Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedanken von dem Ursprunge und Nutzen
macht, oder welches einerley ist, wo die Luft die Stelle der
Einschreibung vertritt und Schutz und Hode giebt, da kann
kenntlich niemand verwildern, oder als ein Leibeigner seine
ganze Erbschaft verlieren, ob er gleich zu einer gütlichen
Behandlung derselben berechtiget und verbunden ist. Nur
da wo die Luft nichts würket, ist die Verbiesterung oder die
völlige Knechtschaft möglich; nur da wo keine Urkunde ent-
richtet wird, läßt sich eine arge Freyheit oder die ärgste
Knechtschaft gedenken; denn jede angenommene Urkunde
setzet einen Vergleich mit dem Staate voraus; und niemand
hat sich verglichen, um seinen ganzen Nachlaß zu verlie-
ren a). Dis konnte er ohne Vergleich.

Es ist aber eine ganz andre Frage: Ob dergleichen Ein-
richtungen seitdem das Territorium einen zum Unterthanen
macht, und das ehmalige Band der persönlichen Anhäng-
lichkeit von den grossen Herrn, welche sich bey dem Satze:
Quicquid est in territorio est etiam de territorio, besser

stan-
jetzt leicht sagen: Meine eigne Leute, meine eigne Untertha-
nen haben es gethan, ohne daraus ein Leibeigenthum zu ma-
chen. Wie viel weniger kann also aus dem Gebrauch des Worts
eigen in der Periode der persönlichen Anhänglichkeit etwas ver-
fängliches geschlossen werden?
a) In einigen französischen Orten hat die Sache eine ganz ver-
kehrte Wendung genommen. On arrache le serf a sa mort de
la maison de son Epouse desolee, on le transporte dans une
terre etrange, mais libre, une famille en pleurs suit son Per[e]
expirani dans des lieux inconnus, et a souvent la douleur de
voir, qu'un transport perilleux pour le malade, mais dont la
liberte commune
est le prix, a abrege ses jours.
S. Disserta-
tion sur l'Abbaye de St. Claude,
im Anhang, p 35. Hier hat
die Fahrlosigkeit der Königl. Beamte gemacht, daß die Leute,
so sich aus dem Bezirk der Abtey St. Claude tragen lassen, frey
sterben, anstatt daß ihre Erbschaft sodann als Biesterfrey dem
Könige heimfallen sollte. Dagegen hat die Abtey St. Claude
ihre Hode in eine Scl[a]verey verwandelt.

Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen
macht, oder welches einerley iſt, wo die Luft die Stelle der
Einſchreibung vertritt und Schutz und Hode giebt, da kann
kenntlich niemand verwildern, oder als ein Leibeigner ſeine
ganze Erbſchaft verlieren, ob er gleich zu einer guͤtlichen
Behandlung derſelben berechtiget und verbunden iſt. Nur
da wo die Luft nichts wuͤrket, iſt die Verbieſterung oder die
voͤllige Knechtſchaft moͤglich; nur da wo keine Urkunde ent-
richtet wird, laͤßt ſich eine arge Freyheit oder die aͤrgſte
Knechtſchaft gedenken; denn jede angenommene Urkunde
ſetzet einen Vergleich mit dem Staate voraus; und niemand
hat ſich verglichen, um ſeinen ganzen Nachlaß zu verlie-
ren a). Dis konnte er ohne Vergleich.

Es iſt aber eine ganz andre Frage: Ob dergleichen Ein-
richtungen ſeitdem das Territorium einen zum Unterthanen
macht, und das ehmalige Band der perſoͤnlichen Anhaͤng-
lichkeit von den groſſen Herrn, welche ſich bey dem Satze:
Quicquid eſt in territorio eſt etiam de territorio, beſſer

