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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die Politik im Unglück.
Die Neugierde hatte eine Menge von Leuten herbey gezogen,
um dieses sonderbare Schauspiel mit anzusehen; vielleicht
auch um ihre Augen an der gefallenen Schöne zu weiden.
Aber diese schien darauf nicht einmal Acht zu haben; sie
brachte ihren Schmuck, ihre Kleidung und alle ihre besten
Sachen, so wie ein Stück nach dem andern verkauft wur-
de, selbst hervor. Es war eine ungeheure Menge von al-
lerley zum we[i]blichen Putz gehörigen Ueberflüßigkeiten und
darunter würklich sehr viel kosibares was die vornehmste
Dame sich nicht besser hätte wünschen können. Sie that
dieses mit einer solchen Entschlossenheit, daß sie von jeder-
mann bewundert wurde. Man bemerkte weder Verzweif-
lung noch Betrübniß in ihren Augen; sondern höchstens
dann und wann ein kleines Lächeln, welches der vergängli-
chen Ehre zu spotten schien. Nur wie sie ihre Hemden her-
ein brachte, glaubte man, und sagte es sich einander ins
Ohr, daß sie draussen geweinet haben müste; und würklich
ihre Augen hatten eine etwas geschwindere Bewegung, wie
man wohl zu haben pflegt, wenn man eine ausbrechende
Thräne in der Geschwindigkeit verbergen will. Ein reicher
Kaufmann erstand die Hemden, und wollte ihr ein Geschenk
damit machen. Allein sie wegerte sich solche wieder anzu-
nehmen, unter dem Vorwande, daß sie sich künftig mit
ganz andern behelfen müste. Beyde wurden hierüber ver-
legen; der Kaufmann, weil seine Gabe öffentlich verschmä-
het wurde, und sie, indem sie aus der plötzlichen Stille der
ganzen Gesellschaft merkte, daß man ihr diesen Stolz übel
deutete. Sie, die es am ersten fühlte, überwand sich aber
gleich, und nahm das Geschenk unter der Bedingung an,
wenn es ihr erlaubt würde, die Hemden wieder zu verkau-
fen, und statt derselben das Geld anzunehmen. Der Stolz
des Kaufmanns ward hiedurch sogleich auf die augenehmste
Art beruhiget; er nahm selbst ein Hemd nach dem andern,

bot

Die Politik im Ungluͤck.
Die Neugierde hatte eine Menge von Leuten herbey gezogen,
um dieſes ſonderbare Schauſpiel mit anzuſehen; vielleicht
auch um ihre Augen an der gefallenen Schoͤne zu weiden.
Aber dieſe ſchien darauf nicht einmal Acht zu haben; ſie
brachte ihren Schmuck, ihre Kleidung und alle ihre beſten
Sachen, ſo wie ein Stuͤck nach dem andern verkauft wur-
de, ſelbſt hervor. Es war eine ungeheure Menge von al-
lerley zum we[i]blichen Putz gehoͤrigen Ueberfluͤßigkeiten und
darunter wuͤrklich ſehr viel koſibares was die vornehmſte
Dame ſich nicht beſſer haͤtte wuͤnſchen koͤnnen. Sie that
dieſes mit einer ſolchen Entſchloſſenheit, daß ſie von jeder-
mann bewundert wurde. Man bemerkte weder Verzweif-
lung noch Betruͤbniß in ihren Augen; ſondern hoͤchſtens
dann und wann ein kleines Laͤcheln, welches der vergaͤngli-
chen Ehre zu ſpotten ſchien. Nur wie ſie ihre Hemden her-
ein brachte, glaubte man, und ſagte es ſich einander ins
Ohr, daß ſie drauſſen geweinet haben muͤſte; und wuͤrklich
ihre Augen hatten eine etwas geſchwindere Bewegung, wie
man wohl zu haben pflegt, wenn man eine ausbrechende
Thraͤne in der Geſchwindigkeit verbergen will. Ein reicher
Kaufmann erſtand die Hemden, und wollte ihr ein Geſchenk
damit machen. Allein ſie wegerte ſich ſolche wieder anzu-
nehmen, unter dem Vorwande, daß ſie ſich kuͤnftig mit
ganz andern behelfen muͤſte. Beyde wurden hieruͤber ver-
legen; der Kaufmann, weil ſeine Gabe oͤffentlich verſchmaͤ-
het wurde, und ſie, indem ſie aus der ploͤtzlichen Stille der
ganzen Geſellſchaft merkte, daß man ihr dieſen Stolz uͤbel
deutete. Sie, die es am erſten fuͤhlte, uͤberwand ſich aber
gleich, und nahm das Geſchenk unter der Bedingung an,
wenn es ihr erlaubt wuͤrde, die Hemden wieder zu verkau-
fen, und ſtatt derſelben das Geld anzunehmen. Der Stolz
des Kaufmanns ward hiedurch ſogleich auf die augenehmſte
Art beruhiget; er nahm ſelbſt ein Hemd nach dem andern,

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[26/0040] Die Politik im Ungluͤck. Die Neugierde hatte eine Menge von Leuten herbey gezogen, um dieſes ſonderbare Schauſpiel mit anzuſehen; vielleicht auch um ihre Augen an der gefallenen Schoͤne zu weiden. Aber dieſe ſchien darauf nicht einmal Acht zu haben; ſie brachte ihren Schmuck, ihre Kleidung und alle ihre beſten Sachen, ſo wie ein Stuͤck nach dem andern verkauft wur- de, ſelbſt hervor. Es war eine ungeheure Menge von al- lerley zum weiblichen Putz gehoͤrigen Ueberfluͤßigkeiten und darunter wuͤrklich ſehr viel koſibares was die vornehmſte Dame ſich nicht beſſer haͤtte wuͤnſchen koͤnnen. Sie that dieſes mit einer ſolchen Entſchloſſenheit, daß ſie von jeder- mann bewundert wurde. Man bemerkte weder Verzweif- lung noch Betruͤbniß in ihren Augen; ſondern hoͤchſtens dann und wann ein kleines Laͤcheln, welches der vergaͤngli- chen Ehre zu ſpotten ſchien. Nur wie ſie ihre Hemden her- ein brachte, glaubte man, und ſagte es ſich einander ins Ohr, daß ſie drauſſen geweinet haben muͤſte; und wuͤrklich ihre Augen hatten eine etwas geſchwindere Bewegung, wie man wohl zu haben pflegt, wenn man eine ausbrechende Thraͤne in der Geſchwindigkeit verbergen will. Ein reicher Kaufmann erſtand die Hemden, und wollte ihr ein Geſchenk damit machen. Allein ſie wegerte ſich ſolche wieder anzu- nehmen, unter dem Vorwande, daß ſie ſich kuͤnftig mit ganz andern behelfen muͤſte. Beyde wurden hieruͤber ver- legen; der Kaufmann, weil ſeine Gabe oͤffentlich verſchmaͤ- het wurde, und ſie, indem ſie aus der ploͤtzlichen Stille der ganzen Geſellſchaft merkte, daß man ihr dieſen Stolz uͤbel deutete. Sie, die es am erſten fuͤhlte, uͤberwand ſich aber gleich, und nahm das Geſchenk unter der Bedingung an, wenn es ihr erlaubt wuͤrde, die Hemden wieder zu verkau- fen, und ſtatt derſelben das Geld anzunehmen. Der Stolz des Kaufmanns ward hiedurch ſogleich auf die augenehmſte Art beruhiget; er nahm ſelbſt ein Hemd nach dem andern, bot

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/40>, abgerufen am 23.11.2024.