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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Wie ein Vater seinen Sohn
ihnen und sprach: für die Adler ist die hohe Luft, wie für
die Wallfische das Meer; und die Erde ist für die Finken,
wie mein Schloßgraben für die Karpen. Diese besser hier,
und jene besser dort.

Und sie beriethen sich abermals und fragten: ob nicht
ein Mensch der gerade gienge besser wäre, als einer der
hinkte? er aber sagte: wenn man nicht schreiben kann ohne zu
hinken, und nicht jagen kann ohne gerade zu gehen: so ist
zum Schreiben der Hinkende besser als der beste Trappenschütze.

Und die Weisen wurden darüber uneins unter sich, ob
ein Vater das Recht hätte seinem Sohne ein Bein zu läh-
men, um ihn zum Schreiber zu machen? und fragten dar-
über ein Urtheil vom Könige. Da erkannte der König zu
Recht, daß der Vater die Macht hätte mit seinen Kindern
zu thun was er wollte, so weit er es ihm nicht verböte.
Und der König erzählte ihnen, er habe es einmal gebieten
wollen, wie ein jeder Vater seine Kinder erziehen sollt; aber
da sey ihm das Ding so bunt geworden, daß er es daran
geben müssen; ein Vater könne sich zwar hierinn leicht an
seinem Sohne versündigen, aber ein andrer noch mehr.

Und sie fragten um ein anderes Urtheil: wenn der Va-
ter nun seinem Sohne alles das beybrächte, was er selbst
glaubte, und irrig in seiner Meinung wäre, ob es dann
nicht besser seyn würde, ihn so aufwachsen zu lassen bis der
Sohn die Sachen selbst prüfen könnte? Und der König
ward des eiteln Fragens müde, und sagte, die Kinder wür-
den nicht blos durch die Lehre, sondern auch durch das Ex-
empel des Vaters unterrichtet, und da man dieses nicht
hindern könnte: so wäre es besser, daß der Vater ihrem
Urtheile, die Ursachen, nach welchen er handelte, erklärte,
als daß er es gar bleiben liesse; und wie die Weisen hierauf
den Bart strichen und sagten; es wäre nichts läppischer

als

Wie ein Vater ſeinen Sohn
ihnen und ſprach: fuͤr die Adler iſt die hohe Luft, wie fuͤr
die Wallfiſche das Meer; und die Erde iſt fuͤr die Finken,
wie mein Schloßgraben fuͤr die Karpen. Dieſe beſſer hier,
und jene beſſer dort.

Und ſie beriethen ſich abermals und fragten: ob nicht
ein Menſch der gerade gienge beſſer waͤre, als einer der
hinkte? er aber ſagte: wenn man nicht ſchreiben kann ohne zu
hinken, und nicht jagen kann ohne gerade zu gehen: ſo iſt
zum Schreiben der Hinkende beſſer als der beſte Trappenſchuͤtze.

Und die Weiſen wurden daruͤber uneins unter ſich, ob
ein Vater das Recht haͤtte ſeinem Sohne ein Bein zu laͤh-
men, um ihn zum Schreiber zu machen? und fragten dar-
uͤber ein Urtheil vom Koͤnige. Da erkannte der Koͤnig zu
Recht, daß der Vater die Macht haͤtte mit ſeinen Kindern
zu thun was er wollte, ſo weit er es ihm nicht verboͤte.
Und der Koͤnig erzaͤhlte ihnen, er habe es einmal gebieten
wollen, wie ein jeder Vater ſeine Kinder erziehen ſollt; aber
da ſey ihm das Ding ſo bunt geworden, daß er es daran
geben muͤſſen; ein Vater koͤnne ſich zwar hierinn leicht an
ſeinem Sohne verſuͤndigen, aber ein andrer noch mehr.

Und ſie fragten um ein anderes Urtheil: wenn der Va-
ter nun ſeinem Sohne alles das beybraͤchte, was er ſelbſt
glaubte, und irrig in ſeiner Meinung waͤre, ob es dann
nicht beſſer ſeyn wuͤrde, ihn ſo aufwachſen zu laſſen bis der
Sohn die Sachen ſelbſt pruͤfen koͤnnte? Und der Koͤnig
ward des eiteln Fragens muͤde, und ſagte, die Kinder wuͤr-
den nicht blos durch die Lehre, ſondern auch durch das Ex-
empel des Vaters unterrichtet, und da man dieſes nicht
hindern koͤnnte: ſo waͤre es beſſer, daß der Vater ihrem
Urtheile, die Urſachen, nach welchen er handelte, erklaͤrte,
als daß er es gar bleiben lieſſe; und wie die Weiſen hierauf
den Bart ſtrichen und ſagten; es waͤre nichts laͤppiſcher

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[250/0264] Wie ein Vater ſeinen Sohn ihnen und ſprach: fuͤr die Adler iſt die hohe Luft, wie fuͤr die Wallfiſche das Meer; und die Erde iſt fuͤr die Finken, wie mein Schloßgraben fuͤr die Karpen. Dieſe beſſer hier, und jene beſſer dort. Und ſie beriethen ſich abermals und fragten: ob nicht ein Menſch der gerade gienge beſſer waͤre, als einer der hinkte? er aber ſagte: wenn man nicht ſchreiben kann ohne zu hinken, und nicht jagen kann ohne gerade zu gehen: ſo iſt zum Schreiben der Hinkende beſſer als der beſte Trappenſchuͤtze. Und die Weiſen wurden daruͤber uneins unter ſich, ob ein Vater das Recht haͤtte ſeinem Sohne ein Bein zu laͤh- men, um ihn zum Schreiber zu machen? und fragten dar- uͤber ein Urtheil vom Koͤnige. Da erkannte der Koͤnig zu Recht, daß der Vater die Macht haͤtte mit ſeinen Kindern zu thun was er wollte, ſo weit er es ihm nicht verboͤte. Und der Koͤnig erzaͤhlte ihnen, er habe es einmal gebieten wollen, wie ein jeder Vater ſeine Kinder erziehen ſollt; aber da ſey ihm das Ding ſo bunt geworden, daß er es daran geben muͤſſen; ein Vater koͤnne ſich zwar hierinn leicht an ſeinem Sohne verſuͤndigen, aber ein andrer noch mehr. Und ſie fragten um ein anderes Urtheil: wenn der Va- ter nun ſeinem Sohne alles das beybraͤchte, was er ſelbſt glaubte, und irrig in ſeiner Meinung waͤre, ob es dann nicht beſſer ſeyn wuͤrde, ihn ſo aufwachſen zu laſſen bis der Sohn die Sachen ſelbſt pruͤfen koͤnnte? Und der Koͤnig ward des eiteln Fragens muͤde, und ſagte, die Kinder wuͤr- den nicht blos durch die Lehre, ſondern auch durch das Ex- empel des Vaters unterrichtet, und da man dieſes nicht hindern koͤnnte: ſo waͤre es beſſer, daß der Vater ihrem Urtheile, die Urſachen, nach welchen er handelte, erklaͤrte, als daß er es gar bleiben lieſſe; und wie die Weiſen hierauf den Bart ſtrichen und ſagten; es waͤre nichts laͤppiſcher als

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/264>, abgerufen am 27.11.2024.