Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

bevölkerung verschiedene Sprachen gesprochen werden, ist eine
Bekanntmachung der Gesetze in jeder derselben nothwendig.)

Vielfach sind die Forderungen, welche an die Tüchtig-
keit
einer Gesetzgebung gemacht werden müssen, und es betreffen
dieselben sowohl den Inhalt als die Form 9).

Dem Inhalte nach sind einer Gesetzgebung nachstehende
Eigenschaften nothwendig:

Folgerichtige Durchführung des concreten
Staatsgedankens
in allen seinen Anwendungen auf das
Zusammenleben. Wo geradezu ein Widerspruch mit den obersten
Bestimmungen der Verfassung stattfindet, tritt unmittelbare
Ungültigkeit ein (s. oben); allein es sind auch weniger plumpe
Abweichungen möglich, welche dann den Staat in seinem Wesen
verkrüppeln und das Bewußtsein des Bürgers von Recht und
Pflicht trüben, ohne daß sie unter den Begriff von formalen
Selbstwidersprüchen gebracht werden könnten. Auch solche sind
zu vermeiden. Nur wenn das Ganze gleichsam aus Einem
Gusse ist, entsteht auch eine Gleichförmigkeit der Wirkungen.
Besonders genau ist diese Forderung ins Auge zu fassen nach
der Einführung wesentlicher Neuerungen in der Verfassung eines
Staates, damit weder einerseits Ueberreste der früheren jetzt
fremdartig gewordenen Zustände in entfernteren Theilen des
Staatsorganismus stehen bleiben, noch andererseits Einrichtungen
unterlassen werden, welche zu einer vollständigen Geltendmachung
des Neuen nöthig wären. Die lange Dauer einer Verfassung
und überhaupt einer Gesetzgebung ist namentlich auch deßhalb
von so großem Werthe, weil es dann weder an Zeit noch an
Gelegenheit fehlte, die sämmtlichen Schlußfolgerungen wirklich
zu ziehen. Und sehr bedenklich ist dagegen die Herübernahme der
Gesetzgebung eines fremden Staates, wie vortrefflich diese an
sich und in ihrem Ursprungslande sein mag, weil eine voll-

bevölkerung verſchiedene Sprachen geſprochen werden, iſt eine
Bekanntmachung der Geſetze in jeder derſelben nothwendig.)

Vielfach ſind die Forderungen, welche an die Tüchtig-
keit
einer Geſetzgebung gemacht werden müſſen, und es betreffen
dieſelben ſowohl den Inhalt als die Form 9).

Dem Inhalte nach ſind einer Geſetzgebung nachſtehende
Eigenſchaften nothwendig:

