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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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2) Die Versuche, den Staat auf die Gewalt zu begründen, sind
längst als in sich widersprechend und als sittlich verwerflich anerkannt; so
z. B. Languet's Vindiciae contra tyrannos; Graswinkel's be-
rüchtigtes Buch: De juribus majestatis (1642). Allein immer wieder
taucht, aus leicht begreiflichen Ursachen, der Versuch auf, die thatsächliche
Gewalt auch als die an sich und zu Allem berechtigte darzustellen -- Nicht
ganz leicht ist es, den bestimmten Sinn der (hauptsächlich von Zöpfl,
Staatsrecht, Bd. I, S. 73 ff., vertretenen) Theorie zu finden, nach welchen
die Vernünftigkeit des Staates der metaphysische Grund seiner Gültigkeit,
die Macht dagegen sein geschichtlicher Rechtsgrund sein soll. Es scheint
nämlich doch außer Zweifel, daß ein geschichtlicher Rechtsgrund nur das
Dasein eines geschichtlichen d. h. positiven Rechtszustandes erklären kann,
nimmermehr aber die Frage zu beantworten vermag, wie man sich die
Gültigkeit eines Verhältnisses überhaupt, also aus allgemeinen Gründen
zu erklären habe. Nun ist aber nur Letzteres die Frage in vorliegendem
Falle. Und was überhaupt die große Bedeutung betrifft, welche der Macht
als solcher beigelegt werden will, so ist solche zwar von Bedeutung für
die Durchführung eines Grundsatzes, nicht aber im mindesten für dessen
Wesen und Werth. Sie beweist Stärke, nicht aber Recht; sie ist ein Mittel,
nicht aber ein Zweck.
3) Die Entwickelung der Vertragstheorie nimmt eine sehr große Stelle
in der Geschichte der Staatswissenschaften, und namentlich des natürlichen
Staatsrechtes, ein. Die Grundlage wurde gelegt von H. Grotius; allein
die Lehre hat in der Literatur aller neueren Culturvölker Entwicklung und
Fortsetzung gefunden. So unter den Engländern, namentlich durch Hobbes,
(Elementa philosophica de cive. Par.,
1642; und Leviathan. Lon-
don, 1651;) Locke, (Two treatises on government. Lond., 1680).
Algernon Sidney, (Discourses concerning government. Lond., 1698.)

In Holland U. Huber, (De jure civitatis. Ed. 4. Francof., 1705);
Spinoza, (Tractatus theologico-politicus. 1670).
In Frankreich vor
Allem und mit unberechenbaren Wirkungen für die ganze Welt: J. J.
Rousseau, (Du contrat social,
zuerst 1752); und nach ihm die ganze
revolutionäre und die spätere constitutionelle Schule des Landes. In Deutsch-
land schließt sich schon Pufendorf an Grotius an; allein die eigentliche
Feststellung und vieljährige allgemeine Verbreitung fand hier hauptsächlich
statt durch Kant, (Mataphysische Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Aufl.,
1798). Während mehr als eines Menschenalters behaupteten nur seine
Schüler das wissenschaftliche Feld, unter diesen denn aber namentlich
Feuerbach, Gros, Krug, Rotteck. Von den Italienern gehören hier-
her Lampredi, (Juris publici universalis theoremata. I. II. Li-
burn., 1777); Baroli, (Diritto naturale. I--VI. Crem., 1837); To-
2) Die Verſuche, den Staat auf die Gewalt zu begründen, ſind
längſt als in ſich widerſprechend und als ſittlich verwerflich anerkannt; ſo
z. B. Languet’s Vindiciae contra tyrannos; Graswinkel’s be-
rüchtigtes Buch: De juribus majestatis (1642). Allein immer wieder
taucht, aus leicht begreiflichen Urſachen, der Verſuch auf, die thatſächliche
Gewalt auch als die an ſich und zu Allem berechtigte darzuſtellen — Nicht
ganz leicht iſt es, den beſtimmten Sinn der (hauptſächlich von Zöpfl,
Staatsrecht, Bd. I, S. 73 ff., vertretenen) Theorie zu finden, nach welchen
die Vernünftigkeit des Staates der metaphyſiſche Grund ſeiner Gültigkeit,
die Macht dagegen ſein geſchichtlicher Rechtsgrund ſein ſoll. Es ſcheint
nämlich doch außer Zweifel, daß ein geſchichtlicher Rechtsgrund nur das
Daſein eines geſchichtlichen d. h. poſitiven Rechtszuſtandes erklären kann,
nimmermehr aber die Frage zu beantworten vermag, wie man ſich die
Gültigkeit eines Verhältniſſes überhaupt, alſo aus allgemeinen Gründen
zu erklären habe. Nun iſt aber nur Letzteres die Frage in vorliegendem
Falle. Und was überhaupt die große Bedeutung betrifft, welche der Macht
als ſolcher beigelegt werden will, ſo iſt ſolche zwar von Bedeutung für
die Durchführung eines Grundſatzes, nicht aber im mindeſten für deſſen
Weſen und Werth. Sie beweist Stärke, nicht aber Recht; ſie iſt ein Mittel,
nicht aber ein Zweck.
