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Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

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der Landbesitzer.
wenn gleich alle bis zu ihrer Großjährigkeit in dem elter-
lichen Hause Brod haben mochten: so konnte doch dieses
nicht länger währen, als bis die junge Frau auf den Hof
kam, und ihre Kinder deu Platz am Heerde forderten,
welchen die Oheims und Tanten bis dahin eingenom-
men hatten.

Hier fragt man nun billig, was aus den letztern, da
sie weder Erbtheil noch Brautschatz erhalten, und auch
alle nicht wiederum auf Höfe heyrathen konnten, gewor-
den sey? Präbenden, Stifter und Klöster waren nicht
vorhanden, und ich möchte auch nicht gern behaupten,
daß alle sächsischen Mädgen, die so gesund von Kern und
blau von Auge waren, sich zum ehelosen Stande ent-
schlossen hätten. Anderwärts habe ich schon gesagt, daß
die junge Brut alle fünf oder zehn Jahr geschwärmt und
sich auf Ebentheuer in fremde Länder begeben hätte. Ta-
citus
scheint dieses zu bestätigen, wenn er sagt: bey den
Deutschen bringt die Frau ihrem Manne keinen Braut-
schatz zu; und dieser heyrathet auf Roß und Rüstung.
Denn dieses gilt offenbar nicht von dem Hofes Erben,
sondern von den jüngern Söhnen, die auf Ebentheuer
ziehen, oder von den Sueven, welche kein Grundeigen-
thum hatten, und die mehrste Zeit im Lager standen.
Der Hofes Erbe heyrathet nicht auf Roß und Rüstung,
sondern auf seinen Hof; und seine Witwe hat eine Leib-
zucht, anstatt daß die Frau, welche auf Roß und Rü-
stung geheyrathet wird, keinen andern Witwensitz als
hinter dem Sattel hat.

Allein die Zeit zur Völkerwandelungen, worin jene
junge Brut schwärmte, war nicht immer günstig; die Rö-
mer währeten solches unsern Vorfahren oft, die Franken
noch mehr, und die christliche Religion hemmete solche zu-

letzt
O 5

der Landbeſitzer.
wenn gleich alle bis zu ihrer Großjaͤhrigkeit in dem elter-
lichen Hauſe Brod haben mochten: ſo konnte doch dieſes
nicht laͤnger waͤhren, als bis die junge Frau auf den Hof
kam, und ihre Kinder deu Platz am Heerde forderten,
welchen die Oheims und Tanten bis dahin eingenom-
men hatten.

Hier fragt man nun billig, was aus den letztern, da
ſie weder Erbtheil noch Brautſchatz erhalten, und auch
alle nicht wiederum auf Hoͤfe heyrathen konnten, gewor-
den ſey? Praͤbenden, Stifter und Kloͤſter waren nicht
vorhanden, und ich moͤchte auch nicht gern behaupten,
daß alle ſaͤchſiſchen Maͤdgen, die ſo geſund von Kern und
blau von Auge waren, ſich zum eheloſen Stande ent-
ſchloſſen haͤtten. Anderwaͤrts habe ich ſchon geſagt, daß
die junge Brut alle fuͤnf oder zehn Jahr geſchwaͤrmt und
ſich auf Ebentheuer in fremde Laͤnder begeben haͤtte. Ta-
citus
ſcheint dieſes zu beſtaͤtigen, wenn er ſagt: bey den
Deutſchen bringt die Frau ihrem Manne keinen Braut-
ſchatz zu; und dieſer heyrathet auf Roß und Ruͤſtung.
Denn dieſes gilt offenbar nicht von dem Hofes Erben,
ſondern von den juͤngern Soͤhnen, die auf Ebentheuer
ziehen, oder von den Sueven, welche kein Grundeigen-
thum hatten, und die mehrſte Zeit im Lager ſtanden.
Der Hofes Erbe heyrathet nicht auf Roß und Ruͤſtung,
ſondern auf ſeinen Hof; und ſeine Witwe hat eine Leib-
zucht, anſtatt daß die Frau, welche auf Roß und Ruͤ-
ſtung geheyrathet wird, keinen andern Witwenſitz als
hinter dem Sattel hat.

Allein die Zeit zur Voͤlkerwandelungen, worin jene
junge Brut ſchwaͤrmte, war nicht immer guͤnſtig; die Roͤ-
mer waͤhreten ſolches unſern Vorfahren oft, die Franken
noch mehr, und die chriſtliche Religion hemmete ſolche zu-

letzt
O 5
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[217/0229] der Landbeſitzer. wenn gleich alle bis zu ihrer Großjaͤhrigkeit in dem elter- lichen Hauſe Brod haben mochten: ſo konnte doch dieſes nicht laͤnger waͤhren, als bis die junge Frau auf den Hof kam, und ihre Kinder deu Platz am Heerde forderten, welchen die Oheims und Tanten bis dahin eingenom- men hatten. Hier fragt man nun billig, was aus den letztern, da ſie weder Erbtheil noch Brautſchatz erhalten, und auch alle nicht wiederum auf Hoͤfe heyrathen konnten, gewor- den ſey? Praͤbenden, Stifter und Kloͤſter waren nicht vorhanden, und ich moͤchte auch nicht gern behaupten, daß alle ſaͤchſiſchen Maͤdgen, die ſo geſund von Kern und blau von Auge waren, ſich zum eheloſen Stande ent- ſchloſſen haͤtten. Anderwaͤrts habe ich ſchon geſagt, daß die junge Brut alle fuͤnf oder zehn Jahr geſchwaͤrmt und ſich auf Ebentheuer in fremde Laͤnder begeben haͤtte. Ta- citus ſcheint dieſes zu beſtaͤtigen, wenn er ſagt: bey den Deutſchen bringt die Frau ihrem Manne keinen Braut- ſchatz zu; und dieſer heyrathet auf Roß und Ruͤſtung. Denn dieſes gilt offenbar nicht von dem Hofes Erben, ſondern von den juͤngern Soͤhnen, die auf Ebentheuer ziehen, oder von den Sueven, welche kein Grundeigen- thum hatten, und die mehrſte Zeit im Lager ſtanden. Der Hofes Erbe heyrathet nicht auf Roß und Ruͤſtung, ſondern auf ſeinen Hof; und ſeine Witwe hat eine Leib- zucht, anſtatt daß die Frau, welche auf Roß und Ruͤ- ſtung geheyrathet wird, keinen andern Witwenſitz als hinter dem Sattel hat. Allein die Zeit zur Voͤlkerwandelungen, worin jene junge Brut ſchwaͤrmte, war nicht immer guͤnſtig; die Roͤ- mer waͤhreten ſolches unſern Vorfahren oft, die Franken noch mehr, und die chriſtliche Religion hemmete ſolche zu- letzt O 5

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Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/229>, abgerufen am 21.11.2024.