passen, und das moralische Spielzeug oder die Wiegenmähr- gen da gebrauchen, wo es vergeblich seyn würde von Pflichten, deren Verbindlichkeit ein Kind nie mit der gehörigen Stärke fühlt, zu reden.
Alles was Sie mir von dem Unterricht des Verstandes, und der Besserung des Willens sagen, verwerfe ich nicht, nur müssen Sie den letzten nicht blos vom ersten abhangen lassen. Besuchen Sie alle Hausmütter auf dem Lande, und bemerken die Art, wie sie ihre Kinder erziehen. Keine einzige unter ihnen wird sich gerade zu darum bemühen ihren Kindern ei- nen Begriff von der Moralität freyer Handlungen zu geben. Jede wird nach einem praktischen Gefühl die Hauptleidenschaft ihres Kindes zu seiner Besserung gebrauchen, und ihm blos den unmittelbaren Schaden vormahlen, den es von einer bösen Handlung hat. Diesen Weg hat ihr die treue Erfahrung ge- lehrt; der unmittelbare Schade, sollte er auch in einer guten Züchtigung bestehn, würket näher und schärfer, als der ent- fernte, der durch Schlüsse herbey geholt wird. In allen un- sern Handlungen liegt zwar ein Schluß zum Grunde, aber es ist falsch, daß wir ihn allemal selbst machen. Der glückliche Mensch wird leichter und schneller geführt als durch kalte Ue- berlegungen. Die Leidenschaft, diese edle Gabe Gottes, führet ihn sicherer als die aufgeklärteste Vernunft; und Lei- denschaften geben Fertigkeiten; welche zur Zeit der Versuchung treuer aushalten als das Urtheil, was nach Gründen gefället werden soll.
Vielleicht übertreibe ich die Sache auf der einen Seite, aber Sie übertreiben sie gewiß auch auf der andern. Doch ich habe Ihnen heute genug gesagt, daher will ich das übrige ein andermal nachholen.
LXXIX.
Schr. einer Mut. an einen philoſophiſ. Kinderl.
paſſen, und das moraliſche Spielzeug oder die Wiegenmaͤhr- gen da gebrauchen, wo es vergeblich ſeyn wuͤrde von Pflichten, deren Verbindlichkeit ein Kind nie mit der gehoͤrigen Staͤrke fuͤhlt, zu reden.
Alles was Sie mir von dem Unterricht des Verſtandes, und der Beſſerung des Willens ſagen, verwerfe ich nicht, nur muͤſſen Sie den letzten nicht blos vom erſten abhangen laſſen. Beſuchen Sie alle Hausmuͤtter auf dem Lande, und bemerken die Art, wie ſie ihre Kinder erziehen. Keine einzige unter ihnen wird ſich gerade zu darum bemuͤhen ihren Kindern ei- nen Begriff von der Moralitaͤt freyer Handlungen zu geben. Jede wird nach einem praktiſchen Gefuͤhl die Hauptleidenſchaft ihres Kindes zu ſeiner Beſſerung gebrauchen, und ihm blos den unmittelbaren Schaden vormahlen, den es von einer boͤſen Handlung hat. Dieſen Weg hat ihr die treue Erfahrung ge- lehrt; der unmittelbare Schade, ſollte er auch in einer guten Zuͤchtigung beſtehn, wuͤrket naͤher und ſchaͤrfer, als der ent- fernte, der durch Schluͤſſe herbey geholt wird. In allen un- ſern Handlungen liegt zwar ein Schluß zum Grunde, aber es iſt falſch, daß wir ihn allemal ſelbſt machen. Der gluͤckliche Menſch wird leichter und ſchneller gefuͤhrt als durch kalte Ue- berlegungen. Die Leidenſchaft, dieſe edle Gabe Gottes, fuͤhret ihn ſicherer als die aufgeklaͤrteſte Vernunft; und Lei- denſchaften geben Fertigkeiten; welche zur Zeit der Verſuchung treuer aushalten als das Urtheil, was nach Gruͤnden gefaͤllet werden ſoll.
Vielleicht uͤbertreibe ich die Sache auf der einen Seite, aber Sie uͤbertreiben ſie gewiß auch auf der andern. Doch ich habe Ihnen heute genug geſagt, daher will ich das uͤbrige ein andermal nachholen.
LXXIX.
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Schr. einer Mut. an einen philoſophiſ. Kinderl.
paſſen, und das moraliſche Spielzeug oder die Wiegenmaͤhr-
gen da gebrauchen, wo es vergeblich ſeyn wuͤrde von Pflichten,
deren Verbindlichkeit ein Kind nie mit der gehoͤrigen Staͤrke
fuͤhlt, zu reden.
Alles was Sie mir von dem Unterricht des Verſtandes, und
der Beſſerung des Willens ſagen, verwerfe ich nicht, nur
muͤſſen Sie den letzten nicht blos vom erſten abhangen laſſen.
Beſuchen Sie alle Hausmuͤtter auf dem Lande, und bemerken
die Art, wie ſie ihre Kinder erziehen. Keine einzige unter
ihnen wird ſich gerade zu darum bemuͤhen ihren Kindern ei-
nen Begriff von der Moralitaͤt freyer Handlungen zu geben.
Jede wird nach einem praktiſchen Gefuͤhl die Hauptleidenſchaft
ihres Kindes zu ſeiner Beſſerung gebrauchen, und ihm blos
den unmittelbaren Schaden vormahlen, den es von einer boͤſen
Handlung hat. Dieſen Weg hat ihr die treue Erfahrung ge-
lehrt; der unmittelbare Schade, ſollte er auch in einer guten
Zuͤchtigung beſtehn, wuͤrket naͤher und ſchaͤrfer, als der ent-
fernte, der durch Schluͤſſe herbey geholt wird. In allen un-
ſern Handlungen liegt zwar ein Schluß zum Grunde, aber es
iſt falſch, daß wir ihn allemal ſelbſt machen. Der gluͤckliche
Menſch wird leichter und ſchneller gefuͤhrt als durch kalte Ue-
berlegungen. Die Leidenſchaft, dieſe edle Gabe Gottes,
fuͤhret ihn ſicherer als die aufgeklaͤrteſte Vernunft; und Lei-
denſchaften geben Fertigkeiten; welche zur Zeit der Verſuchung
treuer aushalten als das Urtheil, was nach Gruͤnden gefaͤllet
werden ſoll.
Vielleicht uͤbertreibe ich die Sache auf der einen Seite,
aber Sie uͤbertreiben ſie gewiß auch auf der andern. Doch
ich habe Ihnen heute genug geſagt, daher will ich das uͤbrige
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LXXIX.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/458>, abgerufen am 22.11.2024.
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