Möser, Justus: Patriotische Phantasien. Bd. 4. Berlin, 1786.Warum bildet sich der deutsche Adel würden erklären, mithin solche nur auf den ältesten fallenlassen, und den nachgebohrnen Kindern etwas mehrers als den Vorzug von vornehmen Eltern gebohren zu seyn und die damit natürlich verknüpfte Achtung einräumen? Aber, könnte man erst fragen, haben wir denn würk- So scheinet es, und wenn wir genau auf den Gang ben, *) Das Wort frey ist ein relativer Begriff, und es giebt in statu
civili so viele Arten von Churfreyen, Nothfreyen und Frey- gebohrnen, daß es wegen seiner wenigen Bestimmung ganz unbrauchbar ist. Warum bildet ſich der deutſche Adel wuͤrden erklaͤren, mithin ſolche nur auf den aͤlteſten fallenlaſſen, und den nachgebohrnen Kindern etwas mehrers als den Vorzug von vornehmen Eltern gebohren zu ſeyn und die damit natuͤrlich verknuͤpfte Achtung einraͤumen? Aber, koͤnnte man erſt fragen, haben wir denn wuͤrk- So ſcheinet es, und wenn wir genau auf den Gang ben, *) Das Wort frey iſt ein relativer Begriff, und es giebt in ſtatu
civili ſo viele Arten von Churfreyen, Nothfreyen und Frey- gebohrnen, daß es wegen ſeiner wenigen Beſtimmung ganz unbrauchbar iſt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0260" n="248"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Warum bildet ſich der deutſche Adel</hi></fw><lb/> wuͤrden erklaͤren, mithin ſolche nur auf den aͤlteſten fallen<lb/> laſſen, und den nachgebohrnen Kindern etwas mehrers<lb/> als den Vorzug von vornehmen Eltern gebohren zu ſeyn<lb/> und die damit natuͤrlich verknuͤpfte Achtung einraͤumen?</p><lb/> <p>Aber, koͤnnte man erſt fragen, haben wir denn wuͤrk-<lb/> lich einen andern Weg als die Englaͤnder genommen?<lb/> ſind bey uns die juͤngern Kinder des Adels etwas mehr<lb/> als <hi rendition="#fr">freygebohrne</hi> Leute? Jſt der Beweis, welcher in Dom-<lb/> capiteln, Ritterſchaften und andern geſchloſſenen Orden,<lb/> von einem der darin aufgenommen werden will, erfor-<lb/> dert wird, etwas mehr als der Beweis einer freyen Ge-<lb/> burt? Und ſteckt nicht der ganze Knoten darin, daß das<lb/> Wort <hi rendition="#fr">freygebohren</hi> bey uns einen ausgedehntern Begriff <note place="foot" n="*)">Das Wort frey iſt ein relativer Begriff, und es giebt in <hi rendition="#aq">ſtatu<lb/> civili</hi> ſo viele Arten von Churfreyen, Nothfreyen und Frey-<lb/> gebohrnen, daß es wegen ſeiner wenigen Beſtimmung ganz<lb/> unbrauchbar iſt.</note><lb/> hat, als bey den Englaͤndern, und daß wir, blos nur um<lb/> die daraus entſtehende Zweydeutigkeit zu vermeiden, und<lb/> um eine beſtimmte Art von freyer Geburt auszudruͤcken,<lb/> die juͤngern Soͤhne <hi rendition="#fr">adelich</hi> nennen?</p><lb/> <p>So ſcheinet es, und wenn wir genau auf den Gang<lb/> unſrer Sprache, die hier vielen Einfluß auf die Begriffe<lb/> gehabt hat, Acht geben: ſo findet ſich auch wuͤrklich, daß<lb/> wir das Wort <hi rendition="#fr">freygebohrn,</hi> weil es zweydeutig war, und<lb/> die alſo beſtimmte Art von freyer Geburt nicht ausdruͤck-<lb/> te, zuerſt gegen <hi rendition="#fr">Edelgebohrn,</hi> und wie auch dieſes im<lb/> ſtarken Umlauf zu leicht wurde, gegen <hi rendition="#fr">Wohlgebohrn,<lb/> Hochwohlgebohrn, Keichs-frey Hochwohlgebohrn und</hi><lb/> zuletzt gegen <hi rendition="#fr">Hochgebohrn</hi> vertauſchet haben, alles in der<lb/> Abſicht um den juͤngern Kindern blos die Rechte ihrer<lb/><hi rendition="#fr">Geburt</hi> zu erhalten, nicht aber um ihnen den Adel zu ge-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ben,</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0260]
Warum bildet ſich der deutſche Adel
wuͤrden erklaͤren, mithin ſolche nur auf den aͤlteſten fallen
laſſen, und den nachgebohrnen Kindern etwas mehrers
als den Vorzug von vornehmen Eltern gebohren zu ſeyn
und die damit natuͤrlich verknuͤpfte Achtung einraͤumen?
Aber, koͤnnte man erſt fragen, haben wir denn wuͤrk-
lich einen andern Weg als die Englaͤnder genommen?
ſind bey uns die juͤngern Kinder des Adels etwas mehr
als freygebohrne Leute? Jſt der Beweis, welcher in Dom-
capiteln, Ritterſchaften und andern geſchloſſenen Orden,
von einem der darin aufgenommen werden will, erfor-
dert wird, etwas mehr als der Beweis einer freyen Ge-
burt? Und ſteckt nicht der ganze Knoten darin, daß das
Wort freygebohren bey uns einen ausgedehntern Begriff *)
hat, als bey den Englaͤndern, und daß wir, blos nur um
die daraus entſtehende Zweydeutigkeit zu vermeiden, und
um eine beſtimmte Art von freyer Geburt auszudruͤcken,
die juͤngern Soͤhne adelich nennen?
So ſcheinet es, und wenn wir genau auf den Gang
unſrer Sprache, die hier vielen Einfluß auf die Begriffe
gehabt hat, Acht geben: ſo findet ſich auch wuͤrklich, daß
wir das Wort freygebohrn, weil es zweydeutig war, und
die alſo beſtimmte Art von freyer Geburt nicht ausdruͤck-
te, zuerſt gegen Edelgebohrn, und wie auch dieſes im
ſtarken Umlauf zu leicht wurde, gegen Wohlgebohrn,
Hochwohlgebohrn, Keichs-frey Hochwohlgebohrn und
zuletzt gegen Hochgebohrn vertauſchet haben, alles in der
Abſicht um den juͤngern Kindern blos die Rechte ihrer
Geburt zu erhalten, nicht aber um ihnen den Adel zu ge-
ben,
*) Das Wort frey iſt ein relativer Begriff, und es giebt in ſtatu
civili ſo viele Arten von Churfreyen, Nothfreyen und Frey-
gebohrnen, daß es wegen ſeiner wenigen Beſtimmung ganz
unbrauchbar iſt.
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