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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Schreiben einer Gutsfrau,
zum Kranze, und ihre Verlassenschaft steht unter meines
Mannes Gnade. Verheyrathet sie sich aber: so muß sie
den Kranz vorher mit einem Scheffel Weitzen bezahlen, und
den Freyen eine Tonne Bie[r] geben. Das erste ist wohl ein
bisgen hart für die armen Hexen; aber sie sollen sich auch
in Acht nehmen, und vor Schimpf und Schaden hüten.
Jeder Braut, die mit Ehren aus einem freyen Hofe geht.
wird dagegen aber auch ein fliegendes Haar zu tragen er-
laubt, und ich als Schutzfrau setze ihr, wenn sie sich in
diesem Schmucke bey mir einfindet, die Krone darauf.

Processe dürfen sie gar nicht führen, ohne es vorher
am Hause zu melden; und mein Mann hält ihnen für ein
gewisses Jahrgeld einen gemeinschaftlichen Advocaten, an
welchen sie sich einzig und allein wenden dürfen, und der
vorher, ehe die Sache ans Gerichte kommt, sein rechtliches
Bedenken darüber abstatten muß. Dieses hält mein Mann
für die wahre und heilige Pflicht eines jeden Schutz- oder
Gutsherrn, wofür er ihre Pächte und Dienste zu geniessen
hat. Vordem, sagt er, hätte der Schutzherr seine Leute
sowohl zu Kampfe als Gerichte vertreten; und Schutzherr-
schaften wären darum aufgekommen, weil einzelne arme
Leute wider Unrecht und Gewalt nicht bestehen können,
sondern sich zu einer gemeinsamen Vertheidigung vereinigen
müssen. Wenn sie aber unter sich Streit haben, müssen
sie sich Schiedsfreunde unter den übrigen Freyen wählen,
und sich deren Ausspruch unweigerlich gefallen lassen. Je-
der Theil erwählt dazu drey, und diese müssen des Sonn-
tags Nachmittags sich in ein besonders Zimmer in der
Schenke begeben, und dürfen nicht eher trinken, bis sie
sich eines gemeinschaftlichen Ausspruchs vereiniget, oder
darüber verglichen haben. Diesen muß sich ein jeder Freyer
hernach gefallen lassen.

Hier-

Schreiben einer Gutsfrau,
zum Kranze, und ihre Verlaſſenſchaft ſteht unter meines
Mannes Gnade. Verheyrathet ſie ſich aber: ſo muß ſie
den Kranz vorher mit einem Scheffel Weitzen bezahlen, und
den Freyen eine Tonne Bie[r] geben. Das erſte iſt wohl ein
bisgen hart fuͤr die armen Hexen; aber ſie ſollen ſich auch
in Acht nehmen, und vor Schimpf und Schaden huͤten.
Jeder Braut, die mit Ehren aus einem freyen Hofe geht.
wird dagegen aber auch ein fliegendes Haar zu tragen er-
laubt, und ich als Schutzfrau ſetze ihr, wenn ſie ſich in
dieſem Schmucke bey mir einfindet, die Krone darauf.

Proceſſe duͤrfen ſie gar nicht fuͤhren, ohne es vorher
am Hauſe zu melden; und mein Mann haͤlt ihnen fuͤr ein
gewiſſes Jahrgeld einen gemeinſchaftlichen Advocaten, an
welchen ſie ſich einzig und allein wenden duͤrfen, und der
vorher, ehe die Sache ans Gerichte kommt, ſein rechtliches
Bedenken daruͤber abſtatten muß. Dieſes haͤlt mein Mann
fuͤr die wahre und heilige Pflicht eines jeden Schutz- oder
Gutsherrn, wofuͤr er ihre Paͤchte und Dienſte zu genieſſen
hat. Vordem, ſagt er, haͤtte der Schutzherr ſeine Leute
ſowohl zu Kampfe als Gerichte vertreten; und Schutzherr-
ſchaften waͤren darum aufgekommen, weil einzelne arme
Leute wider Unrecht und Gewalt nicht beſtehen koͤnnen,
ſondern ſich zu einer gemeinſamen Vertheidigung vereinigen
muͤſſen. Wenn ſie aber unter ſich Streit haben, muͤſſen
ſie ſich Schiedsfreunde unter den uͤbrigen Freyen waͤhlen,
und ſich deren Ausſpruch unweigerlich gefallen laſſen. Je-
der Theil erwaͤhlt dazu drey, und dieſe muͤſſen des Sonn-
tags Nachmittags ſich in ein beſonders Zimmer in der
Schenke begeben, und duͤrfen nicht eher trinken, bis ſie
ſich eines gemeinſchaftlichen Ausſpruchs vereiniget, oder
daruͤber verglichen haben. Dieſen muß ſich ein jeder Freyer
hernach gefallen laſſen.

Hier-
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[236/0250] Schreiben einer Gutsfrau, zum Kranze, und ihre Verlaſſenſchaft ſteht unter meines Mannes Gnade. Verheyrathet ſie ſich aber: ſo muß ſie den Kranz vorher mit einem Scheffel Weitzen bezahlen, und den Freyen eine Tonne Bier geben. Das erſte iſt wohl ein bisgen hart fuͤr die armen Hexen; aber ſie ſollen ſich auch in Acht nehmen, und vor Schimpf und Schaden huͤten. Jeder Braut, die mit Ehren aus einem freyen Hofe geht. wird dagegen aber auch ein fliegendes Haar zu tragen er- laubt, und ich als Schutzfrau ſetze ihr, wenn ſie ſich in dieſem Schmucke bey mir einfindet, die Krone darauf. Proceſſe duͤrfen ſie gar nicht fuͤhren, ohne es vorher am Hauſe zu melden; und mein Mann haͤlt ihnen fuͤr ein gewiſſes Jahrgeld einen gemeinſchaftlichen Advocaten, an welchen ſie ſich einzig und allein wenden duͤrfen, und der vorher, ehe die Sache ans Gerichte kommt, ſein rechtliches Bedenken daruͤber abſtatten muß. Dieſes haͤlt mein Mann fuͤr die wahre und heilige Pflicht eines jeden Schutz- oder Gutsherrn, wofuͤr er ihre Paͤchte und Dienſte zu genieſſen hat. Vordem, ſagt er, haͤtte der Schutzherr ſeine Leute ſowohl zu Kampfe als Gerichte vertreten; und Schutzherr- ſchaften waͤren darum aufgekommen, weil einzelne arme Leute wider Unrecht und Gewalt nicht beſtehen koͤnnen, ſondern ſich zu einer gemeinſamen Vertheidigung vereinigen muͤſſen. Wenn ſie aber unter ſich Streit haben, muͤſſen ſie ſich Schiedsfreunde unter den uͤbrigen Freyen waͤhlen, und ſich deren Ausſpruch unweigerlich gefallen laſſen. Je- der Theil erwaͤhlt dazu drey, und dieſe muͤſſen des Sonn- tags Nachmittags ſich in ein beſonders Zimmer in der Schenke begeben, und duͤrfen nicht eher trinken, bis ſie ſich eines gemeinſchaftlichen Ausſpruchs vereiniget, oder daruͤber verglichen haben. Dieſen muß ſich ein jeder Freyer hernach gefallen laſſen. Hier-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/250>, abgerufen am 29.11.2024.