bot es den Anwesenden feil, und nun war keine Dame, die nicht wenigstens ein Hemde vierfach bezahlte, für das schlech- teste gab man hundert Mark. Hier konnte das edle Weib den Thränen nicht wiederstehen; diese allgemeine Theilneh- mung an ihrem Unglück brach ihr das Herz; und die ganze Gesellschaft gab sich die zärtlichste Mühe, ihr etwas tröstli- ches und verbindliches zu sagen. In meinem grösten Glü- cke, erwiederte die rechtschaffene Frau, ist mir nie so sehr geschmeichelt worden, als heute. O Unglück, wie vieles lehrst du mich! und wie vieles habe ich dir zu danken!
In dem Taumel der Dankbarkeit und zärtlichen Em- pfindungen riß ich sie nach geschlossenem Verkauf mit fort in meinem Wagen, und brachte sie unvermuthet zur Ge- sellschaft, worin sie vordem die erste Person gespielet hatte. Es schien ihr dieses zwar nicht angenehm zu seyn; jedoch fand sie sich sogleich; und begegnete den jungen Herrn, die sich mit einem neugierigen Ungestüm um sie versammleten, mit einer unnachahmlichen Bescheidenheit. Der Kreis ver- lohr sich, ohne daß sie ihn verscheuchte oder aufzuhalten be- mühet war. Sie fühlte ihre Würde, ohne daraus eine Rolle zu machen; und erweckte stilles Mitleid, ohne die Unglückliche zu spielen. Diejenigen, welche sie zuerst mit einer hämischen Freude erblickt hatten, vertieften sich in heimliche Bewunderung, und verziehen ihrem Unglück den unbeleidigenden Stolz. Man wollte, sie sollte spielen; aber sie verbat durchaus die Charte, und wie die übrige Gesellschaft sich diesem gewöhnten Vergnügen überließ, setzte sie sich zu unserm redlichen R ... der auch nicht zu spielen pflegt, und zog ihn, wie ich aus einigen Worten schloß, über verschiedene Entwürfe zu Rathe, welche sie in Absicht auf ihren und ihrer Kinder künftigen Unterhalt gemacht hatte. Er antwortete ihr nur immer mit Lebhaftigkeit: O alles
was
Die Politik im Ungluͤck.
bot es den Anweſenden feil, und nun war keine Dame, die nicht wenigſtens ein Hemde vierfach bezahlte, fuͤr das ſchlech- teſte gab man hundert Mark. Hier konnte das edle Weib den Thraͤnen nicht wiederſtehen; dieſe allgemeine Theilneh- mung an ihrem Ungluͤck brach ihr das Herz; und die ganze Geſellſchaft gab ſich die zaͤrtlichſte Muͤhe, ihr etwas troͤſtli- ches und verbindliches zu ſagen. In meinem groͤſten Gluͤ- cke, erwiederte die rechtſchaffene Frau, iſt mir nie ſo ſehr geſchmeichelt worden, als heute. O Ungluͤck, wie vieles lehrſt du mich! und wie vieles habe ich dir zu danken!
In dem Taumel der Dankbarkeit und zaͤrtlichen Em- pfindungen riß ich ſie nach geſchloſſenem Verkauf mit fort in meinem Wagen, und brachte ſie unvermuthet zur Ge- ſellſchaft, worin ſie vordem die erſte Perſon geſpielet hatte. Es ſchien ihr dieſes zwar nicht angenehm zu ſeyn; jedoch fand ſie ſich ſogleich; und begegnete den jungen Herrn, die ſich mit einem neugierigen Ungeſtuͤm um ſie verſammleten, mit einer unnachahmlichen Beſcheidenheit. Der Kreis ver- lohr ſich, ohne daß ſie ihn verſcheuchte oder aufzuhalten be- muͤhet war. Sie fuͤhlte ihre Wuͤrde, ohne daraus eine Rolle zu machen; und erweckte ſtilles Mitleid, ohne die Ungluͤckliche zu ſpielen. Diejenigen, welche ſie zuerſt mit einer haͤmiſchen Freude erblickt hatten, vertieften ſich in heimliche Bewunderung, und verziehen ihrem Ungluͤck den unbeleidigenden Stolz. Man wollte, ſie ſollte ſpielen; aber ſie verbat durchaus die Charte, und wie die uͤbrige Geſellſchaft ſich dieſem gewoͤhnten Vergnuͤgen uͤberließ, ſetzte ſie ſich zu unſerm redlichen R … der auch nicht zu ſpielen pflegt, und zog ihn, wie ich aus einigen Worten ſchloß, uͤber verſchiedene Entwuͤrfe zu Rathe, welche ſie in Abſicht auf ihren und ihrer Kinder kuͤnftigen Unterhalt gemacht hatte. Er antwortete ihr nur immer mit Lebhaftigkeit: O alles
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Die Politik im Ungluͤck.
