuͤr die
Befahrung einer Meile neu erbaueten Weges, aufzuwerfen

Gele-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0444" n="426"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Umgekehrt: es i&#x017F;t rath&#x017F;amer</hi></fw><lb/>
noch jetzo davon in den vielfa&#x0364;ltigen, &#x017F;elb&#x017F;t da wo man jetzt<lb/>
flickt, vorhandenen Ruinen. Nur ihre neuere Nachkommen<lb/>
flicken und flicken bis &#x017F;ie die ganze Natur jener Wege zer&#x017F;to&#x0364;-<lb/>
ret und durch den na&#x0364;ch&#x017F;ten den be&#x017F;ten Sand oder Koth, Wa-<lb/>
&#x017F;en, Stroh und Quecken, das &#x017F;on&#x017F;t noch ertra&#x0364;gliche Terrain<lb/>
zu grundlo&#x017F;en Mora&#x0364;&#x017F;ten und Fluch auspre&#x017F;&#x017F;enden Mordwegen<lb/>
um&#x017F;chaffen. Sehr oft habe ich es erfahren, daß natu&#x0364;rliche<lb/>
Schlaglo&#x0364;cher weniger gefa&#x0364;hrlich zu paßiren, als die geflickten<lb/>
Wege, die ich alsdenn lieber geku&#x0364;n&#x017F;telte Mordgruben betitelt<lb/>
ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <p>Ich halte es u&#x0364;berflu&#x0364;ßig, das fehlerhafte der von Fro&#x017F;t und<lb/>
Hitze hergenommenen Wegebe&#x017F;&#x017F;erungsmittel weitla&#x0364;uftig zu<lb/>
zeigen. Wer Wege, die geflickt werden, kennet, und die<lb/>
Kinderjahre zuru&#x0364;ck geleget, um von der Ungewißheit auch<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t un&#x017F;rer &#x017F;ogenannten be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Jahrszeiten Erfahrungen<lb/>
zu &#x017F;ammlen, der wird jene willku&#x0364;hrliche Be&#x017F;&#x017F;erung nie an-<lb/>
prei&#x017F;en, es &#x017F;ey denn, daß er es wage den Rath hinzuzufu&#x0364;gen:<lb/><hi rendition="#fr">Un&#x017F;ere Frachten wie die Alten &#x017F;o einzurichten, daß wir &#x017F;ie<lb/>
nur in der be&#x017F;ten Jahrszeit ab- und zuführten.</hi></p><lb/>
        <p>Soll eine Heer&#x017F;traße nun zu allen Zeiten fahrbar &#x017F;eyn; &#x017F;o<lb/>
erfordert &#x017F;olche Auf&#x017F;icht mithin Ko&#x017F;ten. Woher dann aber<lb/>
die Ko&#x017F;ten die&#x017F;er fu&#x0364;r die Ewigkeit ange&#x017F;telleten Auf&#x017F;icht, die&#x017F;er<lb/>
Unterhaltung, &#x017F;o unbetra&#x0364;chtlich &#x017F;ie auch gegen das immer-<lb/>
wa&#x0364;hrende Flicken &#x017F;eyn mag? I&#x017F;t dazu ein Weggeld gut und<lb/>
rath&#x017F;am, wird nicht der Unterthan dadurch auf eine neue Art<lb/>
gedru&#x0364;cket und wird denn &#x017F;olches zum Endzwecke hinreichen?</p><lb/>
        <p>Ich wu&#x0364;rde zweifelhaft bey die&#x017F;er Frage gewe&#x017F;en &#x017F;eyn, wenn<lb/>
nicht einige Tage zuvor als ich &#x017F;ie mir in einem gewi&#x017F;&#x017F;en Lande<lb/>
bey der wu&#x0364;rklichen Abforderung zweener Gro&#x017F;chen fu&#x0364;r die<lb/>
Befahrung einer Meile neu erbaueten Weges, aufzuwerfen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Gele-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[426/0444] Umgekehrt: es iſt rathſamer noch jetzo davon in den vielfaͤltigen, ſelbſt da wo man jetzt flickt, vorhandenen Ruinen. Nur ihre neuere Nachkommen flicken und flicken bis ſie die ganze Natur jener Wege zerſtoͤ- ret und durch den naͤchſten den beſten Sand oder Koth, Wa- ſen, Stroh und Quecken, das ſonſt noch ertraͤgliche Terrain zu grundloſen Moraͤſten und Fluch auspreſſenden Mordwegen umſchaffen. Sehr oft habe ich es erfahren, daß natuͤrliche Schlagloͤcher weniger gefaͤhrlich zu paßiren, als die geflickten Wege, die ich alsdenn lieber gekuͤnſtelte Mordgruben betitelt haͤtte. Ich halte es uͤberfluͤßig, das fehlerhafte der von Froſt und Hitze hergenommenen Wegebeſſerungsmittel weitlaͤuftig zu zeigen. Wer Wege, die geflickt werden, kennet, und die Kinderjahre zuruͤck geleget, um von der Ungewißheit auch ſelbſt unſrer ſogenannten beſtaͤndigen Jahrszeiten Erfahrungen zu ſammlen, der wird jene willkuͤhrliche Beſſerung nie an- preiſen, es ſey denn, daß er es wage den Rath hinzuzufuͤgen: Unſere Frachten wie die Alten ſo einzurichten, daß wir ſie nur in der beſten Jahrszeit ab- und zuführten. Soll eine Heerſtraße nun zu allen Zeiten fahrbar ſeyn; ſo erfordert ſolche Aufſicht mithin Koſten. Woher dann aber die Koſten dieſer fuͤr die Ewigkeit angeſtelleten Aufſicht, dieſer Unterhaltung, ſo unbetraͤchtlich ſie auch gegen das immer- waͤhrende Flicken ſeyn mag? Iſt dazu ein Weggeld gut und rathſam, wird nicht der Unterthan dadurch auf eine neue Art gedruͤcket und wird denn ſolches zum Endzwecke hinreichen? Ich wuͤrde zweifelhaft bey dieſer Frage geweſen ſeyn, wenn nicht einige Tage zuvor als ich ſie mir in einem gewiſſen Lande bey der wuͤrklichen Abforderung zweener Groſchen fuͤr die Befahrung einer Meile neu erbaueten Weges, aufzuwerfen Gele-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/444
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/444>, abgerufen am 22.11.2024.