Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

ohne Gewissensscrupel folgen.
wie der Beutel endlich mitsprach, und mich nur erst zu ei-
niger Ueberlegung brachte: so erstaunte ich über meine Ver-
blendung; es war, als wenn mir auf einmal die Augen
aufgiengen, und ich sahe, daß von sechzig Personen, wor-
aus ungefehr mein Cirkel damals bestand, nur drey wa-
ren, die so mit mir fortrauschten, anstatt daß ich vorhin
glaubte, jedermann suchte mit mir in die Wette zu galop-
piren, und ich könnte nicht zurück bleiben, ohne verspot-
tet zu werden. Ich fragte endlich die vielen, welche so
langsam nachfolgten, ob sie denn nicht mit wollten? O ja,
antworteten sie mir, nach unsrer Bequemlichkeit, wer will,
kann vorlaufen, er wird gewiß desto eher müde werden;
Himmel! dachte ich; ist es so bestellt: so verlohnt es sich
wohl eben der Mühe nicht, das kostbare Wettrennen mit
jenen fortzusetzen, und wie ich erst mit denen, die der Mode
so ganz gelassen folgten, vertraut wurde, erfuhr ich hundert
kleine Geschichtgen von den drey Galopins, die ich mir nicht
umsonst sagen ließ. Mein Entschluß ward bald gefaßt, wie
sie denken werden, und seitdem bin ich nicht wieder in der
Versuchung gekommen, einen so gefährlichen Triumph zu
suchen.

Man sieht hieraus, daß Amalie ihre Denkungsart so
ziemlich nach ihres Mannes Wunsche gestimmet habe; und
daß man am sichersten gehe, der Mode nicht weiter zu fol-
gen, als der Beutel reicht. Nachrede für Nachrede, oder
Medisance für Medisance: so ist es doch immer besser, sich
eine kluge Frau schelten zu lassen, als die Ruthe zu verdienen,
womit die Welt den gefallenen Stolz stäupt. Blos unsre Em-
pfindlichkeit oder Thorheit leget jeder Nachrede ihren Werth
bey; und wenn wir diese einiger maßen in unsrer Macht
haben: so werden wir dieses Schreckbild der kleinen Geister
minder fürchterlich finden.

Die
B 4

ohne Gewiſſensſcrupel folgen.
wie der Beutel endlich mitſprach, und mich nur erſt zu ei-
niger Ueberlegung brachte: ſo erſtaunte ich uͤber meine Ver-
blendung; es war, als wenn mir auf einmal die Augen
aufgiengen, und ich ſahe, daß von ſechzig Perſonen, wor-
aus ungefehr mein Cirkel damals beſtand, nur drey wa-
ren, die ſo mit mir fortrauſchten, anſtatt daß ich vorhin
glaubte, jedermann ſuchte mit mir in die Wette zu galop-
piren, und ich koͤnnte nicht zuruͤck bleiben, ohne verſpot-
tet zu werden. Ich fragte endlich die vielen, welche ſo
langſam nachfolgten, ob ſie denn nicht mit wollten? O ja,
antworteten ſie mir, nach unſrer Bequemlichkeit, wer will,
kann vorlaufen, er wird gewiß deſto eher muͤde werden;
Himmel! dachte ich; iſt es ſo beſtellt: ſo verlohnt es ſich
wohl eben der Muͤhe nicht, das koſtbare Wettrennen mit
jenen fortzuſetzen, und wie ich erſt mit denen, die der Mode
ſo ganz gelaſſen folgten, vertraut wurde, erfuhr ich hundert
kleine Geſchichtgen von den drey Galopins, die ich mir nicht
umſonſt ſagen ließ. Mein Entſchluß ward bald gefaßt, wie
ſie denken werden, und ſeitdem bin ich nicht wieder in der
Verſuchung gekommen, einen ſo gefaͤhrlichen Triumph zu
ſuchen.

Man ſieht hieraus, daß Amalie ihre Denkungsart ſo
ziemlich nach ihres Mannes Wunſche geſtimmet habe; und
daß man am ſicherſten gehe, der Mode nicht weiter zu fol-
gen, als der Beutel reicht. Nachrede fuͤr Nachrede, oder
Mediſance fuͤr Mediſance: ſo iſt es doch immer beſſer, ſich
eine kluge Frau ſchelten zu laſſen, als die Ruthe zu verdienen,
womit die Welt den gefallenen Stolz ſtaͤupt. Blos unſre Em-
pfindlichkeit oder Thorheit leget jeder Nachrede ihren Werth
bey; und wenn wir dieſe einiger maßen in unſrer Macht
haben: ſo werden wir dieſes Schreckbild der kleinen Geiſter
minder fuͤrchterlich finden.

