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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Allerunterthänigstes Memorial.
dieser kleinen Provinz seit 30 Jahren, daß er Glockengies-
ser gewesen, 163 Glocken geborsten, und von ihm umge-
gossen worden. Der Curat verpachtet den heiligen Sonn-
tag, und läßt diejenigen, so ihm eine frische Butter brin-
gen, an demselben so viel arbeiten wie sie wollen. Der
Schulmeister hat auf jedes Lied, was er bey der Leiche
singt, eine Taxe gesetzt, und wer das längste und schönste
haben will, muß auch am meisten dafür bezahlen. Sogar
hat fast jeder Bauer bey der letzten Viehseuche für sein Vieh
von den Canzeln bitten lassen, und der Küster, um nicht
leer auszugehen, verkauft ein Mittel wider die blaue Milch,
und will die bösen Geister vertreiben können, wenn die But-
ter nicht gerathen will. Ehe die Viehseuche kam, gieng
beständig ein Gerüchte, dieses oder jenes Haus, und bis-
weilen das ganze Dorf wäre im Feuer gesehen worden, da
denn ein jeder sich mit einem andächtigen Mittel dawider
versorgte. Ja wie neulich des Meyers Schaafstall ab-
brannte, sagte man öffentlich, und zwar in Gegenwart des
Curaten, es käme von nichts, als von des Meyers Geitze,
der einen Gulden für die Fürbitte gesparet, und nun auch
dafür seine gerechte Strafe empfangen hätte.

Aller dergleichen Wendungen, worunter ich noch ver-
schiedene mitzählen könnte, welche die Gewohnheit bereits
zu erlaubten Accidentien gemacht hat, gereichen aber Euer
K. M. zum größten Nachtheil, indem die Unterthanen, was
sie solchergestalt hingeben, nicht dem Steuereinnehmer hin-
bringen können.

Zwar geht es in dem Kirchspiele, worinn ich wohne,
noch besser zu, als in einigen benachbarten, wo die Bauer-
weiber bey den Curaten fast täglich zusammen kommen, und
beten und Caffee trinken; und wo die Weiber ihren Män-
nern alles unter den Händen wegstehlen, um es zur Ehre

Gottes

Allerunterthaͤnigſtes Memorial.
dieſer kleinen Provinz ſeit 30 Jahren, daß er Glockengieſ-
ſer geweſen, 163 Glocken geborſten, und von ihm umge-
goſſen worden. Der Curat verpachtet den heiligen Sonn-
tag, und laͤßt diejenigen, ſo ihm eine friſche Butter brin-
gen, an demſelben ſo viel arbeiten wie ſie wollen. Der
Schulmeiſter hat auf jedes Lied, was er bey der Leiche
ſingt, eine Taxe geſetzt, und wer das laͤngſte und ſchoͤnſte
haben will, muß auch am meiſten dafuͤr bezahlen. Sogar
hat faſt jeder Bauer bey der letzten Viehſeuche fuͤr ſein Vieh
von den Canzeln bitten laſſen, und der Kuͤſter, um nicht
leer auszugehen, verkauft ein Mittel wider die blaue Milch,
und will die boͤſen Geiſter vertreiben koͤnnen, wenn die But-
ter nicht gerathen will. Ehe die Viehſeuche kam, gieng
beſtaͤndig ein Geruͤchte, dieſes oder jenes Haus, und bis-
weilen das ganze Dorf waͤre im Feuer geſehen worden, da
denn ein jeder ſich mit einem andaͤchtigen Mittel dawider
verſorgte. Ja wie neulich des Meyers Schaafſtall ab-
brannte, ſagte man oͤffentlich, und zwar in Gegenwart des
Curaten, es kaͤme von nichts, als von des Meyers Geitze,
der einen Gulden fuͤr die Fuͤrbitte geſparet, und nun auch
dafuͤr ſeine gerechte Strafe empfangen haͤtte.

Aller dergleichen Wendungen, worunter ich noch ver-
ſchiedene mitzaͤhlen koͤnnte, welche die Gewohnheit bereits
zu erlaubten Accidentien gemacht hat, gereichen aber Euer
K. M. zum groͤßten Nachtheil, indem die Unterthanen, was
ſie ſolchergeſtalt hingeben, nicht dem Steuereinnehmer hin-
bringen koͤnnen.

Zwar geht es in dem Kirchſpiele, worinn ich wohne,
noch beſſer zu, als in einigen benachbarten, wo die Bauer-
weiber bey den Curaten faſt taͤglich zuſammen kommen, und
beten und Caffee trinken; und wo die Weiber ihren Maͤn-
nern alles unter den Haͤnden wegſtehlen, um es zur Ehre

Gottes
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[109/0123] Allerunterthaͤnigſtes Memorial. dieſer kleinen Provinz ſeit 30 Jahren, daß er Glockengieſ- ſer geweſen, 163 Glocken geborſten, und von ihm umge- goſſen worden. Der Curat verpachtet den heiligen Sonn- tag, und laͤßt diejenigen, ſo ihm eine friſche Butter brin- gen, an demſelben ſo viel arbeiten wie ſie wollen. Der Schulmeiſter hat auf jedes Lied, was er bey der Leiche ſingt, eine Taxe geſetzt, und wer das laͤngſte und ſchoͤnſte haben will, muß auch am meiſten dafuͤr bezahlen. Sogar hat faſt jeder Bauer bey der letzten Viehſeuche fuͤr ſein Vieh von den Canzeln bitten laſſen, und der Kuͤſter, um nicht leer auszugehen, verkauft ein Mittel wider die blaue Milch, und will die boͤſen Geiſter vertreiben koͤnnen, wenn die But- ter nicht gerathen will. Ehe die Viehſeuche kam, gieng beſtaͤndig ein Geruͤchte, dieſes oder jenes Haus, und bis- weilen das ganze Dorf waͤre im Feuer geſehen worden, da denn ein jeder ſich mit einem andaͤchtigen Mittel dawider verſorgte. Ja wie neulich des Meyers Schaafſtall ab- brannte, ſagte man oͤffentlich, und zwar in Gegenwart des Curaten, es kaͤme von nichts, als von des Meyers Geitze, der einen Gulden fuͤr die Fuͤrbitte geſparet, und nun auch dafuͤr ſeine gerechte Strafe empfangen haͤtte. Aller dergleichen Wendungen, worunter ich noch ver- ſchiedene mitzaͤhlen koͤnnte, welche die Gewohnheit bereits zu erlaubten Accidentien gemacht hat, gereichen aber Euer K. M. zum groͤßten Nachtheil, indem die Unterthanen, was ſie ſolchergeſtalt hingeben, nicht dem Steuereinnehmer hin- bringen koͤnnen. Zwar geht es in dem Kirchſpiele, worinn ich wohne, noch beſſer zu, als in einigen benachbarten, wo die Bauer- weiber bey den Curaten faſt taͤglich zuſammen kommen, und beten und Caffee trinken; und wo die Weiber ihren Maͤn- nern alles unter den Haͤnden wegſtehlen, um es zur Ehre Gottes

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/123>, abgerufen am 15.05.2024.