ſtan-
jetzt leicht ſagen: Meine eigne Leute, meine eigne Untertha-
nen haben es gethan, ohne daraus ein Leibeigenthum zu ma-
chen. Wie viel weniger kann alſo aus dem Gebrauch des Worts
eigen in der Periode der perſoͤnlichen Anhaͤnglichkeit etwas ver-
faͤngliches geſchloſſen werden?
a) In einigen franzoͤſiſchen Orten hat die Sache eine ganz ver-
kehrte Wendung genommen. On arrache le ſerf à ſa mort de
la maiſon de ſon Epouſe deſolée, on le tranſporte dans une
terre étrange, mais libre, une famille en pleurs ſuit ſon Per[e]
expirani dans des lieux inconnus, et a ſouvent la douleur de
voir, qu’un transport perilleux pour le malade, mais dont la
liberté commune
eſt le prix, a abregé ſes jours.
S. Diſſerta-
tion ſur l’Abbaye de St. Claude,
im Anhang, p 35. Hier hat
die Fahrloſigkeit der Koͤnigl. Beamte gemacht, daß die Leute,
ſo ſich aus dem Bezirk der Abtey St. Claude tragen laſſen, frey
ſterben, anſtatt daß ihre Erbſchaft ſodann als Bieſterfrey dem
Koͤnige heimfallen ſollte. Dagegen hat die Abtey St. Claude
ihre Hode in eine Scl[a]verey verwandelt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0376" n="362"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Gedanken von dem Ur&#x017F;prunge und Nutzen</hi></fw><lb/>
macht, oder welches einerley i&#x017F;t, wo die Luft die Stelle der<lb/>
Ein&#x017F;chreibung vertritt und Schutz und Hode giebt, da kann<lb/>
kenntlich niemand verwildern, oder als ein Leibeigner &#x017F;eine<lb/>
ganze Erb&#x017F;chaft verlieren, ob er gleich zu einer gu&#x0364;tlichen<lb/>
Behandlung der&#x017F;elben berechtiget und verbunden i&#x017F;t. Nur<lb/>
da wo die Luft nichts wu&#x0364;rket, i&#x017F;t die Verbie&#x017F;terung oder die<lb/>
vo&#x0364;llige Knecht&#x017F;chaft mo&#x0364;glich; nur da wo keine Urkunde ent-<lb/>
richtet wird, la&#x0364;ßt &#x017F;ich eine <hi rendition="#fr">arge</hi> Freyheit oder die <hi rendition="#fr">a&#x0364;rg&#x017F;te</hi><lb/>
Knecht&#x017F;chaft gedenken; denn jede angenommene Urkunde<lb/>
&#x017F;etzet einen Vergleich mit dem Staate voraus; und niemand<lb/>
hat &#x017F;ich verglichen, um &#x017F;einen ganzen Nachlaß zu verlie-<lb/>
ren <note place="foot" n="a)">In einigen franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Orten hat die Sache eine ganz ver-<lb/>
kehrte Wendung genommen. <hi rendition="#aq">On arrache le &#x017F;erf à &#x017F;a mort de<lb/>
la mai&#x017F;on de &#x017F;on Epou&#x017F;e de&#x017F;olée, on le tran&#x017F;porte dans une<lb/>
terre étrange, mais libre, une famille en pleurs &#x017F;uit &#x017F;on Per<supplied>e</supplied><lb/>
expirani dans des lieux inconnus, et a &#x017F;ouvent la douleur de<lb/>
voir, qu&#x2019;un transport perilleux pour le malade, mais <hi rendition="#i">dont la<lb/>
liberté commune</hi> e&#x017F;t le prix, a abregé &#x017F;es jours.</hi> S. <hi rendition="#aq">Di&#x017F;&#x017F;erta-<lb/>
tion &#x017F;ur l&#x2019;Abbaye de St. Claude,</hi> im Anhang, <hi rendition="#aq">p</hi> 35. Hier hat<lb/>
die Fahrlo&#x017F;igkeit der Ko&#x0364;nigl. Beamte gemacht, daß die Leute,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;ich aus dem Bezirk der Abtey St. Claude tragen la&#x017F;&#x017F;en, frey<lb/>
&#x017F;terben, an&#x017F;tatt daß ihre Erb&#x017F;chaft &#x017F;odann als Bie&#x017F;terfrey dem<lb/>
Ko&#x0364;nige heimfallen &#x017F;ollte. Dagegen hat die Abtey St. Claude<lb/>
