Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.anerkannten religiösen Normen stehen kann: so ist sowohl der Gesichtskreis als die Wirksamkeit des Gesetzgebers weit gesteckt, nur muß immer sein Befehl erzwingbar sein. 2) Gewöhnlich wird der Unterschied zwischen Verfassungsgesetzen, ein- fachen Gesetzen und Verordnungen nur bei den repräsentativen Formen des modernen Rechtsstaates gemacht. Dieß ist jedoch irrig. Allerdings tritt hier die Verschiedenheit der Befehle schon der Form nach besonders deutlich hervor, und bestehen eigene Grundsätze über das Recht zur Erlassung dieser drei Arten von Gesetzen; allein ein Unterschied unter den befehlenden Nor- men liegt in der Natur der Sache und kommt daher bei jeder Staats- gattung vor, nur mit andern Benennungen und Folgerungen für die Handhabung. So sind z. B. in einer Theokratie die heiligen Bücher die Verfassung; die späteren Befehle der Religionshäupter aber die einfachen Gesetze oder, in tieferer Abstufung, die Verordnungen. So unterschied man in den mittelalterlichen Patrimonialstaaten sehr wohl zwischen den Landes- privilegien, Landesgrundfesten, Freiheitsbriefen; den einfachen Landtags- abschieden, Manifesten und Gesetzen; endlich den Kanzleierlassen, Decreten u. s. w. -- S. über die verschiedenen Arten von befehlenden Normen mein Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 2. Aufl., Bd. I, S. 193 fg. -- Schmitthenner, Zwölf Bücher vom St., Bd. III, S. 362 fg. -- Stahl, Lehre vom Staate, 3. Aufl., S. 272 fg. -- Bluntschli, Allgem. Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. I, S. 476 fg. 3) Es ist schwer begreiflich, wie Zachariä, Vierzig Bücher, das Bestehen eines Gewohnheitsrechtes neben der (geschriebenen) Gesetzgebung des Staates durch das Fortbestehen eines Gesetzgebungsrechtes des Volkes neben dem des Staatsoberhaupres erklären will. Offenbar ist hier eine völlige Verwechselung von Begriffen. Recht, d. h. erzwingbare Verpflichtung zu bestimmten Handlungen, kann aus verschiedenen Quellen herrühren, und so unter Anderem aus Gewohnheit, nämlich aus dem allgemeinen Rechts- bewußtsein des Volkes. Etwas ganz Anderes aber ist das Recht zur Gesetzgebung, d. h. zum Ausspruche eines Befehles im Namen des Staates. Dieses Recht kann nur dem Staatsoberhaupte zustehen, soll nicht Anarchie entstehen. 4) Ueber Auslegung der Gesetze s. namentlich: Zachariä, K. S., Versuch einer allgemeinen Hermeneutik des Rechts. Lpz., 1805. -- Thibaut, A. F. J., Theorie der logischen Auslegung. Alt., 1806. -- Mailher, Traite de l'interpretation des lois. Par., 1822. -- Savigny, System des R. R. Bd. I, S. 206 fg. -- Günther, C. F., Betrachtungen über das Gesetz im Staate. Lpzg., 1842. 5) Ueber die Schranken des Gesetzgebungsrechtes s. Vollgraff, K., Die historisch-staatsrechtlichen Grenzen moderner Gesetzgebung. Marbg., anerkannten religiöſen Normen ſtehen kann: ſo iſt ſowohl der Geſichtskreis als die Wirkſamkeit des Geſetzgebers weit geſteckt, nur muß immer ſein Befehl erzwingbar ſein. 2) Gewöhnlich wird der Unterſchied zwiſchen Verfaſſungsgeſetzen, ein- fachen Geſetzen und Verordnungen nur bei den repräſentativen Formen des modernen Rechtsſtaates gemacht. Dieß iſt jedoch irrig. Allerdings tritt hier die Verſchiedenheit der Befehle ſchon der Form nach beſonders deutlich hervor, und beſtehen eigene Grundſätze über das Recht zur Erlaſſung dieſer drei Arten von Geſetzen; allein ein Unterſchied unter den befehlenden Nor- men liegt in der Natur der Sache und kommt daher bei jeder Staats- gattung vor, nur mit andern Benennungen und Folgerungen für die Handhabung. So ſind z. B. in einer Theokratie die heiligen Bücher die Verfaſſung; die ſpäteren Befehle der Religionshäupter aber die einfachen Geſetze oder, in tieferer Abſtufung, die Verordnungen. So unterſchied man in den mittelalterlichen Patrimonialſtaaten ſehr wohl zwiſchen den Landes- privilegien, Landesgrundfeſten, Freiheitsbriefen; den einfachen Landtags- abſchieden, Manifeſten und Geſetzen; endlich den Kanzleierlaſſen, Decreten u. ſ. w. — S. über die verſchiedenen Arten von befehlenden Normen mein Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 2. Aufl., Bd. I, S. 193 fg. — Schmitthenner, Zwölf Bücher vom St., Bd. III, S. 362 fg. — Stahl, Lehre vom Staate, 3. Aufl., S. 272 fg. — Bluntſchli, Allgem. Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. I, S. 476 fg. 3) Es iſt ſchwer begreiflich, wie Zachariä, Vierzig Bücher, das Beſtehen eines Gewohnheitsrechtes neben der (geſchriebenen) Geſetzgebung des Staates durch das Fortbeſtehen eines Geſetzgebungsrechtes des Volkes neben dem des Staatsoberhaupres erklären will. Offenbar iſt hier eine völlige Verwechſelung von Begriffen. Recht, d. h. erzwingbare Verpflichtung zu beſtimmten Handlungen, kann aus verſchiedenen Quellen herrühren, und ſo unter Anderem aus Gewohnheit, nämlich aus dem allgemeinen Rechts- bewußtſein des Volkes. Etwas ganz Anderes aber iſt das Recht zur Geſetzgebung, d. h. zum Ausſpruche eines Befehles im Namen des Staates. Dieſes Recht kann nur dem Staatsoberhaupte zuſtehen, ſoll nicht Anarchie entſtehen. 4) Ueber Auslegung der Geſetze ſ. namentlich: Zachariä, K. S., Verſuch einer allgemeinen Hermeneutik des Rechts. Lpz., 1805. — Thibaut, A. F. J., Theorie der logiſchen Auslegung. Alt., 1806. — Mailher, Traité de l’interpretation des lois. Par., 1822. — Savigny, Syſtem des R. R. Bd. I, S. 206 fg. — Günther, C. F., Betrachtungen über das Geſetz im Staate. Lpzg., 1842. 5) Ueber die Schranken des Geſetzgebungsrechtes ſ. Vollgraff, K., Die hiſtoriſch-ſtaatsrechtlichen Grenzen moderner Geſetzgebung. 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¹⁾ anerkannten religiöſen Normen ſtehen kann: ſo iſt ſowohl der Geſichtskreis
als die Wirkſamkeit des Geſetzgebers weit geſteckt, nur muß immer ſein
Befehl erzwingbar ſein.
²⁾ Gewöhnlich wird der Unterſchied zwiſchen Verfaſſungsgeſetzen, ein-
fachen Geſetzen und Verordnungen nur bei den repräſentativen Formen des
modernen Rechtsſtaates gemacht. Dieß iſt jedoch irrig. Allerdings tritt
hier die Verſchiedenheit der Befehle ſchon der Form nach beſonders deutlich
hervor, und beſtehen eigene Grundſätze über das Recht zur Erlaſſung dieſer
drei Arten von Geſetzen; allein ein Unterſchied unter den befehlenden Nor-
men liegt in der Natur der Sache und kommt daher bei jeder Staats-
gattung vor, nur mit andern Benennungen und Folgerungen für die
Handhabung. So ſind z. B. in einer Theokratie die heiligen Bücher die
Verfaſſung; die ſpäteren Befehle der Religionshäupter aber die einfachen
Geſetze oder, in tieferer Abſtufung, die Verordnungen. So unterſchied man
in den mittelalterlichen Patrimonialſtaaten ſehr wohl zwiſchen den Landes-
privilegien, Landesgrundfeſten, Freiheitsbriefen; den einfachen Landtags-
abſchieden, Manifeſten und Geſetzen; endlich den Kanzleierlaſſen, Decreten
u. ſ. w. — S. über die verſchiedenen Arten von befehlenden Normen
mein Staatsrecht des Königreichs Württemberg, 2. Aufl., Bd. I, S. 193 fg.
— Schmitthenner, Zwölf Bücher vom St., Bd. III, S. 362 fg. —
Stahl, Lehre vom Staate, 3. Aufl., S. 272 fg. — Bluntſchli, Allgem.
Staatsrecht, 2. Aufl., Bd. I, S. 476 fg.
³⁾ Es iſt ſchwer begreiflich, wie Zachariä, Vierzig Bücher, das
Beſtehen eines Gewohnheitsrechtes neben der (geſchriebenen) Geſetzgebung des
Staates durch das Fortbeſtehen eines Geſetzgebungsrechtes des Volkes neben
dem des Staatsoberhaupres erklären will. Offenbar iſt hier eine völlige
Verwechſelung von Begriffen. Recht, d. h. erzwingbare Verpflichtung zu
beſtimmten Handlungen, kann aus verſchiedenen Quellen herrühren, und
ſo unter Anderem aus Gewohnheit, nämlich aus dem allgemeinen Rechts-
bewußtſein des Volkes. Etwas ganz Anderes aber iſt das Recht zur
Geſetzgebung, d. h. zum Ausſpruche eines Befehles im Namen des Staates.
Dieſes Recht kann nur dem Staatsoberhaupte zuſtehen, ſoll nicht Anarchie
entſtehen.
⁴⁾ Ueber Auslegung der Geſetze ſ. namentlich: Zachariä, K. S.,
Verſuch einer allgemeinen Hermeneutik des Rechts. Lpz., 1805. — Thibaut,
A. F. J., Theorie der logiſchen Auslegung. Alt., 1806. — Mailher,
Traité de l’interpretation des lois. Par., 1822. — Savigny, Syſtem
des R. R. Bd. I, S. 206 fg. — Günther, C. F., Betrachtungen über
das Geſetz im Staate. Lpzg., 1842.
⁵⁾ Ueber die Schranken des Geſetzgebungsrechtes ſ. Vollgraff, K.,
Die hiſtoriſch-ſtaatsrechtlichen Grenzen moderner Geſetzgebung. Marbg.,
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