Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.

Bild:
<< vorherige Seite

der alten deutschen Criminaliurisdiction.
vor dem Grafen (Comite) mit Gelde lösen wolle, und
endlich

Drittens, daß wie Carl der Große gewisse Verbrechen,
als zum Exempel, den Abfall zum Heydenthum, den Kirchen-
raub und andre, aus ganz guten Ursachen für unablöslich
erklärte, mithin der Sendgraf in diesen Fällen, ebenfalls
die Erkenntniß des ordentlichen Richters unerwartet, gleich
aufs Blut richtete, daraus leicht die Fabel entstehen können,
daß Carl der Große zu Bestrafung jener Verbrechen besondre
geheime Gerichte in Westphalen angeordnet habe. Durch
die bloße Erklärung: daß ein Verbrechen nicht mehr mit
Gelde gelöset werden sollte, konnte er seinen Endzweck errei-
chen. Denn darauf gründete sich das Richteramt des Send-
oder Fraygrafen ohne Mittel; und daß ein solcher Richter
von den Sachsen, die jedes Verbrechen lösen zu lassen gewohnt
waren, als grausam und erschrecklich angesehen werden mußte;
daß ihr Haß sich auf die Rechnung dieser Richter sehr beschäf-
tiget; und zuletzt jene Fabel ausgeheckt hat, geht aus der
Sache selbst hervor. Es ist übrigens gewiß, daß die Send-
grafen (Missi) so wohl ihre gebotene als ungebotene Gerichte
gehalten haben; und höchst wahrscheinlich, daß das erstere
das Vehmgericht und das letztere die Obersala in Westpha-
len genannt worden.

An diesem allen würde uns aber wenig gelegen seyn, wenn
man nicht auch noch in der heutigen Praxis davon einigen
Rutzen ziehen könnte; und dieser besteht darinn, daß es mit
den Grafen oder Erhaltungsrichtern so wie die Münze gesun-
ken, und das Wehrgeld lächerlich geworden, zum Concurs
gekommen, wenigstens ihre ganze Verlassenschaft durch eine
Auction zerstreut und daraus ein und andre species juris-
dictionis,
welche jetzt als Patrimonial besessen wird, in Pri-

vat-

der alten deutſchen Criminaliurisdiction.
vor dem Grafen (Comite) mit Gelde loͤſen wolle, und
endlich

Drittens, daß wie Carl der Große gewiſſe Verbrechen,
als zum Exempel, den Abfall zum Heydenthum, den Kirchen-
raub und andre, aus ganz guten Urſachen fuͤr unabloͤslich
erklaͤrte, mithin der Sendgraf in dieſen Faͤllen, ebenfalls
die Erkenntniß des ordentlichen Richters unerwartet, gleich
aufs Blut richtete, daraus leicht die Fabel entſtehen koͤnnen,
daß Carl der Große zu Beſtrafung jener Verbrechen beſondre
geheime Gerichte in Weſtphalen angeordnet habe. Durch
die bloße Erklaͤrung: daß ein Verbrechen nicht mehr mit
Gelde geloͤſet werden ſollte, konnte er ſeinen Endzweck errei-
chen. Denn darauf gruͤndete ſich das Richteramt des Send-
oder Fraygrafen ohne Mittel; und daß ein ſolcher Richter
von den Sachſen, die jedes Verbrechen loͤſen zu laſſen gewohnt
waren, als grauſam und erſchrecklich angeſehen werden mußte;
daß ihr Haß ſich auf die Rechnung dieſer Richter ſehr beſchaͤf-
tiget; und zuletzt jene Fabel ausgeheckt hat, geht aus der
Sache ſelbſt hervor. Es iſt uͤbrigens gewiß, daß die Send-
grafen (Miſſi) ſo wohl ihre gebotene als ungebotene Gerichte
gehalten haben; und hoͤchſt wahrſcheinlich, daß das erſtere
das Vehmgericht und das letztere die Oberſala in Weſtpha-
len genannt worden.

An dieſem allen wuͤrde uns aber wenig gelegen ſeyn, wenn
man nicht auch noch in der heutigen Praxis davon einigen
Rutzen ziehen koͤnnte; und dieſer beſteht darinn, daß es mit
den Grafen oder Erhaltungsrichtern ſo wie die Muͤnze geſun-
ken, und das Wehrgeld laͤcherlich geworden, zum Concurs
gekommen, wenigſtens ihre ganze Verlaſſenſchaft durch eine
Auction zerſtreut und daraus ein und andre ſpecies juris-
dictionis,
welche jetzt als Patrimonial beſeſſen wird, in Pri-