ihre Hode in eine Scl<supplied>a</supplied>verey verwandelt.</note>. Dis konnte er ohne Vergleich.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t aber eine ganz andre Frage: Ob dergleichen Ein-<lb/>
richtungen &#x017F;eitdem das Territorium einen zum Unterthanen<lb/>
macht, und das ehmalige Band der per&#x017F;o&#x0364;nlichen Anha&#x0364;ng-<lb/>
lichkeit von den gro&#x017F;&#x017F;en Herrn, welche &#x017F;ich bey dem Satze:<lb/><hi rendition="#aq">Quicquid e&#x017F;t in territorio e&#x017F;t etiam de territorio,</hi> be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;tan-</fw><lb/><note xml:id="seg2pn_9_2" prev="#seg2pn_9_1" place="foot" n="a)">jetzt leicht &#x017F;agen: Meine <hi rendition="#fr">eigne</hi> Leute, meine eigne Untertha-<lb/>
nen haben es gethan, ohne daraus ein Leibeigenthum zu ma-<lb/>
chen. Wie viel weniger kann al&#x017F;o aus dem Gebrauch des Worts<lb/>
eigen in der Periode der per&#x017F;o&#x0364;nlichen Anha&#x0364;nglichkeit etwas ver-<lb/>
fa&#x0364;ngliches ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en werden?</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0376] Gedanken von dem Urſprunge und Nutzen macht, oder welches einerley iſt, wo die Luft die Stelle der Einſchreibung vertritt und Schutz und Hode giebt, da kann kenntlich niemand verwildern, oder als ein Leibeigner ſeine ganze Erbſchaft verlieren, ob er gleich zu einer guͤtlichen Behandlung derſelben berechtiget und verbunden iſt. Nur da wo die Luft nichts wuͤrket, iſt die Verbieſterung oder die voͤllige Knechtſchaft moͤglich; nur da wo keine Urkunde ent- richtet wird, laͤßt ſich eine arge Freyheit oder die aͤrgſte Knechtſchaft gedenken; denn jede angenommene Urkunde ſetzet einen Vergleich mit dem Staate voraus; und niemand hat ſich verglichen, um ſeinen ganzen Nachlaß zu verlie- ren a). Dis konnte er ohne Vergleich. Es iſt aber eine ganz andre Frage: Ob dergleichen Ein- richtungen ſeitdem das Territorium einen zum Unterthanen macht, und das ehmalige Band der perſoͤnlichen Anhaͤng- lichkeit von den groſſen Herrn, welche ſich bey dem Satze: Quicquid eſt in territorio eſt etiam de territorio, beſſer ſtan- a) a) In einigen franzoͤſiſchen Orten hat die Sache eine ganz ver- kehrte Wendung genommen. On arrache le ſerf à ſa mort de la maiſon de ſon Epouſe deſolée, on le tranſporte dans une terre étrange, mais libre, une famille en pleurs ſuit ſon Pere expirani dans des lieux inconnus, et a ſouvent la douleur de voir, qu’un transport perilleux pour le malade, mais dont la liberté commune eſt le prix, a abregé ſes jours. S. Diſſerta- tion ſur l’Abbaye de St. Claude, im Anhang, p 35. Hier hat die Fahrloſigkeit der Koͤnigl. Beamte gemacht, daß die Leute, ſo ſich aus dem Bezirk der Abtey St. Claude tragen laſſen, frey ſterben, anſtatt daß ihre Erbſchaft ſodann als Bieſterfrey dem Koͤnige heimfallen ſollte. Dagegen hat die Abtey St. Claude ihre Hode in eine Sclaverey verwandelt. a) jetzt leicht ſagen: Meine eigne Leute, meine eigne Untertha- nen haben es gethan, ohne daraus ein Leibeigenthum zu ma- chen. Wie viel weniger kann alſo aus dem Gebrauch des Worts eigen in der Periode der perſoͤnlichen Anhaͤnglichkeit etwas ver- faͤngliches geſchloſſen werden?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/376
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/376>, abgerufen am 24.11.2024.