Männer nützen sich im leidenschaftlichen Widerstreite der Ge- sinnungen vor der Zeit und oft unverdient ab; die Maßregeln der siegenden Partei sind nicht selten gehässig und ungerecht, oder selbstsüchtig; im schlimmsten Falle kann es zu großer Zer- rüttung und selbst zum blutigen Bürgerkriege kommen. Allein der Nutzen eines lebendigen und mehrseitigen Antheiles am öffentlichen Wesen ist doch überwiegend. In solchem Zustande ist Unthätigkeit und stumpfe Gleichgültigkeit bei den Inhabern der Gewalt unmöglich; immer wieder, und zwar auf den ver- schiedenen Seiten, werden bedeutende Männer zu Einfluß empor- gehoben; strenge Ueberwachung durch Gegner veranlaßt Ver- meidung grober Fehler; ein Abschluß der wichtigsten Staats- fragen und eine billige Ausgleichung in Betreff derselben ist nur nach einer lebendigen Durchkämpfung derselben möglich; bürgerliche Freiheit endlich wird nicht geschenkt noch mit einem Griffe erhascht, sondern nur im langen Kampfe errungen. Ein Parteileben also kennt Stürme, nicht aber Fäulniß und Still- stand.
5. Eine ungefähr gleiche Macht der Parteien und die Ermüdung eines unentschieden gebliebenen Kampfes bringt zu- weilen eine Uebereinkunft zu gemeinschaftlicher Leitung des Staates hervor, Coalitionsministerien, Vertheilung der öffent- lichen Stellen oder des Einflusses auf die öffentlichen Ange- legenheiten unter den Partheien, u. dgl. Dies kann jedoch auf die Dauer und von Nutzen nur da sein, wo entweder die Ge- gensätze nie bedeutend waren, oder wo sie sich durch aufrichtiges gegenseitiges Nachgeben ausgeglichen haben. Dann mögen auch mehrere Parteien bleibend zu einer neuen gemeinschaftlichen ver- schmelzen. In der Regel jedoch ist eine solche Verbindung nur ein halbe Maßregel und höchstens ein Waffenstillstand. Nach einer kürzeren oder längeren Zeit gegenseitigen Mißtrauens, großer Unthätigkeit in den wichtigsten Geschäften und oft eines
Männer nützen ſich im leidenſchaftlichen Widerſtreite der Ge- ſinnungen vor der Zeit und oft unverdient ab; die Maßregeln der ſiegenden Partei ſind nicht ſelten gehäſſig und ungerecht, oder ſelbſtſüchtig; im ſchlimmſten Falle kann es zu großer Zer- rüttung und ſelbſt zum blutigen Bürgerkriege kommen. Allein der Nutzen eines lebendigen und mehrſeitigen Antheiles am öffentlichen Weſen iſt doch überwiegend. In ſolchem Zuſtande iſt Unthätigkeit und ſtumpfe Gleichgültigkeit bei den Inhabern der Gewalt unmöglich; immer wieder, und zwar auf den ver- ſchiedenen Seiten, werden bedeutende Männer zu Einfluß empor- gehoben; ſtrenge Ueberwachung durch Gegner veranlaßt Ver- meidung grober Fehler; ein Abſchluß der wichtigſten Staats- fragen und eine billige Ausgleichung in Betreff derſelben iſt nur nach einer lebendigen Durchkämpfung derſelben möglich; bürgerliche Freiheit endlich wird nicht geſchenkt noch mit einem Griffe erhaſcht, ſondern nur im langen Kampfe errungen. Ein Parteileben alſo kennt Stürme, nicht aber Fäulniß und Still- ſtand.
5. Eine ungefähr gleiche Macht der Parteien und die Ermüdung eines unentſchieden gebliebenen Kampfes bringt zu- weilen eine Uebereinkunft zu gemeinſchaftlicher Leitung des Staates hervor, Coalitionsminiſterien, Vertheilung der öffent- lichen Stellen oder des Einfluſſes auf die öffentlichen Ange- legenheiten unter den Partheien, u. dgl. Dies kann jedoch auf die Dauer und von Nutzen nur da ſein, wo entweder die Ge- genſätze nie bedeutend waren, oder wo ſie ſich durch aufrichtiges gegenſeitiges Nachgeben ausgeglichen haben. Dann mögen auch mehrere Parteien bleibend zu einer neuen gemeinſchaftlichen ver- ſchmelzen. In der Regel jedoch iſt eine ſolche Verbindung nur ein halbe Maßregel und höchſtens ein Waffenſtillſtand. Nach einer kürzeren oder längeren Zeit gegenſeitigen Mißtrauens, großer Unthätigkeit in den wichtigſten Geſchäften und oft eines
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Männer nützen ſich im leidenſchaftlichen Widerſtreite der Ge-
ſinnungen vor der Zeit und oft unverdient ab; die Maßregeln
der ſiegenden Partei ſind nicht ſelten gehäſſig und ungerecht,
oder ſelbſtſüchtig; im ſchlimmſten Falle kann es zu großer Zer-
rüttung und ſelbſt zum blutigen Bürgerkriege kommen. Allein
der Nutzen eines lebendigen und mehrſeitigen Antheiles am
öffentlichen Weſen iſt doch überwiegend. In ſolchem Zuſtande
iſt Unthätigkeit und ſtumpfe Gleichgültigkeit bei den Inhabern
der Gewalt unmöglich; immer wieder, und zwar auf den ver-
ſchiedenen Seiten, werden bedeutende Männer zu Einfluß empor-
gehoben; ſtrenge Ueberwachung durch Gegner veranlaßt Ver-
meidung grober Fehler; ein Abſchluß der wichtigſten Staats-
fragen und eine billige Ausgleichung in Betreff derſelben iſt
nur nach einer lebendigen Durchkämpfung derſelben möglich;
bürgerliche Freiheit endlich wird nicht geſchenkt noch mit einem
Griffe erhaſcht, ſondern nur im langen Kampfe errungen. Ein
Parteileben alſo kennt Stürme, nicht aber Fäulniß und Still-
ſtand.
5. Eine ungefähr gleiche Macht der Parteien und die
Ermüdung eines unentſchieden gebliebenen Kampfes bringt zu-
weilen eine Uebereinkunft zu gemeinſchaftlicher Leitung des
Staates hervor, Coalitionsminiſterien, Vertheilung der öffent-
lichen Stellen oder des Einfluſſes auf die öffentlichen Ange-
legenheiten unter den Partheien, u. dgl. Dies kann jedoch auf
die Dauer und von Nutzen nur da ſein, wo entweder die Ge-
genſätze nie bedeutend waren, oder wo ſie ſich durch aufrichtiges
gegenſeitiges Nachgeben ausgeglichen haben. Dann mögen auch
mehrere Parteien bleibend zu einer neuen gemeinſchaftlichen ver-
ſchmelzen. In der Regel jedoch iſt eine ſolche Verbindung nur
ein halbe Maßregel und höchſtens ein Waffenſtillſtand. Nach
einer kürzeren oder längeren Zeit gegenſeitigen Mißtrauens,
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/169>, abgerufen am 23.11.2024.
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