Es sind viele der Meinung, daß man den Sinn dieser beyden Wörter im Deutschen nicht ausdrücken könne. Mir scheint abrr doch Tugendstolz den Begrif der Prude- rie völlig zu erschöpfen.
Der Ahnenstolz bezeichnet einmal den Mann ohne Verdienste, der sich lediglich auf seine hohe Geburt etwas zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge- braucht werden, der alle Verdienste hat, jedoch diese als ausschliesliche Eigenschaften seines Standes ansieht, und darauf stolz ist. Eben dieses trift auch bey dem Tugend- stolze zu, den eine würklich tugendhafte Person, und auch eine von schlechterm innern Werthe haben kann; und diese Doppelsinnigkeit entspricht der französischen Bedeu- tung völlig.
Mit der Coquetterie scheinet es etwas schwerer zu fallen. Dieses Wort bedeutete zuerst nach dem Mena- ge*) die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um das Huhn hoch einher geht, und ihm seine Neigung zu erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne gebraucht, was seinen guten Willen gegen den Hahnen zu zeigen bemühet ist; (des Poules qui se panardent de- vant le coq) und erst sehr spät haben es die Franzosen in der figürlichen Bedeutung von den Menschen gebraucht, die auf ähnliche Art entweder das Huhn oder den Hah- nen spielen. Die Mademoiselle Scudery*) bezeugt, daß
es
*)Dict. Etymol. v. Coquet.
*)Histoire de la Coquetterie T. II. de ses nouvelles Conversa- tions de morale p. 735.
XXVIII. La Prude & la Coquette zu deutſch.
Es ſind viele der Meinung, daß man den Sinn dieſer beyden Woͤrter im Deutſchen nicht ausdruͤcken koͤnne. Mir ſcheint abrr doch Tugendſtolz den Begrif der Prude- rie voͤllig zu erſchoͤpfen.
Der Ahnenſtolz bezeichnet einmal den Mann ohne Verdienſte, der ſich lediglich auf ſeine hohe Geburt etwas zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge- braucht werden, der alle Verdienſte hat, jedoch dieſe als ausſchliesliche Eigenſchaften ſeines Standes anſieht, und darauf ſtolz iſt. Eben dieſes trift auch bey dem Tugend- ſtolze zu, den eine wuͤrklich tugendhafte Perſon, und auch eine von ſchlechterm innern Werthe haben kann; und dieſe Doppelſinnigkeit entſpricht der franzoͤſiſchen Bedeu- tung voͤllig.
Mit der Coquetterie ſcheinet es etwas ſchwerer zu fallen. Dieſes Wort bedeutete zuerſt nach dem Mena- ge*) die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um das Huhn hoch einher geht, und ihm ſeine Neigung zu erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne gebraucht, was ſeinen guten Willen gegen den Hahnen zu zeigen bemuͤhet iſt; (des Poules qui ſe panardent de- vant le coq) und erſt ſehr ſpaͤt haben es die Franzoſen in der figuͤrlichen Bedeutung von den Menſchen gebraucht, die auf aͤhnliche Art entweder das Huhn oder den Hah- nen ſpielen. Die Mademoiſelle Scudery*) bezeugt, daß
es
*)Dict. Etymol. v. Coquet.
*)Hiſtoire de la Coquetterie T. II. de ſes nouvelles Converſa- tions de morale p. 735.
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XXVIII.
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beyden Woͤrter im Deutſchen nicht ausdruͤcken koͤnne.
Mir ſcheint abrr doch Tugendſtolz den Begrif der Prude-
rie voͤllig zu erſchoͤpfen.
Der Ahnenſtolz bezeichnet einmal den Mann ohne
Verdienſte, der ſich lediglich auf ſeine hohe Geburt etwas
zu gute thut; er kann aber auch von einem Manne ge-
braucht werden, der alle Verdienſte hat, jedoch dieſe als
ausſchliesliche Eigenſchaften ſeines Standes anſieht, und
darauf ſtolz iſt. Eben dieſes trift auch bey dem Tugend-
ſtolze zu, den eine wuͤrklich tugendhafte Perſon, und auch
eine von ſchlechterm innern Werthe haben kann; und
dieſe Doppelſinnigkeit entſpricht der franzoͤſiſchen Bedeu-
tung voͤllig.
Mit der Coquetterie ſcheinet es etwas ſchwerer zu
fallen. Dieſes Wort bedeutete zuerſt nach dem Mena-
ge *) die Handlung des verliebten Hahnen, wenn er um
das Huhn hoch einher geht, und ihm ſeine Neigung zu
erkennen giebt; hernach ward es auch von dem Huhne
gebraucht, was ſeinen guten Willen gegen den Hahnen
zu zeigen bemuͤhet iſt; (des Poules qui ſe panardent de-
vant le coq) und erſt ſehr ſpaͤt haben es die Franzoſen
in der figuͤrlichen Bedeutung von den Menſchen gebraucht,
die auf aͤhnliche Art entweder das Huhn oder den Hah-
nen ſpielen. Die Mademoiſelle Scudery *) bezeugt, daß
es
*) Dict. Etymol. v. Coquet.
*) Hiſtoire de la Coquetterie T. II. de ſes nouvelles Converſa-
tions de morale p. 735.
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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/119>, abgerufen am 16.02.2025.
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