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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778.

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Die Politik im Unglück.
vielleicht mit unter; aber dieses edle Ingredienz unsrer Natur
mag immer bleiben, wenn es so gut würkt. Wenn ich mich
in einem falschen Staate erhalten, und in einem prächtigen
Elend leben wollte: so würden sie mir nicht so freundschaftlich
begegnen, sie würden sich vor meinen Klagen und Zumuthun-
gen fürchten, mir aus dem Wege gehen, wohl gar meine
Redlichkeit in Zweifel ziehen, und mich für eine stolze Frau
halten. Dieses ist meiner Empfindung nach so klar, daß
ich keinen Menschenverstand haben müste, wenn ich hier
in der Wahl der Mittel fehlte. Die falsche Schaam fin-
det sich blos in dem Herzen einer Kokette ohne Verstand,
die ihre eigenen Vortheile nicht kennet, und blos in einer
einzelnen Situation, wo ihr alles zu Hülfe kömmt, glänzt,
so bald ihr aber die fremde Hülfe fehlt, sich die Bewunde-
rung erbetteln will. Was könnte mich reitzen, auf die Ge-
fahr lächerlich zu werden, eine so elende Figur zu machen,
da ich den sichern Weg, im Unglück groß zu bleiben, vor
mir habe? oder halten Sie es für etwas grosses und Nach-
ahmungswerthes, daß die Frau eines Schuhflickers in
Rom nicht zur Kirche geht, ohne einen Dominichino hinter
sich zu haben, den sie sich für einen Stüber miethet? Mir
gefällt nichts, als was meinen Umständen angemessen ist;
hiemit versöhne ich aller Welt Stolz und Neid, und man
steht mir dagegen die Hochachtung freywillig zu, die ich
vergeblich fordern, und noch vergeblicher erbetteln würde ..

Mich deucht, dieses ist eine sehr vernünftige Politik;
ich finde nun nicht, daß sie sich ihres wollenen Röckchens
zu schämen habe, und verehre die Frau, die ihn mit so
vieler Ueberlegung angeleget hat. Vor acht Tagen sahe
ich sie bey dem französischen Residenten, Es half nichts:
sie muste sich in ihrem jetzigen Anzuge mahlen lassen, und
der Mahler hat seitdem schon mehr als zehn Eopien davon

ma-

Die Politik im Ungluͤck.
vielleicht mit unter; aber dieſes edle Ingredienz unſrer Natur
mag immer bleiben, wenn es ſo gut wuͤrkt. Wenn ich mich
in einem falſchen Staate erhalten, und in einem praͤchtigen
Elend leben wollte: ſo wuͤrden ſie mir nicht ſo freundſchaftlich
begegnen, ſie wuͤrden ſich vor meinen Klagen und Zumuthun-
gen fuͤrchten, mir aus dem Wege gehen, wohl gar meine
Redlichkeit in Zweifel ziehen, und mich fuͤr eine ſtolze Frau
halten. Dieſes iſt meiner Empfindung nach ſo klar, daß
ich keinen Menſchenverſtand haben muͤſte, wenn ich hier
in der Wahl der Mittel fehlte. Die falſche Schaam fin-
det ſich blos in dem Herzen einer Kokette ohne Verſtand,
die ihre eigenen Vortheile nicht kennet, und blos in einer
einzelnen Situation, wo ihr alles zu Huͤlfe koͤmmt, glaͤnzt,
ſo bald ihr aber die fremde Huͤlfe fehlt, ſich die Bewunde-
rung erbetteln will. Was koͤnnte mich reitzen, auf die Ge-
fahr laͤcherlich zu werden, eine ſo elende Figur zu machen,
da ich den ſichern Weg, im Ungluͤck groß zu bleiben, vor
mir habe? oder halten Sie es fuͤr etwas groſſes und Nach-
ahmungswerthes, daß die Frau eines Schuhflickers in
Rom nicht zur Kirche geht, ohne einen Dominichino hinter
ſich zu haben, den ſie ſich fuͤr einen Stuͤber miethet? Mir
gefaͤllt nichts, als was meinen Umſtaͤnden angemeſſen iſt;
hiemit verſoͤhne ich aller Welt Stolz und Neid, und man
ſteht mir dagegen die Hochachtung freywillig zu, die ich
vergeblich fordern, und noch vergeblicher erbetteln wuͤrde ..

Mich deucht, dieſes iſt eine ſehr vernuͤnftige Politik;
ich finde nun nicht, daß ſie ſich ihres wollenen Roͤckchens
zu ſchaͤmen habe, und verehre die Frau, die ihn mit ſo
vieler Ueberlegung angeleget hat. Vor acht Tagen ſahe
ich ſie bey dem franzoͤſiſchen Reſidenten, Es half nichts:
ſie muſte ſich in ihrem jetzigen Anzuge mahlen laſſen, und
der Mahler hat ſeitdem ſchon mehr als zehn Eopien davon

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[30/0044] Die Politik im Ungluͤck. vielleicht mit unter; aber dieſes edle Ingredienz unſrer Natur mag immer bleiben, wenn es ſo gut wuͤrkt. Wenn ich mich in einem falſchen Staate erhalten, und in einem praͤchtigen Elend leben wollte: ſo wuͤrden ſie mir nicht ſo freundſchaftlich begegnen, ſie wuͤrden ſich vor meinen Klagen und Zumuthun- gen fuͤrchten, mir aus dem Wege gehen, wohl gar meine Redlichkeit in Zweifel ziehen, und mich fuͤr eine ſtolze Frau halten. Dieſes iſt meiner Empfindung nach ſo klar, daß ich keinen Menſchenverſtand haben muͤſte, wenn ich hier in der Wahl der Mittel fehlte. Die falſche Schaam fin- det ſich blos in dem Herzen einer Kokette ohne Verſtand, die ihre eigenen Vortheile nicht kennet, und blos in einer einzelnen Situation, wo ihr alles zu Huͤlfe koͤmmt, glaͤnzt, ſo bald ihr aber die fremde Huͤlfe fehlt, ſich die Bewunde- rung erbetteln will. Was koͤnnte mich reitzen, auf die Ge- fahr laͤcherlich zu werden, eine ſo elende Figur zu machen, da ich den ſichern Weg, im Ungluͤck groß zu bleiben, vor mir habe? oder halten Sie es fuͤr etwas groſſes und Nach- ahmungswerthes, daß die Frau eines Schuhflickers in Rom nicht zur Kirche geht, ohne einen Dominichino hinter ſich zu haben, den ſie ſich fuͤr einen Stuͤber miethet? Mir gefaͤllt nichts, als was meinen Umſtaͤnden angemeſſen iſt; hiemit verſoͤhne ich aller Welt Stolz und Neid, und man ſteht mir dagegen die Hochachtung freywillig zu, die ich vergeblich fordern, und noch vergeblicher erbetteln wuͤrde .. Mich deucht, dieſes iſt eine ſehr vernuͤnftige Politik; ich finde nun nicht, daß ſie ſich ihres wollenen Roͤckchens zu ſchaͤmen habe, und verehre die Frau, die ihn mit ſo vieler Ueberlegung angeleget hat. Vor acht Tagen ſahe ich ſie bey dem franzoͤſiſchen Reſidenten, Es half nichts: ſie muſte ſich in ihrem jetzigen Anzuge mahlen laſſen, und der Mahler hat ſeitdem ſchon mehr als zehn Eopien davon ma-

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, 1778, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien03_1778/44>, abgerufen am 21.11.2024.