Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

derselben. Allein in den großen Staaten der Neuzeit ist diese
Einrichtung doch eben die einzige Möglichkeit einer Theilnahme
der Menge; und daß sie Allen Schutz gewähren kann, beweist
die Erfahrung.

Die wesentlichste Frage bei dem ganzen Verhältnisse ist:
ob die Vertreter nach einem bindenden Mandate zu handeln
haben; oder ob ihnen nur eine allgemeine gesetzliche Zustän-
digkeit als Richtschnur gegeben ist, innerhalb deren sie sich nach
eigener Ueberzeugung bewegen? Vom Standpuncte des Rech-
tes aus ist allerdings wohl ein Mandats-Verhältniß das natür-
lichste; jedoch auch ein freierer Auftrag keine innere Unmöglich-
keit. Aus Zweckmäßigkeitsgründen muß dem letzteren unbedingt
der Vorzug gegeben werden, indem bei feststehenden Aufträgen
der einzelnen Bevollmächtigten weder eine Uebereinstimmung
unter diesen selbst leicht möglich wäre, noch auch eine Verhand-
lung mit der Regierung Nutzen schaffen könnte. Alle that-
sächlichen Berichtigungen oder bessere Gründe wären wirkungslos;
eine noch so feste neue Ueberzeugung der Vertreter hätte kei-
nerlei Wirkung; und eine Meinungsverschiedenheit zwischen
diesen und der Regierung könnte nicht etwa durch gegenseitiges
Nachgeben ausgeglichen werden, sondern müßte immer mit einem
vollständigen Scheitern des Planes endigen, wenn sich nicht
das Staatsoberhaupt unbedingt fügen wollte. Allerdings ist
bei solcher Unabhängigkeit der Abgeordneten eine ernstliche Mei-
nungsverschiedenheit zwischen ihnen und den Vertretenen möglich;
und es kann selbst eine absichtliche Täuschung oder eine Selbst-
täuschung der Wähler über die staatlichen Ansichten und über die
persönlichen Zwecke des Gewählten stattfinden. Allein dieß ist
in so ferne von geringer Bedeutung, als dadurch die Handlun-
gen des Vertreters nicht ungültig werden, vielmehr seine im
Namen und im allgemeinen Auftrage der Vertretenen abgegebene
Erklärungen verbindlich für diese bleiben. Dem sittlichen und poli-

derſelben. Allein in den großen Staaten der Neuzeit iſt dieſe
Einrichtung doch eben die einzige Möglichkeit einer Theilnahme
der Menge; und daß ſie Allen Schutz gewähren kann, beweiſt
die Erfahrung.

