Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.Klage über den Buchstaben R. den Slavaken in Obersachsen her, die a Sigh ein Süch-ten, wie die guten Westfälinger sagen, in einen Seuf- zer verwandeln, und entweder in Doppellauten krei- schen, oder jedes sanfte Gefühl durch zischen und hau- chen verscheuchen. Jhre Worte strudeln wo sie nur flies- sen sollten, und die sanftern Gefühle ersterben unter dem eckigten Ausdrucke. Jn stillen Empfindungen dahin fließend, gleite ich
so fühlt man gleich aus dem Mangel des R, daß hier Ueberlegen Sie es doch lieber Meiner, ob Sie nicht Minna XXVIII.
Klage uͤber den Buchſtaben R. den Slavaken in Oberſachſen her, die a Sigh ein Suͤch-ten, wie die guten Weſtfaͤlinger ſagen, in einen Seuf- zer verwandeln, und entweder in Doppellauten krei- ſchen, oder jedes ſanfte Gefuͤhl durch ziſchen und hau- chen verſcheuchen. Jhre Worte ſtrudeln wo ſie nur flieſ- ſen ſollten, und die ſanftern Gefuͤhle erſterben unter dem eckigten Ausdrucke. Jn ſtillen Empfindungen dahin fließend, gleite ich
ſo fuͤhlt man gleich aus dem Mangel des R, daß hier Ueberlegen Sie es doch lieber Meiner, ob Sie nicht Minna XXVIII.
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Klage uͤber den Buchſtaben R.
den Slavaken in Oberſachſen her, die a Sigh ein Suͤch-
ten, wie die guten Weſtfaͤlinger ſagen, in einen Seuf-
zer verwandeln, und entweder in Doppellauten krei-
ſchen, oder jedes ſanfte Gefuͤhl durch ziſchen und hau-
chen verſcheuchen. Jhre Worte ſtrudeln wo ſie nur flieſ-
ſen ſollten, und die ſanftern Gefuͤhle erſterben unter dem
eckigten Ausdrucke.
Jn ſtillen Empfindungen dahin fließend, gleite ich
oft uͤber ein Veilgen und benetze es mit einer ungeſehe-
nen Thraͤne, daß unſre Woͤrter ſo wenig zur Sache ge-
ſtimmt ſind. Wenn der Jtaliaͤner ſagt
Qui ci vivea di ſpeme
Qui ci languiva inſieme.
ſo fuͤhlt man gleich aus dem Mangel des R, daß hier
eine weiche Empfindung ausgedruckt ſey; aber bey den
Deutſchen iſt ein feines Ohr zu ſelten, und die Phyſio-
nomie ihrer Woͤrter ſo dunkel, daß Lavater Muͤhe ha-
ben wird, die Regeln davon anzugeben. Ein Jtaliaͤner
empfaͤngt von einem Worte ſeiner Geliebten mehr Wonne,
als der Deutſche von ihrem ganzen Herzen. Jenes ath-
met ihm ſchon den ſuͤßeſten Genuß zu, wann dieſes un-
ter dem dickborkigten Ausdrucke unerkannt zerſpringt.
Ueberlegen Sie es doch lieber Meiner, ob Sie nicht
unſre Sprache auch ein wenig dahin ſtimmen koͤnnen.
Fuͤr empfindſame Herzen gehoͤrt auch empfindſame Spra-
che, und ich will lieber vor ihrem Bilde knien und aus
deſſen Zuͤgen Leben ſchoͤpfen, als Sie vor mir knien ſe-
hen, wenn Sie mich nicht anders als Jhre zaͤrtliche
Freundinn nennen koͤnnen. Jndeſſen bin ich allezeit gern
ihre gute liebe
Minna
XXVIII.
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