Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Antheil an der Regierung haben, oder endlich die Gesammtheit
der Bürger eine Anzahl Männer aus ihrer Mitte abordnet
zur Wahrung der allgemeinen Interessen und Rechte gegenüber
von etwaiger Mißregierung des Staatsoberhauptes. Die Demo-
kratie des Rechtsstaates aber ist entweder eine reine, wenn die
Bürger unmittelbar zu einer Versammlung zusammentreten,
oder eine repräsentative, wenn die Regierung des Volkes
durch gewählte Vertreter aus den verschiedenen Bezirken des
Landes besorgt wird, welche dann im Auftrage und Namen der
Gesammtheit zusammentreten und die allgemeinen Geschäfte
besorgen.

Sechste Hauptgattung. Despotieen, d. h. Staaten, in
welchen lediglich der Wille des Einen Herrschers Gesetz
und die von ihm vorgeschriebene Richtung Zweck der Gesammtheit
ist. Hier ist also von selbstständigen Ansprüchen der Einzelnen
nicht die Rede; überhaupt hat das ganze Zusammenleben keine
höhere Aufgabe, als die Willkühr des Oberhauptes durchzu-
führen und die Mittel dazu zu liefern. Nur soweit es sein
eigener Vortheil oder seine persönliche Laune und Gesinnung
ist, findet Schutz und Förderung der Unterthanen Statt. Das
Volk ist nur der Person des Einen wegen vorhanden. Es
liegt in der Natur der Sache, daß keine verschiedene Arten
dieser Staatsgattung bestehen; militärische Gewaltherrschaft ist
hier die einzige mögliche Form 5).

Nicht zu verwechseln mit dieser Verschiedenheit der Haupt-
aufgaben und der Grundformen der Staaten ist die, zuerst von
Montesquieu versuchte, Aufstellung verschiedener Geistesrichtun-
gen, welche die einzelnen Staatsarten durchdringen und beleben.
Als solche Principien hat er selbst für die Fürstenherrschaft die
Ehre, für die Freistaaten die Tugend (Vaterlandsliebe), für
die Despotieen die Furcht angegeben; nach ihm aber ist der
Gedanke vielfach gewendet und zum Theil ins Abentheuerliche

Antheil an der Regierung haben, oder endlich die Geſammtheit
der Bürger eine Anzahl Männer aus ihrer Mitte abordnet
zur Wahrung der allgemeinen Intereſſen und Rechte gegenüber
von etwaiger Mißregierung des Staatsoberhauptes. Die Demo-
kratie des Rechtsſtaates aber iſt entweder eine reine, wenn die
Bürger unmittelbar zu einer Verſammlung zuſammentreten,
oder eine repräſentative, wenn die Regierung des Volkes
durch gewählte Vertreter aus den verſchiedenen Bezirken des
Landes beſorgt wird, welche dann im Auftrage und Namen der
Geſammtheit zuſammentreten und die allgemeinen Geſchäfte
beſorgen.

Sechste Hauptgattung. Despotieen, d. h. Staaten, in
welchen lediglich der Wille des Einen Herrſchers Geſetz
und die von ihm vorgeſchriebene Richtung Zweck der Geſammtheit
iſt. Hier iſt alſo von ſelbſtſtändigen Anſprüchen der Einzelnen
nicht die Rede; überhaupt hat das ganze Zuſammenleben keine
höhere Aufgabe, als die Willkühr des Oberhauptes durchzu-
führen und die Mittel dazu zu liefern. Nur ſoweit es ſein
eigener Vortheil oder ſeine perſönliche Laune und Geſinnung
iſt, findet Schutz und Förderung der Unterthanen Statt. Das
Volk iſt nur der Perſon des Einen wegen vorhanden. Es
liegt in der Natur der Sache, daß keine verſchiedene Arten
dieſer Staatsgattung beſtehen; militäriſche Gewaltherrſchaft iſt
hier die einzige mögliche Form 5).

