übrige Welt ist. Durch das Nebeneinanderbestehen unzähliger Menschen in Raum und Zeit aber wird ein Nebeneinander- liegen ebenso vieler gleichartiger Lebenskreise hervorgerufen. Der Umfang und Inhalt dieser einzelnen Daseins- und Thätigkeits- sphären ist nach den besondern Verhältnissen der Persönlichkeiten allerdings sehr verschieden; allein gleichmäßig ist das Wesen aller, nämlich: erlaubte Selbstsucht und zurückbe- ziehen alles Aeußern auf die Person. Ebenso sind die Gesetze, welche der Einzelne in seinem Kreise zu befolgen hat, für Alle die gleichen.
Diese Gesetze haben nicht nur eine verschiedene Begründung, sondern auch einen verschiedenen Inhalt, je nachdem sie ein Verhältniß des Menschen zu regeln bestimmt sind. Sie sind religiöser Art, wenn sie aus der Glaubenslehre stammen und über das Verhältniß des Menschen zur Gottheit Vor- schriften geben; sittlich, wenn sie von der eigenen Vernunft des Menschen vorgeschrieben sind und es sich von rein ver- nünftiger Pflicht gegen die eigene Person und gegen andere Geschöpfe handelt; rechtlich, insoferne sie die Erwerbung der zur Erreichung der Lebenszwecke erforderlichen Nothwendigkeiten auf eine äußerlich erzwingbare Weise anordnen; Klugheits- regeln, welche über die Wahl zwischen mehr oder weniger Zweckmäßigem Vorschriften geben, und zwar namentlich auch in wirthschaftlichen Dingen. Richtig aufgefaßt widersprechen sich diese verschiedenen Gattungen von Gesetzen nicht, und können sich nicht widersprechen, weil die Natur des Menschen, aus welcher sie hervorgehen und auf welche sie sich beziehen, keinen Widerspruch in sich zuläßt. Bei unvollkommener Auf- fassung freilich mögen Zusammenstöße unter ihnen vorkommen. Sache der verschiedenen Wissenschaften ist es, Lehren zu geben, durch welche solche Collisionen verhütet und beseitiget werden 2).
übrige Welt iſt. Durch das Nebeneinanderbeſtehen unzähliger Menſchen in Raum und Zeit aber wird ein Nebeneinander- liegen ebenſo vieler gleichartiger Lebenskreiſe hervorgerufen. Der Umfang und Inhalt dieſer einzelnen Daſeins- und Thätigkeits- ſphären iſt nach den beſondern Verhältniſſen der Perſönlichkeiten allerdings ſehr verſchieden; allein gleichmäßig iſt das Weſen aller, nämlich: erlaubte Selbſtſucht und zurückbe- ziehen alles Aeußern auf die Perſon. Ebenſo ſind die Geſetze, welche der Einzelne in ſeinem Kreiſe zu befolgen hat, für Alle die gleichen.
Dieſe Geſetze haben nicht nur eine verſchiedene Begründung, ſondern auch einen verſchiedenen Inhalt, je nachdem ſie ein Verhältniß des Menſchen zu regeln beſtimmt ſind. Sie ſind religiöſer Art, wenn ſie aus der Glaubenslehre ſtammen und über das Verhältniß des Menſchen zur Gottheit Vor- ſchriften geben; ſittlich, wenn ſie von der eigenen Vernunft des Menſchen vorgeſchrieben ſind und es ſich von rein ver- nünftiger Pflicht gegen die eigene Perſon und gegen andere Geſchöpfe handelt; rechtlich, inſoferne ſie die Erwerbung der zur Erreichung der Lebenszwecke erforderlichen Nothwendigkeiten auf eine äußerlich erzwingbare Weiſe anordnen; Klugheits- regeln, welche über die Wahl zwiſchen mehr oder weniger Zweckmäßigem Vorſchriften geben, und zwar namentlich auch in wirthſchaftlichen Dingen. Richtig aufgefaßt widerſprechen ſich dieſe verſchiedenen Gattungen von Geſetzen nicht, und können ſich nicht widerſprechen, weil die Natur des Menſchen, aus welcher ſie hervorgehen und auf welche ſie ſich beziehen, keinen Widerſpruch in ſich zuläßt. Bei unvollkommener Auf- faſſung freilich mögen Zuſammenſtöße unter ihnen vorkommen. Sache der verſchiedenen Wiſſenſchaften iſt es, Lehren zu geben, durch welche ſolche Colliſionen verhütet und beſeitiget werden 2).