bot es den Anweſenden feil, und nun war keine Dame, die
nicht wenigſtens ein Hemde vierfach bezahlte, fuͤr das ſchlech-
teſte gab man hundert Mark. Hier konnte das edle Weib
den Thraͤnen nicht wiederſtehen; dieſe allgemeine Theilneh-
mung an ihrem Ungluͤck brach ihr das Herz; und die ganze
Geſellſchaft gab ſich die zaͤrtlichſte Muͤhe, ihr etwas troͤſtli-
ches und verbindliches zu ſagen. In meinem groͤſten Gluͤ-
cke, erwiederte die rechtſchaffene Frau, iſt mir nie ſo ſehr
geſchmeichelt worden, als heute. O Ungluͤck, wie vieles
lehrſt du mich! und wie vieles habe ich dir zu danken!
In dem Taumel der Dankbarkeit und zaͤrtlichen Em-
pfindungen riß ich ſie nach geſchloſſenem Verkauf mit fort
in meinem Wagen, und brachte ſie unvermuthet zur Ge-
ſellſchaft, worin ſie vordem die erſte Perſon geſpielet hatte.
Es ſchien ihr dieſes zwar nicht angenehm zu ſeyn; jedoch
fand ſie ſich ſogleich; und begegnete den jungen Herrn, die
ſich mit einem neugierigen Ungeſtuͤm um ſie verſammleten,
mit einer unnachahmlichen Beſcheidenheit. Der Kreis ver-
lohr ſich, ohne daß ſie ihn verſcheuchte oder aufzuhalten be-
muͤhet war. Sie fuͤhlte ihre Wuͤrde, ohne daraus eine
Rolle zu machen; und erweckte ſtilles Mitleid, ohne die
Ungluͤckliche zu ſpielen. Diejenigen, welche ſie zuerſt mit
einer haͤmiſchen Freude erblickt hatten, vertieften ſich in
heimliche Bewunderung, und verziehen ihrem Ungluͤck den
unbeleidigenden Stolz. Man wollte, ſie ſollte ſpielen;
aber ſie verbat durchaus die Charte, und wie die uͤbrige
Geſellſchaft ſich dieſem gewoͤhnten Vergnuͤgen uͤberließ, ſetzte
ſie ſich zu unſerm redlichen R … der auch nicht zu ſpielen
pflegt, und zog ihn, wie ich aus einigen Worten ſchloß,
uͤber verſchiedene Entwuͤrfe zu Rathe, welche ſie in Abſicht
auf ihren und ihrer Kinder kuͤnftigen Unterhalt gemacht hatte.
Er antwortete ihr nur immer mit Lebhaftigkeit: O alles
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und verme… [mehr]
Für das DTA wurde die „Neue verbesserte und vermehrte Auflage“ des 3. Teils von Justus Mösers „Patriotischen Phantasien“ zur Digitalisierung ausgewählt. Sie erschien 1778, also im selben Jahr wie die Erstauflage dieses Bandes, und ist bis S. 260 seitenidentisch mit dieser. Die Abschnitte LX („Gedanken über den westphälischen Leibeigenthum“) bis LXVIII („Gedanken über den Stillestand der Leibeignen“) sind Ergänzungen gegenüber der ersten Auflage.
Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/41>, abgerufen am 27.07.2024.
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