Die
B 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0037" n="23"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">ohne Gewi&#x017F;&#x017F;ens&#x017F;crupel folgen.</hi></fw><lb/>
wie der Beutel endlich mit&#x017F;prach, und mich nur er&#x017F;t zu ei-<lb/>
niger Ueberlegung brachte: &#x017F;o er&#x017F;taunte ich u&#x0364;ber meine Ver-<lb/>
blendung; es war, als wenn mir auf einmal die Augen<lb/>
aufgiengen, und ich &#x017F;ahe, daß von &#x017F;echzig Per&#x017F;onen, wor-<lb/>
aus ungefehr mein Cirkel damals be&#x017F;tand, nur drey wa-<lb/>
ren, die &#x017F;o mit mir fortrau&#x017F;chten, an&#x017F;tatt daß ich vorhin<lb/>
glaubte, jedermann &#x017F;uchte mit mir in die Wette zu galop-<lb/>
piren, und ich ko&#x0364;nnte nicht zuru&#x0364;ck bleiben, ohne ver&#x017F;pot-<lb/>
tet zu werden. Ich fragte endlich die vielen, welche &#x017F;o<lb/>
lang&#x017F;am nachfolgten, ob &#x017F;ie denn nicht mit wollten? O ja,<lb/>
antworteten &#x017F;ie mir, nach un&#x017F;rer Bequemlichkeit, wer will,<lb/>
kann vorlaufen, er wird gewiß de&#x017F;to eher mu&#x0364;de werden;<lb/>
Himmel! dachte ich; i&#x017F;t es &#x017F;o be&#x017F;tellt: &#x017F;o verlohnt es &#x017F;ich<lb/>
wohl eben der Mu&#x0364;he nicht, das ko&#x017F;tbare Wettrennen mit<lb/>
jenen fortzu&#x017F;etzen, und wie ich er&#x017F;t mit denen, die der Mode<lb/>
&#x017F;o ganz gela&#x017F;&#x017F;en folgten, vertraut wurde, erfuhr ich hundert<lb/>
kleine Ge&#x017F;chichtgen von den drey Galopins, die ich mir nicht<lb/>
um&#x017F;on&#x017F;t &#x017F;agen ließ. Mein Ent&#x017F;chluß ward bald gefaßt, wie<lb/>
&#x017F;ie denken werden, und &#x017F;eitdem bin ich nicht wieder in der<lb/>
Ver&#x017F;uchung gekommen, einen &#x017F;o gefa&#x0364;hrlichen Triumph zu<lb/>
&#x017F;uchen.</p><lb/>
          <p>Man &#x017F;ieht hieraus, daß Amalie ihre Denkungsart &#x017F;o<lb/>
ziemlich nach ihres Mannes Wun&#x017F;che ge&#x017F;timmet habe; und<lb/>
daß man am &#x017F;icher&#x017F;ten gehe, der Mode nicht weiter zu fol-<lb/>
gen, als der Beutel reicht. Nachrede fu&#x0364;r Nachrede, oder<lb/>
Medi&#x017F;ance fu&#x0364;r Medi&#x017F;ance: &#x017F;o i&#x017F;t es doch immer be&#x017F;&#x017F;er, &#x017F;ich<lb/>
eine kluge Frau &#x017F;chelten zu la&#x017F;&#x017F;en, als die Ruthe zu verdienen,<lb/>
womit die Welt den gefallenen Stolz &#x017F;ta&#x0364;upt. Blos un&#x017F;re Em-<lb/>
pfindlichkeit oder Thorheit leget jeder Nachrede ihren Werth<lb/>
bey; und wenn wir die&#x017F;e einiger maßen in un&#x017F;rer Macht<lb/>
haben: &#x017F;o werden wir die&#x017F;es Schreckbild der kleinen Gei&#x017F;ter<lb/>
minder fu&#x0364;rchterlich finden.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">B 4</fw>
      <fw place="bottom" type="catch">Die</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0037] ohne Gewiſſensſcrupel folgen. wie der Beutel endlich mitſprach, und mich nur erſt zu ei- niger Ueberlegung brachte: ſo erſtaunte ich uͤber meine Ver- blendung; es war, als wenn mir auf einmal die Augen aufgiengen, und ich ſahe, daß von ſechzig Perſonen, wor- aus ungefehr mein Cirkel damals beſtand, nur drey wa- ren, die ſo mit mir fortrauſchten, anſtatt daß ich vorhin glaubte, jedermann ſuchte mit mir in die Wette zu galop- piren, und ich koͤnnte nicht zuruͤck bleiben, ohne verſpot- tet zu werden. Ich fragte endlich die vielen, welche ſo langſam nachfolgten, ob ſie denn nicht mit wollten? O ja, antworteten ſie mir, nach unſrer Bequemlichkeit, wer will, kann vorlaufen, er wird gewiß deſto eher muͤde werden; Himmel! dachte ich; iſt es ſo beſtellt: ſo verlohnt es ſich wohl eben der Muͤhe nicht, das koſtbare Wettrennen mit jenen fortzuſetzen, und wie ich erſt mit denen, die der Mode ſo ganz gelaſſen folgten, vertraut wurde, erfuhr ich hundert kleine Geſchichtgen von den drey Galopins, die ich mir nicht umſonſt ſagen ließ. Mein Entſchluß ward bald gefaßt, wie ſie denken werden, und ſeitdem bin ich nicht wieder in der Verſuchung gekommen, einen ſo gefaͤhrlichen Triumph zu ſuchen. Man ſieht hieraus, daß Amalie ihre Denkungsart ſo ziemlich nach ihres Mannes Wunſche geſtimmet habe; und daß man am ſicherſten gehe, der Mode nicht weiter zu fol- gen, als der Beutel reicht. Nachrede fuͤr Nachrede, oder Mediſance fuͤr Mediſance: ſo iſt es doch immer beſſer, ſich eine kluge Frau ſchelten zu laſſen, als die Ruthe zu verdienen, womit die Welt den gefallenen Stolz ſtaͤupt. Blos unſre Em- pfindlichkeit oder Thorheit leget jeder Nachrede ihren Werth bey; und wenn wir dieſe einiger maßen in unſrer Macht haben: ſo werden wir dieſes Schreckbild der kleinen Geiſter minder fuͤrchterlich finden. Die B 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/37
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/37>, abgerufen am 21.11.2024.