Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 2. Berlin, 1776.Eine lehrreiche Geschichte. ben werden sollte. Allein die Mutter beharrete auf ihremSinn, und meinte endlich: sie müßte wenigstens vorher ih- ren Mann darüber zu Rathe ziehen. Das Mädgen allein sagte nichts; und man weis bis auf diese Stunde nicht, ob sie nicht gern gewünscht hätte, ihren Hof mit dieser Pflicht zu beladen. Wie sie des Abends zu Hause kamen, und einmüthig beym am nommen worden, ist es eine eigne Sache: ich getraue mir
zu sagen, daß kein einziges richtig seyn könne; weil man zur Zeit, wie sie aufkamen, z. E. sagte: Rindgeld Schwei- negeld, Dienstgeld, und kein Gutsherr dieses zu Briefe schreiben konnte, ohne sich mit seiner eignen Hand zu schla- gen, gleichwol aber auch ohne Verletzung seines Pflichtigen nicht schreiben durfte, ein Rind oder dafür 4 Thaler, ein Schwein oder dafür 2 Thaler, ein wöchentlicher Spann- dienst oder dafür 10 Thaler. Jeder setze sich hier an die Stelle des Gutsheren und schreibe; und sehe dann zu, ob er nicht seine eigne Auslegung für die Wahrheit nieder- schreibe. Ganz anders verhält es sich mit dem Beweise durch langjährige Register. Diese bezeugen lediglich das factum vel praestitum, und die Auslegung schleicht sich auch so leicht nicht ein, aber man achtet nicht darauf. Der l. 7. C. de probat; nach welchem es für die gemeine Freyheit schädlich gehalten wird, daß ein Mann der andere zu seinem Schuldner schreiben kan, ist für die ganze Menschheit wichtig. Eine lehrreiche Geſchichte. ben werden ſollte. Allein die Mutter beharrete auf ihremSinn, und meinte endlich: ſie muͤßte wenigſtens vorher ih- ren Mann daruͤber zu Rathe ziehen. Das Maͤdgen allein ſagte nichts; und man weis bis auf dieſe Stunde nicht, ob ſie nicht gern gewuͤnſcht haͤtte, ihren Hof mit dieſer Pflicht zu beladen. Wie ſie des Abends zu Hauſe kamen, und einmuͤthig beym am nommen worden, iſt es eine eigne Sache: ich getraue mir
zu ſagen, daß kein einziges richtig ſeyn koͤnne; weil man zur Zeit, wie ſie aufkamen, z. E. ſagte: Rindgeld Schwei- negeld, Dienſtgeld, und kein Gutsherr dieſes zu Briefe ſchreiben konnte, ohne ſich mit ſeiner eignen Hand zu ſchla- gen, gleichwol aber auch ohne Verletzung ſeines Pflichtigen nicht ſchreiben durfte, ein Rind oder dafuͤr 4 Thaler, ein Schwein oder dafuͤr 2 Thaler, ein woͤchentlicher Spann- dienſt oder dafuͤr 10 Thaler. Jeder ſetze ſich hier an die Stelle des Gutsheren und ſchreibe; und ſehe dann zu, ob er nicht ſeine eigne Auslegung fuͤr die Wahrheit nieder- ſchreibe. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit dem Beweiſe durch langjaͤhrige Regiſter. Dieſe bezeugen lediglich das factum vel praeſtitum, und die Auslegung ſchleicht ſich auch ſo leicht nicht ein, aber man achtet nicht darauf. Der l. 7. C. de probat; nach welchem es fuͤr die gemeine Freyheit ſchaͤdlich gehalten wird, daß ein Mann der andere zu ſeinem Schuldner ſchreiben kan, iſt fuͤr die ganze Menſchheit wichtig. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0513" n="495"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Eine lehrreiche Geſchichte.</hi></fw><lb/> ben werden ſollte. Allein die Mutter beharrete auf ihrem<lb/> Sinn, und meinte endlich: ſie muͤßte wenigſtens vorher ih-<lb/> ren Mann daruͤber zu Rathe ziehen. Das Maͤdgen allein<lb/> ſagte nichts; und man weis bis auf dieſe Stunde nicht, ob<lb/> ſie nicht gern gewuͤnſcht haͤtte, ihren Hof mit dieſer Pflicht zu<lb/> beladen.