3) Die Entwickelung der Vertragstheorie nimmt eine ſehr große Stelle
in der Geſchichte der Staatswiſſenſchaften, und namentlich des natürlichen
Staatsrechtes, ein. Die Grundlage wurde gelegt von H. Grotius; allein
die Lehre hat in der Literatur aller neueren Culturvölker Entwicklung und
Fortſetzung gefunden. So unter den Engländern, namentlich durch Hobbes,
(Elementa philosophica de cive. Par.,
1642; und Leviathan. Lon-
don, 1651;) Locke, (Two treatises on government. Lond., 1680).
Algernon Sidney, (Discourses concerning government. Lond., 1698.)

In Holland U. Huber, (De jure civitatis. Ed. 4. Francof., 1705);
Spinoza, (Tractatus theologico-politicus. 1670).
In Frankreich vor
Allem und mit unberechenbaren Wirkungen für die ganze Welt: J. J.
Rousseau, (Du contrat social,
zuerſt 1752); und nach ihm die ganze
revolutionäre und die ſpätere conſtitutionelle Schule des Landes. In Deutſch-
land ſchließt ſich ſchon Pufendorf an Grotius an; allein die eigentliche
Feſtſtellung und vieljährige allgemeine Verbreitung fand hier hauptſächlich
ſtatt durch Kant, (Mataphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Aufl.,
1798). Während mehr als eines Menſchenalters behaupteten nur ſeine
Schüler das wiſſenſchaftliche Feld, unter dieſen denn aber namentlich
Feuerbach, Gros, Krug, Rotteck. Von den Italienern gehören hier-
her Lampredi, (Juris publici universalis theoremata. I. II. Li-
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[93/0107] ²⁾ Die Verſuche, den Staat auf die Gewalt zu begründen, ſind längſt als in ſich widerſprechend und als ſittlich verwerflich anerkannt; ſo z. B. Languet’s Vindiciae contra tyrannos; Graswinkel’s be- rüchtigtes Buch: De juribus majestatis (1642). Allein immer wieder taucht, aus leicht begreiflichen Urſachen, der Verſuch auf, die thatſächliche Gewalt auch als die an ſich und zu Allem berechtigte darzuſtellen — Nicht ganz leicht iſt es, den beſtimmten Sinn der (hauptſächlich von Zöpfl, Staatsrecht, Bd. I, S. 73 ff., vertretenen) Theorie zu finden, nach welchen die Vernünftigkeit des Staates der metaphyſiſche Grund ſeiner Gültigkeit, die Macht dagegen ſein geſchichtlicher Rechtsgrund ſein ſoll. Es ſcheint nämlich doch außer Zweifel, daß ein geſchichtlicher Rechtsgrund nur das Daſein eines geſchichtlichen d. h. poſitiven Rechtszuſtandes erklären kann, nimmermehr aber die Frage zu beantworten vermag, wie man ſich die Gültigkeit eines Verhältniſſes überhaupt, alſo aus allgemeinen Gründen zu erklären habe. Nun iſt aber nur Letzteres die Frage in vorliegendem Falle. Und was überhaupt die große Bedeutung betrifft, welche der Macht als ſolcher beigelegt werden will, ſo iſt ſolche zwar von Bedeutung für die Durchführung eines Grundſatzes, nicht aber im mindeſten für deſſen Weſen und Werth. Sie beweist Stärke, nicht aber Recht; ſie iſt ein Mittel, nicht aber ein Zweck. ³⁾ Die Entwickelung der Vertragstheorie nimmt eine ſehr große Stelle in der Geſchichte der Staatswiſſenſchaften, und namentlich des natürlichen Staatsrechtes, ein. Die Grundlage wurde gelegt von H. Grotius; allein die Lehre hat in der Literatur aller neueren Culturvölker Entwicklung und Fortſetzung gefunden. So unter den Engländern, namentlich durch Hobbes, (Elementa philosophica de cive. Par., 1642; und Leviathan. Lon- don, 1651;) Locke, (Two treatises on government. Lond., 1680). Algernon Sidney, (Discourses concerning government. Lond., 1698.) In Holland U. Huber, (De jure civitatis. Ed. 4. Francof., 1705); Spinoza, (Tractatus theologico-politicus. 1670). In Frankreich vor Allem und mit unberechenbaren Wirkungen für die ganze Welt: J. J. Rousseau, (Du contrat social, zuerſt 1752); und nach ihm die ganze revolutionäre und die ſpätere conſtitutionelle Schule des Landes. In Deutſch- land ſchließt ſich ſchon Pufendorf an Grotius an; allein die eigentliche Feſtſtellung und vieljährige allgemeine Verbreitung fand hier hauptſächlich ſtatt durch Kant, (Mataphyſiſche Anfangsgründe der Rechtslehre. 2. Aufl., 1798). Während mehr als eines Menſchenalters behaupteten nur ſeine Schüler das wiſſenſchaftliche Feld, unter dieſen denn aber namentlich Feuerbach, Gros, Krug, Rotteck. Von den Italienern gehören hier- her Lampredi, (Juris publici universalis theoremata. I. II. Li- burn., 1777); Baroli, (Diritto naturale. I—VI. Crem., 1837); To-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/107>, abgerufen am 21.11.2024.