Nicht zu verwechſeln mit dieſer Verſchiedenheit der Haupt-
aufgaben und der Grundformen der Staaten iſt die, zuerſt von
Montesquieu verſuchte, Aufſtellung verſchiedener Geiſtesrichtun-
gen, welche die einzelnen Staatsarten durchdringen und beleben.
Als ſolche Principien hat er ſelbſt für die Fürſtenherrſchaft die
Ehre, für die Freiſtaaten die Tugend (Vaterlandsliebe), für
die Despotieen die Furcht angegeben; nach ihm aber iſt der
Gedanke vielfach gewendet und zum Theil ins Abentheuerliche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0116" n="102"/>
Antheil an der Regierung haben, oder endlich die Ge&#x017F;ammtheit<lb/>
der Bürger eine Anzahl Männer aus ihrer Mitte abordnet<lb/>
zur Wahrung der allgemeinen Intere&#x017F;&#x017F;en und Rechte gegenüber<lb/>
von etwaiger Mißregierung des Staatsoberhauptes. Die Demo-<lb/>
kratie des Rechts&#x017F;taates aber i&#x017F;t entweder eine <hi rendition="#g">reine</hi>, wenn die<lb/>
Bürger unmittelbar zu einer Ver&#x017F;ammlung zu&#x017F;ammentreten,<lb/>
oder eine <hi rendition="#g">reprä&#x017F;entative</hi>, wenn die Regierung des Volkes<lb/>
durch gewählte Vertreter aus den ver&#x017F;chiedenen Bezirken des<lb/>
Landes be&#x017F;orgt wird, welche dann im Auftrage und Namen der<lb/>
Ge&#x017F;ammtheit zu&#x017F;ammentreten und die allgemeinen Ge&#x017F;chäfte<lb/>
be&#x017F;orgen.</p><lb/>
            <p>Sechste Hauptgattung. <hi rendition="#g">Despotieen</hi>, d. h. Staaten, in<lb/>
welchen lediglich der <hi rendition="#g">Wille des Einen Herr&#x017F;chers</hi> Ge&#x017F;etz<lb/>
und die von ihm vorge&#x017F;chriebene Richtung Zweck der Ge&#x017F;ammtheit<lb/>
i&#x017F;t. Hier i&#x017F;t al&#x017F;o von &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändigen An&#x017F;prüchen der Einzelnen<lb/>
nicht die Rede; überhaupt hat das ganze Zu&#x017F;ammenleben keine<lb/>
höhere Aufgabe, als die Willkühr des Oberhauptes durchzu-<lb/>
führen und die Mittel dazu zu liefern. Nur &#x017F;oweit es &#x017F;ein<lb/>
eigener Vortheil oder &#x017F;eine per&#x017F;önliche Laune und Ge&#x017F;innung<lb/>
i&#x017F;t, findet Schutz und Förderung der Unterthanen Statt. Das<lb/>
Volk i&#x017F;t nur der Per&#x017F;on des Einen wegen vorhanden. Es<lb/>
liegt in der Natur der Sache, daß keine ver&#x017F;chiedene Arten<lb/>
die&#x017F;er Staatsgattung be&#x017F;tehen; militäri&#x017F;che Gewaltherr&#x017F;chaft i&#x017F;t<lb/>
hier die einzige mögliche Form <hi rendition="#sup">5</hi>).</p><lb/>
            <p>Nicht zu verwech&#x017F;eln mit die&#x017F;er Ver&#x017F;chiedenheit der Haupt-<lb/>
aufgaben und der Grundformen der Staaten i&#x017F;t die, zuer&#x017F;t von<lb/>
Montesquieu ver&#x017F;uchte, Auf&#x017F;tellung ver&#x017F;chiedener Gei&#x017F;tesrichtun-<lb/>
gen, welche die einzelnen Staatsarten durchdringen und beleben.<lb/>
Als &#x017F;olche Principien hat er &#x017F;elb&#x017F;t für die Für&#x017F;tenherr&#x017F;chaft die<lb/>
Ehre, für die Frei&#x017F;taaten die Tugend (Vaterlandsliebe), für<lb/>
die Despotieen die Furcht angegeben; nach ihm aber i&#x017F;t der<lb/>
Gedanke vielfach gewendet und zum Theil ins Abentheuerliche<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0116] Antheil an der Regierung haben, oder endlich die Geſammtheit der Bürger eine Anzahl Männer aus ihrer Mitte abordnet zur Wahrung der allgemeinen Intereſſen und Rechte gegenüber von etwaiger Mißregierung des Staatsoberhauptes. Die Demo- kratie des Rechtsſtaates aber iſt entweder eine reine, wenn die Bürger unmittelbar zu einer Verſammlung zuſammentreten, oder eine repräſentative, wenn die Regierung des Volkes durch gewählte Vertreter aus den verſchiedenen Bezirken des Landes beſorgt wird, welche dann im Auftrage und Namen der Geſammtheit zuſammentreten und die allgemeinen Geſchäfte beſorgen. Sechste Hauptgattung. Despotieen, d. h. Staaten, in welchen lediglich der Wille des Einen Herrſchers Geſetz und die von ihm vorgeſchriebene Richtung Zweck der Geſammtheit iſt. Hier iſt alſo von ſelbſtſtändigen Anſprüchen der Einzelnen nicht die Rede; überhaupt hat das ganze Zuſammenleben keine höhere Aufgabe, als die Willkühr des Oberhauptes durchzu- führen und die Mittel dazu zu liefern. Nur ſoweit es ſein eigener Vortheil oder ſeine perſönliche Laune und Geſinnung iſt, findet Schutz und Förderung der Unterthanen Statt. Das Volk iſt nur der Perſon des Einen wegen vorhanden. Es liegt in der Natur der Sache, daß keine verſchiedene Arten dieſer Staatsgattung beſtehen; militäriſche Gewaltherrſchaft iſt hier die einzige mögliche Form 5). Nicht zu verwechſeln mit dieſer Verſchiedenheit der Haupt- aufgaben und der Grundformen der Staaten iſt die, zuerſt von Montesquieu verſuchte, Aufſtellung verſchiedener Geiſtesrichtun- gen, welche die einzelnen Staatsarten durchdringen und beleben. Als ſolche Principien hat er ſelbſt für die Fürſtenherrſchaft die Ehre, für die Freiſtaaten die Tugend (Vaterlandsliebe), für die Despotieen die Furcht angegeben; nach ihm aber iſt der Gedanke vielfach gewendet und zum Theil ins Abentheuerliche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/116
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/116>, abgerufen am 21.11.2024.