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0023"n="9"/>
übrige Welt iſt. Durch das Nebeneinanderbeſtehen unzähliger<lb/>
Menſchen in Raum und Zeit aber wird ein Nebeneinander-<lb/>
liegen ebenſo vieler gleichartiger Lebenskreiſe hervorgerufen. Der<lb/>
Umfang und Inhalt dieſer einzelnen Daſeins- und Thätigkeits-<lb/>ſphären iſt nach den beſondern Verhältniſſen der Perſönlichkeiten<lb/>
allerdings ſehr verſchieden; allein gleichmäßig iſt das Weſen<lb/>
aller, nämlich: <hirendition="#g">erlaubte Selbſtſucht und zurückbe-<lb/>
ziehen alles Aeußern auf die Perſon</hi>. Ebenſo ſind<lb/>
die Geſetze, welche der Einzelne in ſeinem Kreiſe zu befolgen<lb/>
hat, für Alle die gleichen.</p><lb/><p>Dieſe Geſetze haben nicht nur eine verſchiedene Begründung,<lb/>ſondern auch einen verſchiedenen Inhalt, je nachdem ſie ein<lb/>
Verhältniß des Menſchen zu regeln beſtimmt ſind. Sie ſind<lb/><hirendition="#g">religiöſer</hi> Art, wenn ſie aus der Glaubenslehre ſtammen<lb/>
und über das Verhältniß des Menſchen zur Gottheit Vor-<lb/>ſchriften geben; <hirendition="#g">ſittlich</hi>, wenn ſie von der eigenen Vernunft<lb/>
des Menſchen vorgeſchrieben ſind und es ſich von rein ver-<lb/>
nünftiger Pflicht gegen die eigene Perſon und gegen andere<lb/>
Geſchöpfe handelt; <hirendition="#g">rechtlich</hi>, inſoferne ſie die Erwerbung der<lb/>
zur Erreichung der Lebenszwecke erforderlichen Nothwendigkeiten<lb/>
auf eine äußerlich erzwingbare Weiſe anordnen; <hirendition="#g">Klugheits-<lb/>
regeln</hi>, welche über die Wahl zwiſchen mehr oder weniger<lb/>
Zweckmäßigem Vorſchriften geben, und zwar namentlich auch<lb/>
in wirthſchaftlichen Dingen. Richtig aufgefaßt widerſprechen<lb/>ſich dieſe verſchiedenen Gattungen von Geſetzen nicht, und<lb/>
können ſich nicht widerſprechen, weil die Natur des Menſchen,<lb/>
aus welcher ſie hervorgehen und auf welche ſie ſich beziehen,<lb/>
keinen Widerſpruch in ſich zuläßt. Bei unvollkommener Auf-<lb/>
faſſung freilich mögen Zuſammenſtöße unter ihnen vorkommen.<lb/>
Sache der verſchiedenen Wiſſenſchaften iſt es, Lehren zu<lb/>
geben, durch welche ſolche Colliſionen verhütet und beſeitiget<lb/>
werden <hirendition="#sup">2</hi>).</p><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[9/0023]
übrige Welt iſt. Durch das Nebeneinanderbeſtehen unzähliger
Menſchen in Raum und Zeit aber wird ein Nebeneinander-
liegen ebenſo vieler gleichartiger Lebenskreiſe hervorgerufen. Der
Umfang und Inhalt dieſer einzelnen Daſeins- und Thätigkeits-
ſphären iſt nach den beſondern Verhältniſſen der Perſönlichkeiten
allerdings ſehr verſchieden; allein gleichmäßig iſt das Weſen
aller, nämlich: erlaubte Selbſtſucht und zurückbe-
ziehen alles Aeußern auf die Perſon. Ebenſo ſind
die Geſetze, welche der Einzelne in ſeinem Kreiſe zu befolgen
hat, für Alle die gleichen.
Dieſe Geſetze haben nicht nur eine verſchiedene Begründung,
ſondern auch einen verſchiedenen Inhalt, je nachdem ſie ein
Verhältniß des Menſchen zu regeln beſtimmt ſind. Sie ſind
religiöſer Art, wenn ſie aus der Glaubenslehre ſtammen
und über das Verhältniß des Menſchen zur Gottheit Vor-
ſchriften geben; ſittlich, wenn ſie von der eigenen Vernunft
des Menſchen vorgeſchrieben ſind und es ſich von rein ver-
nünftiger Pflicht gegen die eigene Perſon und gegen andere
Geſchöpfe handelt; rechtlich, inſoferne ſie die Erwerbung der
zur Erreichung der Lebenszwecke erforderlichen Nothwendigkeiten
auf eine äußerlich erzwingbare Weiſe anordnen; Klugheits-
regeln, welche über die Wahl zwiſchen mehr oder weniger
Zweckmäßigem Vorſchriften geben, und zwar namentlich auch
in wirthſchaftlichen Dingen. Richtig aufgefaßt widerſprechen
ſich dieſe verſchiedenen Gattungen von Geſetzen nicht, und
können ſich nicht widerſprechen, weil die Natur des Menſchen,
aus welcher ſie hervorgehen und auf welche ſie ſich beziehen,
keinen Widerſpruch in ſich zuläßt. Bei unvollkommener Auf-
faſſung freilich mögen Zuſammenſtöße unter ihnen vorkommen.
Sache der verſchiedenen Wiſſenſchaften iſt es, Lehren zu
geben, durch welche ſolche Colliſionen verhütet und beſeitiget
werden 2).
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/23>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.