vat-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0493" n="475"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">der alten deut&#x017F;chen Criminaliurisdiction.</hi></fw><lb/>
vor dem Grafen <hi rendition="#aq">(Comite)</hi> mit Gelde lo&#x0364;&#x017F;en wolle, und<lb/>
endlich</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Drittens</hi>, daß wie Carl der Große gewi&#x017F;&#x017F;e Verbrechen,<lb/>
als zum Exempel, den Abfall zum Heydenthum, den Kirchen-<lb/>
raub und andre, aus ganz guten Ur&#x017F;achen fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">unablo&#x0364;slich</hi><lb/>
erkla&#x0364;rte, mithin der Sendgraf in die&#x017F;en Fa&#x0364;llen, ebenfalls<lb/>
die Erkenntniß des ordentlichen Richters unerwartet, gleich<lb/>
aufs Blut richtete, daraus leicht die Fabel ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnen,<lb/>
daß Carl der Große zu Be&#x017F;trafung jener Verbrechen be&#x017F;ondre<lb/>
geheime Gerichte in We&#x017F;tphalen angeordnet habe. Durch<lb/>
die bloße Erkla&#x0364;rung: daß ein Verbrechen nicht mehr mit<lb/>
Gelde gelo&#x0364;&#x017F;et werden &#x017F;ollte, konnte er &#x017F;einen Endzweck errei-<lb/>
chen. Denn darauf gru&#x0364;ndete &#x017F;ich das Richteramt des Send-<lb/>
oder Fraygrafen ohne Mittel; und daß ein &#x017F;olcher Richter<lb/>
von den Sach&#x017F;en, die jedes Verbrechen lo&#x0364;&#x017F;en zu la&#x017F;&#x017F;en gewohnt<lb/>
waren, als grau&#x017F;am und er&#x017F;chrecklich ange&#x017F;ehen werden mußte;<lb/>
daß ihr Haß &#x017F;ich auf die Rechnung die&#x017F;er Richter &#x017F;ehr be&#x017F;cha&#x0364;f-<lb/>
tiget; und zuletzt jene Fabel ausgeheckt hat, geht aus der<lb/>
Sache &#x017F;elb&#x017F;t hervor. Es i&#x017F;t u&#x0364;brigens gewiß, daß die Send-<lb/>
grafen <hi rendition="#aq">(Mi&#x017F;&#x017F;i)</hi> &#x017F;o wohl ihre gebotene als ungebotene Gerichte<lb/>
gehalten haben; und ho&#x0364;ch&#x017F;t wahr&#x017F;cheinlich, daß das er&#x017F;tere<lb/>
das <hi rendition="#fr">Vehmgericht</hi> und das letztere die <hi rendition="#fr">Ober&#x017F;ala</hi> in We&#x017F;tpha-<lb/>
len genannt worden.</p><lb/>
        <p>An die&#x017F;em allen wu&#x0364;rde uns aber wenig gelegen &#x017F;eyn, wenn<lb/>
man nicht auch noch in der heutigen Praxis davon einigen<lb/>
Rutzen ziehen ko&#x0364;nnte; und die&#x017F;er be&#x017F;teht darinn, daß es mit<lb/>
den Grafen oder Erhaltungsrichtern &#x017F;o wie die Mu&#x0364;nze ge&#x017F;un-<lb/>
ken, und das Wehrgeld la&#x0364;cherlich geworden, zum Concurs<lb/>
gekommen, wenig&#x017F;tens ihre ganze Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft durch eine<lb/>
Auction zer&#x017F;treut und daraus ein und andre <hi rendition="#aq">&#x017F;pecies juris-<lb/>
dictionis,</hi> welche jetzt als Patrimonial be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en wird, in Pri-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">vat-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[475/0493] der alten deutſchen Criminaliurisdiction. vor dem Grafen (Comite) mit Gelde loͤſen wolle, und endlich Drittens, daß wie Carl der Große gewiſſe Verbrechen, als zum Exempel, den Abfall zum Heydenthum, den Kirchen- raub und andre, aus ganz guten Urſachen fuͤr unabloͤslich erklaͤrte, mithin der Sendgraf in dieſen Faͤllen, ebenfalls die Erkenntniß des ordentlichen Richters unerwartet, gleich aufs Blut richtete, daraus leicht die Fabel entſtehen koͤnnen, daß Carl der Große zu Beſtrafung jener Verbrechen beſondre geheime Gerichte in Weſtphalen angeordnet habe. Durch die bloße Erklaͤrung: daß ein Verbrechen nicht mehr mit Gelde geloͤſet werden ſollte, konnte er ſeinen Endzweck errei- chen. Denn darauf gruͤndete ſich das Richteramt des Send- oder Fraygrafen ohne Mittel; und daß ein ſolcher Richter von den Sachſen, die jedes Verbrechen loͤſen zu laſſen gewohnt waren, als grauſam und erſchrecklich angeſehen werden mußte; daß ihr Haß ſich auf die Rechnung dieſer Richter ſehr beſchaͤf- tiget; und zuletzt jene Fabel ausgeheckt hat, geht aus der Sache ſelbſt hervor. Es iſt uͤbrigens gewiß, daß die Send- grafen (Miſſi) ſo wohl ihre gebotene als ungebotene Gerichte gehalten haben; und hoͤchſt wahrſcheinlich, daß das erſtere das Vehmgericht und das letztere die Oberſala in Weſtpha- len genannt worden. An dieſem allen wuͤrde uns aber wenig gelegen ſeyn, wenn man nicht auch noch in der heutigen Praxis davon einigen Rutzen ziehen koͤnnte; und dieſer beſteht darinn, daß es mit den Grafen oder Erhaltungsrichtern ſo wie die Muͤnze geſun- ken, und das Wehrgeld laͤcherlich geworden, zum Concurs gekommen, wenigſtens ihre ganze Verlaſſenſchaft durch eine Auction zerſtreut und daraus ein und andre ſpecies juris- dictionis, welche jetzt als Patrimonial beſeſſen wird, in Pri- vat-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/493
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien02_1776/493>, abgerufen am 30.10.2024.