Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht nach dem englischen?
der des Lords sich ohne alle üble Folgen der Handlung
oder einem jeden andern Geschäfte widmen könnte, und
Mylord Oxford, Mylord Townssend sich ihrer Brüder,
wovon der eine als Factor in Aleppo stand, und der an-
dre in London lebte, nie geschämet hatten. So wenig
nun auch dieser Umstand zur Entscheidung jener Frage
etwas beytrug, indem die Brüder eines Lords in England
nicht zum Adel gehören, so ist er doch allemal sehr merk-
würdig und man frägt billig: warum wir Deutschen die
jüngern aus einem adlichen Ehebette erzeugten Kinder
mehr zum Adel rechnen als die Engländer?

Man kann antworten: in England sey der Adel eine
Kronehre oder ein Kronlehn, welches wie jede andere
erblich gewordene Würde nur Einem aus der Familie,
und nachdem die Einrichtung ist, nur dem ältesten zu
Theil werden kann; das Haupt, welches diese Ehre seinem
Geschlechte erwirbt, sey dadurch also ganz allein gewür-
diget und ausser dem Sohne, der ihm in dieser Erbwürde
folgt, behalte sein ganzes übriges Geschlecht, diejenige
gemeine Wehrung, die es vorher hatte, die Wehrung
freygebohrner Leute. Hingegen zeuge ein Herzog, wenn
der liebe Gott sein Ehebette segnet, zwölf Herzoge, ein
Graf zwölf Grafen und ein Freyherr zwölf Freyherrn,
ohnerachtet das Herzogthum, die Grafschaft und die Frey-
herrlichkeit ebenfalls alte Kronwürden sind, und lange
auch in Deutschland nur einem zu Theil wurden.

Allein damit bleibt immer noch die Frage übrig:
warum wir diesen Weg eingeschlagen? warum wir nicht
eben wie in den mehrsten königlichen Häusern, den jün-
gern Sohn immer eine Stuffe niedriger stehen lassen, als
den ältern, und das Herzogthum, die Grofschaft und
die Freyherrlichkeit einmal für alle für untheilbare Reichs-

wür-
Q 4

nicht nach dem engliſchen?
der des Lords ſich ohne alle uͤble Folgen der Handlung
oder einem jeden andern Geſchaͤfte widmen koͤnnte, und
Mylord Oxford, Mylord Townsſend ſich ihrer Bruͤder,
wovon der eine als Factor in Aleppo ſtand, und der an-
dre in London lebte, nie geſchaͤmet hatten. So wenig
nun auch dieſer Umſtand zur Entſcheidung jener Frage
etwas beytrug, indem die Bruͤder eines Lords in England
nicht zum Adel gehoͤren, ſo iſt er doch allemal ſehr merk-
wuͤrdig und man fraͤgt billig: warum wir Deutſchen die
juͤngern aus einem adlichen Ehebette erzeugten Kinder
mehr zum Adel rechnen als die Englaͤnder?

Man kann antworten: in England ſey der Adel eine
Kronehre oder ein Kronlehn, welches wie jede andere
erblich gewordene Wuͤrde nur Einem aus der Familie,
und nachdem die Einrichtung iſt, nur dem aͤlteſten zu
Theil werden kann; das Haupt, welches dieſe Ehre ſeinem
Geſchlechte erwirbt, ſey dadurch alſo ganz allein gewuͤr-
diget und auſſer dem Sohne, der ihm in dieſer Erbwuͤrde
folgt, behalte ſein ganzes uͤbriges Geſchlecht, diejenige
gemeine Wehrung, die es vorher hatte, die Wehrung
freygebohrner Leute. Hingegen zeuge ein Herzog, wenn
der liebe Gott ſein Ehebette ſegnet, zwoͤlf Herzoge, ein
Graf zwoͤlf Grafen und ein Freyherr zwoͤlf Freyherrn,
ohnerachtet das Herzogthum, die Grafſchaft und die Frey-
herrlichkeit ebenfalls alte Kronwuͤrden ſind, und lange
auch in Deutſchland nur einem zu Theil wurden.

Allein damit bleibt immer noch die Frage uͤbrig:
warum wir dieſen Weg eingeſchlagen? warum wir nicht
eben wie in den mehrſten koͤniglichen Haͤuſern, den juͤn-
gern Sohn immer eine Stuffe niedriger ſtehen laſſen, als
den aͤltern, und das Herzogthum, die Grofſchaft und
die Freyherrlichkeit einmal fuͤr alle fuͤr untheilbare Reichs-