</p><lb/> <p>Wie ſie des Abends zu Hauſe kamen, und einmuͤthig beym<lb/> Herde ſaſſen, erzaͤhlte die Mutter der Sylika ihrem Mann<lb/> den ganzen Vorfall. Sie lieſſen beyde ihre Gedanken lange<lb/> daruͤber gehen; endlich aber ſagte der Alte, ein Mann von<lb/> vieler Erfahrung; Die Sache betrift nicht blos mich, ſondern<lb/> alle zur Burg gehoͤrige Leute. Wenn der Gutsherr einmal<lb/> das Recht hat, einen Kuß von unſerm Maͤdgen zu fordern;<lb/> ſo wird er es mit der Zeit von allen begehren. Es iſt alſo<lb/> <fw place="bottom" type="catch">am</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_9_2" prev="#seg2pn_9_1" place="foot" n="a)">nommen worden, iſt es eine eigne Sache: ich getraue mir<lb/> zu ſagen, daß kein einziges richtig ſeyn koͤnne; weil man<lb/> zur Zeit, wie ſie aufkamen, z. E. ſagte: <hi rendition="#fr">Rindgeld Schwei-<lb/> negeld, Dienſtgeld</hi>, und kein Gutsherr dieſes zu Briefe<lb/> ſchreiben konnte, ohne ſich mit ſeiner eignen Hand zu ſchla-<lb/> gen, gleichwol aber auch ohne Verletzung ſeines Pflichtigen<lb/> nicht ſchreiben durfte, ein Rind oder dafuͤr 4 Thaler, ein<lb/> Schwein oder dafuͤr 2 Thaler, ein woͤchentlicher Spann-<lb/> dienſt oder dafuͤr 10 Thaler. Jeder ſetze ſich hier an die<lb/> Stelle des Gutsheren und ſchreibe; und ſehe dann zu, ob<lb/> er nicht ſeine eigne Auslegung fuͤr die Wahrheit nieder-<lb/> ſchreibe. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit dem Beweiſe<lb/> durch langjaͤhrige Regiſter. Dieſe bezeugen lediglich das<lb/><hi rendition="#aq">factum vel praeſtitum,</hi> und die Auslegung ſchleicht ſich<lb/> auch ſo leicht nicht ein, aber man achtet nicht darauf. Der<lb/> l. 7. <hi rendition="#aq">C. de probat;</hi> nach welchem es fuͤr die gemeine<lb/> Freyheit ſchaͤdlich gehalten wird, daß ein Mann der andere<lb/> zu ſeinem Schuldner ſchreiben kan, iſt fuͤr die ganze<lb/> Menſchheit wichtig.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [495/0513]
Eine lehrreiche Geſchichte.
ben werden ſollte. Allein die Mutter beharrete auf ihrem
Sinn, und meinte endlich: ſie muͤßte wenigſtens vorher ih-
ren Mann daruͤber zu Rathe ziehen. Das Maͤdgen allein
ſagte nichts; und man weis bis auf dieſe Stunde nicht, ob
ſie nicht gern gewuͤnſcht haͤtte, ihren Hof mit dieſer Pflicht zu
beladen.
Wie ſie des Abends zu Hauſe kamen, und einmuͤthig beym
Herde ſaſſen, erzaͤhlte die Mutter der Sylika ihrem Mann
den ganzen Vorfall. Sie lieſſen beyde ihre Gedanken lange
daruͤber gehen; endlich aber ſagte der Alte, ein Mann von
vieler Erfahrung; Die Sache betrift nicht blos mich, ſondern
alle zur Burg gehoͤrige Leute. Wenn der Gutsherr einmal
das Recht hat, einen Kuß von unſerm Maͤdgen zu fordern;
ſo wird er es mit der Zeit von allen begehren. Es iſt alſo
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a) nommen worden, iſt es eine eigne Sache: ich getraue mir
zu ſagen, daß kein einziges richtig ſeyn koͤnne; weil man
zur Zeit, wie ſie aufkamen, z. E. ſagte: Rindgeld Schwei-
negeld, Dienſtgeld, und kein Gutsherr dieſes zu Briefe
ſchreiben konnte, ohne ſich mit ſeiner eignen Hand zu ſchla-
gen, gleichwol aber auch ohne Verletzung ſeines Pflichtigen
nicht ſchreiben durfte, ein Rind oder dafuͤr 4 Thaler, ein
Schwein oder dafuͤr 2 Thaler, ein woͤchentlicher Spann-
dienſt oder dafuͤr 10 Thaler. Jeder ſetze ſich hier an die
Stelle des Gutsheren und ſchreibe; und ſehe dann zu, ob
er nicht ſeine eigne Auslegung fuͤr die Wahrheit nieder-
ſchreibe. Ganz anders verhaͤlt es ſich mit dem Beweiſe
durch langjaͤhrige Regiſter. Dieſe bezeugen lediglich das
factum vel praeſtitum, und die Auslegung ſchleicht ſich
auch ſo leicht nicht ein, aber man achtet nicht darauf. Der
l. 7. C. de probat; nach welchem es fuͤr die gemeine
Freyheit ſchaͤdlich gehalten wird, daß ein Mann der andere
zu ſeinem Schuldner ſchreiben kan, iſt fuͤr die ganze
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