Folgerichtige Durchführung des concreten
Staatsgedankens
in allen ſeinen Anwendungen auf das
Zuſammenleben. Wo geradezu ein Widerſpruch mit den oberſten
Beſtimmungen der Verfaſſung ſtattfindet, tritt unmittelbare
Ungültigkeit ein (ſ. oben); allein es ſind auch weniger plumpe
Abweichungen möglich, welche dann den Staat in ſeinem Weſen
verkrüppeln und das Bewußtſein des Bürgers von Recht und
Pflicht trüben, ohne daß ſie unter den Begriff von formalen
Selbſtwiderſprüchen gebracht werden könnten. Auch ſolche ſind
zu vermeiden. Nur wenn das Ganze gleichſam aus Einem
Guſſe iſt, entſteht auch eine Gleichförmigkeit der Wirkungen.
Beſonders genau iſt dieſe Forderung ins Auge zu faſſen nach
der Einführung weſentlicher Neuerungen in der Verfaſſung eines
Staates, damit weder einerſeits Ueberreſte der früheren jetzt
fremdartig gewordenen Zuſtände in entfernteren Theilen des
Staatsorganismus ſtehen bleiben, noch andererſeits Einrichtungen
unterlaſſen werden, welche zu einer vollſtändigen Geltendmachung
des Neuen nöthig wären. Die lange Dauer einer Verfaſſung
und überhaupt einer Geſetzgebung iſt namentlich auch deßhalb
von ſo großem Werthe, weil es dann weder an Zeit noch an
Gelegenheit fehlte, die ſämmtlichen Schlußfolgerungen wirklich
zu ziehen. Und ſehr bedenklich iſt dagegen die Herübernahme der
Geſetzgebung eines fremden Staates, wie vortrefflich dieſe an
ſich und in ihrem Urſprungslande ſein mag, weil eine voll-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0157" n="143"/>
bevölkerung ver&#x017F;chiedene Sprachen ge&#x017F;prochen werden, i&#x017F;t eine<lb/>
Bekanntmachung der Ge&#x017F;etze in jeder der&#x017F;elben nothwendig.)</p><lb/>
            <p>Vielfach &#x017F;ind die Forderungen, welche an die <hi rendition="#g">Tüchtig-<lb/>
keit</hi> einer Ge&#x017F;etzgebung gemacht werden mü&#x017F;&#x017F;en, und es betreffen<lb/>
die&#x017F;elben &#x017F;owohl den Inhalt als die Form <hi rendition="#sup">9</hi>).</p><lb/>
            <p>Dem <hi rendition="#g">Inhalte</hi> nach &#x017F;ind einer Ge&#x017F;etzgebung nach&#x017F;tehende<lb/>
Eigen&#x017F;chaften nothwendig:</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Folgerichtige Durchführung des concreten<lb/>
Staatsgedankens</hi> in allen &#x017F;einen Anwendungen auf das<lb/>
Zu&#x017F;ammenleben. Wo geradezu ein Wider&#x017F;pruch mit den ober&#x017F;ten<lb/>
Be&#x017F;timmungen der Verfa&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;tattfindet, tritt unmittelbare<lb/>
Ungültigkeit ein (&#x017F;. oben); allein es &#x017F;ind auch weniger plumpe<lb/>
Abweichungen möglich, welche dann den Staat in &#x017F;einem We&#x017F;en<lb/>
verkrüppeln und das Bewußt&#x017F;ein des Bürgers von Recht und<lb/>
Pflicht trüben, ohne daß &#x017F;ie unter den Begriff von formalen<lb/>
Selb&#x017F;twider&#x017F;prüchen gebracht werden könnten. Auch &#x017F;olche &#x017F;ind<lb/>
zu vermeiden. Nur wenn das Ganze gleich&#x017F;am aus Einem<lb/>
Gu&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t, ent&#x017F;teht auch eine Gleichförmigkeit der Wirkungen.<lb/>
Be&#x017F;onders genau i&#x017F;t die&#x017F;e Forderung ins Auge zu fa&#x017F;&#x017F;en nach<lb/>
der Einführung we&#x017F;entlicher Neuerungen in der Verfa&#x017F;&#x017F;ung eines<lb/>
Staates, damit weder einer&#x017F;eits Ueberre&#x017F;te der früheren jetzt<lb/>
fremdartig gewordenen Zu&#x017F;tände in entfernteren Theilen des<lb/>
Staatsorganismus &#x017F;tehen bleiben, noch anderer&#x017F;eits Einrichtungen<lb/>
unterla&#x017F;&#x017F;en werden, welche zu einer voll&#x017F;tändigen Geltendmachung<lb/>
des Neuen nöthig wären. Die lange Dauer einer Verfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
und überhaupt einer Ge&#x017F;etzgebung i&#x017F;t namentlich auch deßhalb<lb/>
von &#x017F;o großem Werthe, weil es dann weder an Zeit noch an<lb/>
Gelegenheit fehlte, die &#x017F;ämmtlichen Schlußfolgerungen wirklich<lb/>
zu ziehen. Und &#x017F;ehr bedenklich i&#x017F;t dagegen die Herübernahme der<lb/>
Ge&#x017F;etzgebung eines fremden Staates, wie vortrefflich die&#x017F;e an<lb/>
&#x017F;ich und in ihrem Ur&#x017F;prungslande &#x017F;ein mag, weil eine voll-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0157] bevölkerung verſchiedene Sprachen geſprochen werden, iſt eine Bekanntmachung der Geſetze in jeder derſelben nothwendig.) Vielfach ſind die Forderungen, welche an die Tüchtig- keit einer Geſetzgebung gemacht werden müſſen, und es betreffen dieſelben ſowohl den Inhalt als die Form 9). Dem Inhalte nach ſind einer Geſetzgebung nachſtehende Eigenſchaften nothwendig: Folgerichtige Durchführung des concreten Staatsgedankens in allen ſeinen Anwendungen auf das Zuſammenleben. Wo geradezu ein Widerſpruch mit den oberſten Beſtimmungen der Verfaſſung ſtattfindet, tritt unmittelbare Ungültigkeit ein (ſ. oben); allein es ſind auch weniger plumpe Abweichungen möglich, welche dann den Staat in ſeinem Weſen verkrüppeln und das Bewußtſein des Bürgers von Recht und Pflicht trüben, ohne daß ſie unter den Begriff von formalen Selbſtwiderſprüchen gebracht werden könnten. Auch ſolche ſind zu vermeiden. Nur wenn das Ganze gleichſam aus Einem Guſſe iſt, entſteht auch eine Gleichförmigkeit der Wirkungen. Beſonders genau iſt dieſe Forderung ins Auge zu faſſen nach der Einführung weſentlicher Neuerungen in der Verfaſſung eines Staates, damit weder einerſeits Ueberreſte der früheren jetzt fremdartig gewordenen Zuſtände in entfernteren Theilen des Staatsorganismus ſtehen bleiben, noch andererſeits Einrichtungen unterlaſſen werden, welche zu einer vollſtändigen Geltendmachung des Neuen nöthig wären. Die lange Dauer einer Verfaſſung und überhaupt einer Geſetzgebung iſt namentlich auch deßhalb von ſo großem Werthe, weil es dann weder an Zeit noch an Gelegenheit fehlte, die ſämmtlichen Schlußfolgerungen wirklich zu ziehen. Und ſehr bedenklich iſt dagegen die Herübernahme der Geſetzgebung eines fremden Staates, wie vortrefflich dieſe an ſich und in ihrem Urſprungslande ſein mag, weil eine voll-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/157
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/157>, abgerufen am 23.11.2024.