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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Zunächst von den in sämmtlichen Glaubensstaaten gleich-
mäßig bestehenden obersten Principien.

In jedem Staate dieser ganzen Gattung ist die Reli-
gionslehre
die Hauptsache. Dieselbe enthält nämlich nicht
nur die Glaubenssätze über das Verhältniß des einzelnen Men-
schen zu Gott und zu der Welt, die Vorschriften über den
Cultus und über die Stellung und die geistige Macht der
Priester, ferner etwa sittliche Vorschriften; sondern auch die
Rechtsgrundlagen für den Staat, für die Regierungsbefugnisse
des Staatsoberhauptes, endlich für die Einrichtung des Zu-
sammenlebens. Die Erhaltung des allgemeinsten und vollsten
Glaubens an diese Religionslehre ist daher auch die wichtigste
Aufgabe des Staates. Unduldsamkeit gegen Ungläubige oder
Andersgläubige ist in der Theokratie keine Härte und Rechts-
verletzung, sondern lediglich Selbstvertheidigung des Staates.
Ein Angriff auf einen Glaubenssatz ist nicht blos Gottlosigkeit,
sondern zu gleicher Zeit Hochverrath.

In jeder Form der Theokratie ist ferner eine Einrichtung
unentbehrlich, welche als eine unmittelbare Einholung des
Willens der Gottheit
gilt und als solche geglaubt wird,
weil selbst in einer noch so ausführlichen Verfassung und Gesetz-
gebung doch unmöglich für alle im Laufe der Zeit vorkommenden
Fragen schon zum Voraus eine Antwort und für alle allmälig ent-
stehenden Bedürfnisse schon eine Befriedigung enthalten sein kann.
In welcher Form und unter welchen Voraussetzungen diese
Einholung des gesetzgeberischen und obersten verwaltenden Willens
der Gottheit stattfindet, ist rechtlich gleichgültig; nur verlangt
der Zweck Zugänglichkeit zu jeder Zeit, und darf die Entschei-
dung keiner der regelmäßigen Leitung des Staates ferner
stehenden Gewalt anvertraut sein, damit kein Widerspruch ent-
stehe. Von selbst versteht sich ein unbedingter Gehorsam aller
Gläubigen gegen eine solche höchste Entscheidung; und eine

Zunächſt von den in ſämmtlichen Glaubensſtaaten gleich-
mäßig beſtehenden oberſten Principien.

In jedem Staate dieſer ganzen Gattung iſt die Reli-
gionslehre
die Hauptſache. Dieſelbe enthält nämlich nicht
nur die Glaubensſätze über das Verhältniß des einzelnen Men-
ſchen zu Gott und zu der Welt, die Vorſchriften über den
Cultus und über die Stellung und die geiſtige Macht der
Prieſter, ferner etwa ſittliche Vorſchriften; ſondern auch die
Rechtsgrundlagen für den Staat, für die Regierungsbefugniſſe
des Staatsoberhauptes, endlich für die Einrichtung des Zu-
ſammenlebens. Die Erhaltung des allgemeinſten und vollſten
Glaubens an dieſe Religionslehre iſt daher auch die wichtigſte
Aufgabe des Staates. Unduldſamkeit gegen Ungläubige oder
Andersgläubige iſt in der Theokratie keine Härte und Rechts-
verletzung, ſondern lediglich Selbſtvertheidigung des Staates.
Ein Angriff auf einen Glaubensſatz iſt nicht blos Gottloſigkeit,
ſondern zu gleicher Zeit Hochverrath.

In jeder Form der Theokratie iſt ferner eine Einrichtung
unentbehrlich, welche als eine unmittelbare Einholung des
Willens der Gottheit
gilt und als ſolche geglaubt wird,
weil ſelbſt in einer noch ſo ausführlichen Verfaſſung und Geſetz-
gebung doch unmöglich für alle im Laufe der Zeit vorkommenden
Fragen ſchon zum Voraus eine Antwort und für alle allmälig ent-
ſtehenden Bedürfniſſe ſchon eine Befriedigung enthalten ſein kann.
In welcher Form und unter welchen Vorausſetzungen dieſe
Einholung des geſetzgeberiſchen und oberſten verwaltenden Willens
der Gottheit ſtattfindet, iſt rechtlich gleichgültig; nur verlangt
der Zweck Zugänglichkeit zu jeder Zeit, und darf die Entſchei-
dung keiner der regelmäßigen Leitung des Staates ferner
ſtehenden Gewalt anvertraut ſein, damit kein Widerſpruch ent-
ſtehe. Von ſelbſt verſteht ſich ein unbedingter Gehorſam aller
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[312/0326] Zunächſt von den in ſämmtlichen Glaubensſtaaten gleich- mäßig beſtehenden oberſten Principien. In jedem Staate dieſer ganzen Gattung iſt die Reli- gionslehre die Hauptſache. Dieſelbe enthält nämlich nicht nur die Glaubensſätze über das Verhältniß des einzelnen Men- ſchen zu Gott und zu der Welt, die Vorſchriften über den Cultus und über die Stellung und die geiſtige Macht der Prieſter, ferner etwa ſittliche Vorſchriften; ſondern auch die Rechtsgrundlagen für den Staat, für die Regierungsbefugniſſe des Staatsoberhauptes, endlich für die Einrichtung des Zu- ſammenlebens. Die Erhaltung des allgemeinſten und vollſten Glaubens an dieſe Religionslehre iſt daher auch die wichtigſte Aufgabe des Staates. Unduldſamkeit gegen Ungläubige oder Andersgläubige iſt in der Theokratie keine Härte und Rechts- verletzung, ſondern lediglich Selbſtvertheidigung des Staates. Ein Angriff auf einen Glaubensſatz iſt nicht blos Gottloſigkeit, ſondern zu gleicher Zeit Hochverrath. In jeder Form der Theokratie iſt ferner eine Einrichtung unentbehrlich, welche als eine unmittelbare Einholung des Willens der Gottheit gilt und als ſolche geglaubt wird, weil ſelbſt in einer noch ſo ausführlichen Verfaſſung und Geſetz- gebung doch unmöglich für alle im Laufe der Zeit vorkommenden Fragen ſchon zum Voraus eine Antwort und für alle allmälig ent- ſtehenden Bedürfniſſe ſchon eine Befriedigung enthalten ſein kann. In welcher Form und unter welchen Vorausſetzungen dieſe Einholung des geſetzgeberiſchen und oberſten verwaltenden Willens der Gottheit ſtattfindet, iſt rechtlich gleichgültig; nur verlangt der Zweck Zugänglichkeit zu jeder Zeit, und darf die Entſchei- dung keiner der regelmäßigen Leitung des Staates ferner ſtehenden Gewalt anvertraut ſein, damit kein Widerſpruch ent- ſtehe. Von ſelbſt verſteht ſich ein unbedingter Gehorſam aller Gläubigen gegen eine ſolche höchſte Entſcheidung; und eine

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/326>, abgerufen am 26.11.2024.