wuͤr-
Q 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0259" n="247"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">nicht nach dem engli&#x017F;chen?</hi></fw><lb/>
der des Lords &#x017F;ich ohne alle u&#x0364;ble Folgen der Handlung<lb/>
oder einem jeden andern Ge&#x017F;cha&#x0364;fte widmen ko&#x0364;nnte, und<lb/>
Mylord Oxford, Mylord Towns&#x017F;end &#x017F;ich ihrer Bru&#x0364;der,<lb/>
wovon der eine als Factor in Aleppo &#x017F;tand, und der an-<lb/>
dre in London lebte, nie ge&#x017F;cha&#x0364;met hatten. So wenig<lb/>
nun auch die&#x017F;er Um&#x017F;tand zur Ent&#x017F;cheidung jener Frage<lb/>
etwas beytrug, indem die Bru&#x0364;der eines Lords in England<lb/>
nicht zum Adel geho&#x0364;ren, &#x017F;o i&#x017F;t er doch allemal &#x017F;ehr merk-<lb/>
wu&#x0364;rdig und man fra&#x0364;gt billig: warum wir Deut&#x017F;chen die<lb/>
ju&#x0364;ngern aus einem adlichen Ehebette erzeugten Kinder<lb/>
mehr zum Adel rechnen als die Engla&#x0364;nder?</p><lb/>
          <p>Man kann antworten: in England &#x017F;ey der Adel eine<lb/>
Kronehre oder ein Kronlehn, welches wie jede andere<lb/>
erblich gewordene Wu&#x0364;rde nur Einem aus der Familie,<lb/>
und nachdem die Einrichtung i&#x017F;t, nur dem a&#x0364;lte&#x017F;ten zu<lb/>
Theil werden kann; das Haupt, welches die&#x017F;e Ehre &#x017F;einem<lb/>
Ge&#x017F;chlechte erwirbt, &#x017F;ey dadurch al&#x017F;o ganz allein gewu&#x0364;r-<lb/>
diget und au&#x017F;&#x017F;er dem Sohne, der ihm in die&#x017F;er Erbwu&#x0364;rde<lb/>
folgt, behalte &#x017F;ein ganzes u&#x0364;briges Ge&#x017F;chlecht, diejenige<lb/>
gemeine Wehrung, die es vorher hatte, die Wehrung<lb/>
freygebohrner Leute. Hingegen zeuge ein Herzog, wenn<lb/>
der liebe Gott &#x017F;ein Ehebette &#x017F;egnet, zwo&#x0364;lf Herzoge, ein<lb/>
Graf zwo&#x0364;lf Grafen und ein Freyherr zwo&#x0364;lf Freyherrn,<lb/>
ohnerachtet das Herzogthum, die Graf&#x017F;chaft und die Frey-<lb/>
herrlichkeit ebenfalls alte Kronwu&#x0364;rden &#x017F;ind, und lange<lb/>
auch in Deut&#x017F;chland nur einem zu Theil wurden.</p><lb/>
          <p>Allein damit bleibt immer noch die Frage u&#x0364;brig:<lb/>
warum wir die&#x017F;en Weg einge&#x017F;chlagen? warum wir nicht<lb/>
eben wie in den mehr&#x017F;ten ko&#x0364;niglichen Ha&#x0364;u&#x017F;ern, den ju&#x0364;n-<lb/>
gern Sohn immer eine Stuffe niedriger &#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en, als<lb/>
den a&#x0364;ltern, und das Herzogthum, die Grof&#x017F;chaft und<lb/>
die Freyherrlichkeit einmal fu&#x0364;r alle fu&#x0364;r untheilbare Reichs-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 4</fw><fw place="bottom" type="catch">wu&#x0364;r-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0259] nicht nach dem engliſchen? der des Lords ſich ohne alle uͤble Folgen der Handlung oder einem jeden andern Geſchaͤfte widmen koͤnnte, und Mylord Oxford, Mylord Townsſend ſich ihrer Bruͤder, wovon der eine als Factor in Aleppo ſtand, und der an- dre in London lebte, nie geſchaͤmet hatten. So wenig nun auch dieſer Umſtand zur Entſcheidung jener Frage etwas beytrug, indem die Bruͤder eines Lords in England nicht zum Adel gehoͤren, ſo iſt er doch allemal ſehr merk- wuͤrdig und man fraͤgt billig: warum wir Deutſchen die juͤngern aus einem adlichen Ehebette erzeugten Kinder mehr zum Adel rechnen als die Englaͤnder? Man kann antworten: in England ſey der Adel eine Kronehre oder ein Kronlehn, welches wie jede andere erblich gewordene Wuͤrde nur Einem aus der Familie, und nachdem die Einrichtung iſt, nur dem aͤlteſten zu Theil werden kann; das Haupt, welches dieſe Ehre ſeinem Geſchlechte erwirbt, ſey dadurch alſo ganz allein gewuͤr- diget und auſſer dem Sohne, der ihm in dieſer Erbwuͤrde folgt, behalte ſein ganzes uͤbriges Geſchlecht, diejenige gemeine Wehrung, die es vorher hatte, die Wehrung freygebohrner Leute. Hingegen zeuge ein Herzog, wenn der liebe Gott ſein Ehebette ſegnet, zwoͤlf Herzoge, ein Graf zwoͤlf Grafen und ein Freyherr zwoͤlf Freyherrn, ohnerachtet das Herzogthum, die Grafſchaft und die Frey- herrlichkeit ebenfalls alte Kronwuͤrden ſind, und lange auch in Deutſchland nur einem zu Theil wurden. Allein damit bleibt immer noch die Frage uͤbrig: warum wir dieſen Weg eingeſchlagen? warum wir nicht eben wie in den mehrſten koͤniglichen Haͤuſern, den juͤn- gern Sohn immer eine Stuffe niedriger ſtehen laſſen, als den aͤltern, und das Herzogthum, die Grofſchaft und die Freyherrlichkeit einmal fuͤr alle fuͤr untheilbare Reichs- wuͤr- Q 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/259
Zitationshilfe: Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moeser_phantasien04_1786/259>, abgerufen am 24.11.2024.