Die weſentlichſte Frage bei dem ganzen Verhältniſſe iſt:
ob die Vertreter nach einem bindenden Mandate zu handeln
haben; oder ob ihnen nur eine allgemeine geſetzliche Zuſtän-
digkeit als Richtſchnur gegeben iſt, innerhalb deren ſie ſich nach
eigener Ueberzeugung bewegen? Vom Standpuncte des Rech-
tes aus iſt allerdings wohl ein Mandats-Verhältniß das natür-
lichſte; jedoch auch ein freierer Auftrag keine innere Unmöglich-
keit. Aus Zweckmäßigkeitsgründen muß dem letzteren unbedingt
der Vorzug gegeben werden, indem bei feſtſtehenden Aufträgen
der einzelnen Bevollmächtigten weder eine Uebereinſtimmung
unter dieſen ſelbſt leicht möglich wäre, noch auch eine Verhand-
lung mit der Regierung Nutzen ſchaffen könnte. Alle that-
ſächlichen Berichtigungen oder beſſere Gründe wären wirkungslos;
eine noch ſo feſte neue Ueberzeugung der Vertreter hätte kei-
nerlei Wirkung; und eine Meinungsverſchiedenheit zwiſchen
dieſen und der Regierung könnte nicht etwa durch gegenſeitiges
Nachgeben ausgeglichen werden, ſondern müßte immer mit einem
vollſtändigen Scheitern des Planes endigen, wenn ſich nicht
das Staatsoberhaupt unbedingt fügen wollte. Allerdings iſt
bei ſolcher Unabhängigkeit der Abgeordneten eine ernſtliche Mei-
nungsverſchiedenheit zwiſchen ihnen und den Vertretenen möglich;
und es kann ſelbſt eine abſichtliche Täuſchung oder eine Selbſt-
täuſchung der Wähler über die ſtaatlichen Anſichten und über die
perſönlichen Zwecke des Gewählten ſtattfinden. Allein dieß iſt
in ſo ferne von geringer Bedeutung, als dadurch die Handlun-
gen des Vertreters nicht ungültig werden, vielmehr ſeine im
Namen und im allgemeinen Auftrage der Vertretenen abgegebene
Erklärungen verbindlich für dieſe bleiben. Dem ſittlichen und poli-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0253" n="239"/>
der&#x017F;elben. Allein in den großen Staaten der Neuzeit i&#x017F;t die&#x017F;e<lb/>
Einrichtung doch eben die einzige Möglichkeit einer Theilnahme<lb/>
der Menge; und daß &#x017F;ie Allen Schutz gewähren kann, bewei&#x017F;t<lb/>
die Erfahrung.</p><lb/>
                    <p>Die we&#x017F;entlich&#x017F;te Frage bei dem ganzen Verhältni&#x017F;&#x017F;e i&#x017F;t:<lb/>
ob die Vertreter nach einem bindenden Mandate zu handeln<lb/>
haben; oder ob ihnen nur eine allgemeine ge&#x017F;etzliche Zu&#x017F;tän-<lb/>
digkeit als Richt&#x017F;chnur gegeben i&#x017F;t, innerhalb deren &#x017F;ie &#x017F;ich nach<lb/>
eigener Ueberzeugung bewegen? Vom Standpuncte des Rech-<lb/>
tes aus i&#x017F;t allerdings wohl ein Mandats-Verhältniß das natür-<lb/>
lich&#x017F;te; jedoch auch ein freierer Auftrag keine innere Unmöglich-<lb/>
keit. Aus Zweckmäßigkeitsgründen muß dem letzteren unbedingt<lb/>
der Vorzug gegeben werden, indem bei fe&#x017F;t&#x017F;tehenden Aufträgen<lb/>
der einzelnen Bevollmächtigten weder eine Ueberein&#x017F;timmung<lb/>
unter die&#x017F;en &#x017F;elb&#x017F;t leicht möglich wäre, noch auch eine Verhand-<lb/>
lung mit der Regierung Nutzen &#x017F;chaffen könnte. Alle that-<lb/>
&#x017F;ächlichen Berichtigungen oder be&#x017F;&#x017F;ere Gründe wären wirkungslos;<lb/>
eine noch &#x017F;o fe&#x017F;te neue Ueberzeugung der Vertreter hätte kei-<lb/>
nerlei Wirkung; und eine Meinungsver&#x017F;chiedenheit zwi&#x017F;chen<lb/>
die&#x017F;en und der Regierung könnte nicht etwa durch gegen&#x017F;eitiges<lb/>
Nachgeben ausgeglichen werden, &#x017F;ondern müßte immer mit einem<lb/>
voll&#x017F;tändigen Scheitern des Planes endigen, wenn &#x017F;ich nicht<lb/>
das Staatsoberhaupt unbedingt fügen wollte. Allerdings i&#x017F;t<lb/>
bei &#x017F;olcher Unabhängigkeit der Abgeordneten eine ern&#x017F;tliche Mei-<lb/>
nungsver&#x017F;chiedenheit zwi&#x017F;chen ihnen und den Vertretenen möglich;<lb/>
und es kann &#x017F;elb&#x017F;t eine ab&#x017F;ichtliche Täu&#x017F;chung oder eine Selb&#x017F;t-<lb/>
täu&#x017F;chung der Wähler über die &#x017F;taatlichen An&#x017F;ichten und über die<lb/>
per&#x017F;önlichen Zwecke des Gewählten &#x017F;tattfinden. Allein dieß i&#x017F;t<lb/>
in &#x017F;o ferne von geringer Bedeutung, als dadurch die Handlun-<lb/>
gen des Vertreters nicht ungültig werden, vielmehr &#x017F;eine im<lb/>
Namen und im allgemeinen Auftrage der Vertretenen abgegebene<lb/>
Erklärungen verbindlich für die&#x017F;e bleiben. Dem &#x017F;ittlichen und poli-<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0253] derſelben. Allein in den großen Staaten der Neuzeit iſt dieſe Einrichtung doch eben die einzige Möglichkeit einer Theilnahme der Menge; und daß ſie Allen Schutz gewähren kann, beweiſt die Erfahrung. Die weſentlichſte Frage bei dem ganzen Verhältniſſe iſt: ob die Vertreter nach einem bindenden Mandate zu handeln haben; oder ob ihnen nur eine allgemeine geſetzliche Zuſtän- digkeit als Richtſchnur gegeben iſt, innerhalb deren ſie ſich nach eigener Ueberzeugung bewegen? Vom Standpuncte des Rech- tes aus iſt allerdings wohl ein Mandats-Verhältniß das natür- lichſte; jedoch auch ein freierer Auftrag keine innere Unmöglich- keit. Aus Zweckmäßigkeitsgründen muß dem letzteren unbedingt der Vorzug gegeben werden, indem bei feſtſtehenden Aufträgen der einzelnen Bevollmächtigten weder eine Uebereinſtimmung unter dieſen ſelbſt leicht möglich wäre, noch auch eine Verhand- lung mit der Regierung Nutzen ſchaffen könnte. Alle that- ſächlichen Berichtigungen oder beſſere Gründe wären wirkungslos; eine noch ſo feſte neue Ueberzeugung der Vertreter hätte kei- nerlei Wirkung; und eine Meinungsverſchiedenheit zwiſchen dieſen und der Regierung könnte nicht etwa durch gegenſeitiges Nachgeben ausgeglichen werden, ſondern müßte immer mit einem vollſtändigen Scheitern des Planes endigen, wenn ſich nicht das Staatsoberhaupt unbedingt fügen wollte. Allerdings iſt bei ſolcher Unabhängigkeit der Abgeordneten eine ernſtliche Mei- nungsverſchiedenheit zwiſchen ihnen und den Vertretenen möglich; und es kann ſelbſt eine abſichtliche Täuſchung oder eine Selbſt- täuſchung der Wähler über die ſtaatlichen Anſichten und über die perſönlichen Zwecke des Gewählten ſtattfinden. Allein dieß iſt in ſo ferne von geringer Bedeutung, als dadurch die Handlun- gen des Vertreters nicht ungültig werden, vielmehr ſeine im Namen und im allgemeinen Auftrage der Vertretenen abgegebene Erklärungen verbindlich für dieſe bleiben. Dem ſittlichen und poli-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/253
Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/253>, abgerufen am 24.11.2024.