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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die erste Landeskasse.
letzt zu einer beständigen Steuerkasse gegeben. Das ist nun
wohl so ganz unrecht nicht, wenn man auf das Wort
Landes-Kasse einen besondern Nachdruck legt; und man
kann zugeben, daß Landes-Herrn, Land-Stände,
Landes-Unterthanen und Landes-Kassen zusammen von
keinem sehr hohen Alter sind. Sie schreiben sich mit
einander höchstens von der Zeit her, wo man den Begrif
des Territoriums erzeugte, dadurch zuerst ein Land ver-
stand, und diesen Begrif mit jenen Wörtern verknüpfte;
und das wird ungefehr eine Periode von dreyhundert Jah-
ren ausmachen. Allein wenn man nun frägt, wie es denn
vor diesem Zeitpunkt gehalten worden: so verschieben sie
einem das Bild im Kasten, und sind wohl gar so böse, zu
sagen, daß der Deutsche ursprünglich alle Steuren gehasset,
und sich erst spät unter dieses Joch gebeugt habe. An der
Redlichkeit des Hasses unsrer Vorfahren gegen alle Steuren
zweifle ich nun zwar nicht, ob schon der Beweis, welcher
darüber geführt wird, nicht so wohl die eigentlichen Steu-
ren, als die Grundzinsen und andre Arten von Gefällen,
welche eines Mannes Freyheit und Eigenthum verdächtig
machten, betrift. Aber, sagte einst ein Franzose zu mir,
"ihr Deutschen habt einen so großen Kayser, ihr habt so
"wichtige und mächtige Reichsbeamte, und doch keine be-
"ständige Reichskasse; dienen diese Herrn alle blos für die
"Ehre, oder müssen sie vom Raube leben oder ist der Erz-
"schatzmeister des Heiligen Römischen Reichs zugleich ein
"Alchymist, der ohne einzunehmen bezahlen kann?" Und
so mögte ich die Herrn Gelehrten auch wohl fragen, ob
denn vor dreyhundert Jahren, wie es so wenig Landeskas-
sen gegeben, als es jetzt eine förmliche Reichskasse giebt,
jeder Staat ein Perpetuum Mobile gewesen, das sich so
von selbst bewegt und erhalten hätte? Unbeantwortet wer-
den sie die Frage nicht lassen, das weiß ich gewiß, sollten

sie

Die erſte Landeskaſſe.
letzt zu einer beſtaͤndigen Steuerkaſſe gegeben. Das iſt nun
wohl ſo ganz unrecht nicht, wenn man auf das Wort
Landes-Kaſſe einen beſondern Nachdruck legt; und man
kann zugeben, daß Landes-Herrn, Land-Staͤnde,
Landes-Unterthanen und Landes-Kaſſen zuſammen von
keinem ſehr hohen Alter ſind. Sie ſchreiben ſich mit
einander hoͤchſtens von der Zeit her, wo man den Begrif
des Territoriums erzeugte, dadurch zuerſt ein Land ver-
ſtand, und dieſen Begrif mit jenen Woͤrtern verknuͤpfte;
und das wird ungefehr eine Periode von dreyhundert Jah-
ren ausmachen. Allein wenn man nun fraͤgt, wie es denn
vor dieſem Zeitpunkt gehalten worden: ſo verſchieben ſie
einem das Bild im Kaſten, und ſind wohl gar ſo boͤſe, zu
ſagen, daß der Deutſche urſpruͤnglich alle Steuren gehaſſet,
und ſich erſt ſpaͤt unter dieſes Joch gebeugt habe. An der
Redlichkeit des Haſſes unſrer Vorfahren gegen alle Steuren
zweifle ich nun zwar nicht, ob ſchon der Beweis, welcher
daruͤber gefuͤhrt wird, nicht ſo wohl die eigentlichen Steu-
ren, als die Grundzinſen und andre Arten von Gefaͤllen,
welche eines Mannes Freyheit und Eigenthum verdaͤchtig
machten, betrift. Aber, ſagte einſt ein Franzoſe zu mir,
„ihr Deutſchen habt einen ſo großen Kayſer, ihr habt ſo
„wichtige und maͤchtige Reichsbeamte, und doch keine be-
„ſtaͤndige Reichskaſſe; dienen dieſe Herrn alle blos fuͤr die
„Ehre, oder muͤſſen ſie vom Raube leben oder iſt der Erz-
„ſchatzmeiſter des Heiligen Roͤmiſchen Reichs zugleich ein
„Alchymiſt, der ohne einzunehmen bezahlen kann?„ Und
ſo moͤgte ich die Herrn Gelehrten auch wohl fragen, ob
denn vor dreyhundert Jahren, wie es ſo wenig Landeskaſ-
ſen gegeben, als es jetzt eine foͤrmliche Reichskaſſe giebt,
jeder Staat ein Perpetuum Mobile geweſen, das ſich ſo
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den ſie die Frage nicht laſſen, das weiß ich gewiß, ſollten

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[96/0110] Die erſte Landeskaſſe. letzt zu einer beſtaͤndigen Steuerkaſſe gegeben. Das iſt nun wohl ſo ganz unrecht nicht, wenn man auf das Wort Landes-Kaſſe einen beſondern Nachdruck legt; und man kann zugeben, daß Landes-Herrn, Land-Staͤnde, Landes-Unterthanen und Landes-Kaſſen zuſammen von keinem ſehr hohen Alter ſind. Sie ſchreiben ſich mit einander hoͤchſtens von der Zeit her, wo man den Begrif des Territoriums erzeugte, dadurch zuerſt ein Land ver- ſtand, und dieſen Begrif mit jenen Woͤrtern verknuͤpfte; und das wird ungefehr eine Periode von dreyhundert Jah- ren ausmachen. Allein wenn man nun fraͤgt, wie es denn vor dieſem Zeitpunkt gehalten worden: ſo verſchieben ſie einem das Bild im Kaſten, und ſind wohl gar ſo boͤſe, zu ſagen, daß der Deutſche urſpruͤnglich alle Steuren gehaſſet, und ſich erſt ſpaͤt unter dieſes Joch gebeugt habe. An der Redlichkeit des Haſſes unſrer Vorfahren gegen alle Steuren zweifle ich nun zwar nicht, ob ſchon der Beweis, welcher daruͤber gefuͤhrt wird, nicht ſo wohl die eigentlichen Steu- ren, als die Grundzinſen und andre Arten von Gefaͤllen, welche eines Mannes Freyheit und Eigenthum verdaͤchtig machten, betrift. Aber, ſagte einſt ein Franzoſe zu mir, „ihr Deutſchen habt einen ſo großen Kayſer, ihr habt ſo „wichtige und maͤchtige Reichsbeamte, und doch keine be- „ſtaͤndige Reichskaſſe; dienen dieſe Herrn alle blos fuͤr die „Ehre, oder muͤſſen ſie vom Raube leben oder iſt der Erz- „ſchatzmeiſter des Heiligen Roͤmiſchen Reichs zugleich ein „Alchymiſt, der ohne einzunehmen bezahlen kann?„ Und ſo moͤgte ich die Herrn Gelehrten auch wohl fragen, ob denn vor dreyhundert Jahren, wie es ſo wenig Landeskaſ- ſen gegeben, als es jetzt eine foͤrmliche Reichskaſſe giebt, jeder Staat ein Perpetuum Mobile geweſen, das ſich ſo von ſelbſt bewegt und erhalten haͤtte? Unbeantwortet wer- den ſie die Frage nicht laſſen, das weiß ich gewiß, ſollten ſie

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/110>, abgerufen am 09.11.2024.