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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Laurent -- als letzte Aufgabe der menschlichen Entwickelung die Gründung
eines allgemeinen Weltstaates und somit eines das gesammte Menschenge-
schlecht umfassenden einheitlichen Organismus aufstellen. Man kann das
Gesetz der Harmonie auch wesentlich anders auffassen, nämlich als wesent-
lichen Einklang getrennt bleibender Vielheiten. Jedenfalls ist die Erreichung
eines solchen Zieles im höchsten Grade zweifelhaft und in die Ferne gerückt,
und bedarf es zunächst und noch auf lange einer wissenschaftlichen Grund-
lage für die rechtsphilosophische Auffassung der jetzt bestehenden und nach
aller Wahrscheinlichkeit noch während ungezählter Generationen allein mög-
licher Verhältnisse. Das richtige letzte Ziel des philosophischen Völkerrechtes
ist somit kein Weltstaatsrecht, sondern ein Weltstaatenrecht. Vgl. meine
Anzeige von Laurent, Histoire du droit des gens, in der Zeitschr. für
Rechtsw. des Ausl., Bd. XXIV, S. 313 fg.
2) Nichts hat der wahren wissenschaftlichen Entwickelung des philoso-
phischen Völkerrechtes so sehr geschadet als die, freilich schon von Grotius
veranlaßte namentlich aber von der Kant'schen Schule festgehaltene und
ausgebildete, Annahme, daß dasselbe nichts Anderes sei, als eine Anwendung
der Sätze des philosophischen Privatrechtes auf unabhängige moralische
Personen. Nicht nur ist schon äußerlich die Anwendung der für physische
Individuen und für ihr Verhältniß zu ihres Gleichen gültigen Rechtssätze
auf moralische Personen theils ganz unmöglich wegen Mangels an ent-
sprechenden Verhältnissen, theils wenigstens höchst gezwungen und schief;
sondern die Hauptsache ist, daß auf diese Weise die besondere Aufgabe der
Rechtsordnung unter Staaten, nämlich die Annäherung an eine Weltrechts-
ordnung, gar nicht einmal ins Auge gefaßt wird. Es fehlt somit an der
richtigen Grundlage der gemeinsamen Rechtsverbindlichkeit und an der Ver-
folgung des eigenthümlichen Zieles. Mit Einem Worte, ein solches philo-
sophisches Völkerrecht ist leer, hohl und falsch zu gleicher Zeit. Hierin liegt
denn auch der Grund, warum die wissenschaftliche Bearbeitung des philo-
sophischen Völkerrechtes so lange vollkommen im Stocken war.
3) Die Annahme verschiedener und auf wesentlich abweichender Grund-
lage ruhender Lehren des Völkerrechtes, des philosophischen sowohl als des
positiven, beruht auf denselben Gründen, welche eine Annahme verschiedener
und doch gleichberechtigter Systeme des philosophischen Staatsrechtes verlangen,
nämlich auf der Anerkennung der Berechtigung verschiedener rechtlicher Lebens-
auffassungen und daraus stammender Gesittigungsarten. Sie steht und fällt
also mit dieser letzteren. Siehe oben, § 14, Seite 97.
4) Strenge genommen ist allerdings der Ausdruck "Völkerrecht" nicht
ganz richtig, indem nicht die Völker, sondern ihre organischen Einheiten,
die Staaten, die hier in Frage stehenden Rechtssubjecte sind. Es ist aber doch
die Bezeichnung beizubehalten, weil die Worte "Staatenrecht" und "Staats-
Laurent — als letzte Aufgabe der menſchlichen Entwickelung die Gründung
eines allgemeinen Weltſtaates und ſomit eines das geſammte Menſchenge-
ſchlecht umfaſſenden einheitlichen Organismus aufſtellen. Man kann das
Geſetz der Harmonie auch weſentlich anders auffaſſen, nämlich als weſent-
lichen Einklang getrennt bleibender Vielheiten. Jedenfalls iſt die Erreichung
eines ſolchen Zieles im höchſten Grade zweifelhaft und in die Ferne gerückt,
und bedarf es zunächſt und noch auf lange einer wiſſenſchaftlichen Grund-
lage für die rechtsphiloſophiſche Auffaſſung der jetzt beſtehenden und nach
aller Wahrſcheinlichkeit noch während ungezählter Generationen allein mög-
licher Verhältniſſe. Das richtige letzte Ziel des philoſophiſchen Völkerrechtes
iſt ſomit kein Weltſtaatsrecht, ſondern ein Weltſtaatenrecht. Vgl. meine
Anzeige von Laurent, Histoire du droit des gens, in der Zeitſchr. für
Rechtsw. des Ausl., Bd. XXIV, S. 313 fg.
2) Nichts hat der wahren wiſſenſchaftlichen Entwickelung des philoſo-
phiſchen Völkerrechtes ſo ſehr geſchadet als die, freilich ſchon von Grotius
veranlaßte namentlich aber von der Kant’ſchen Schule feſtgehaltene und
ausgebildete, Annahme, daß daſſelbe nichts Anderes ſei, als eine Anwendung
der Sätze des philoſophiſchen Privatrechtes auf unabhängige moraliſche
Perſonen. Nicht nur iſt ſchon äußerlich die Anwendung der für phyſiſche
Individuen und für ihr Verhältniß zu ihres Gleichen gültigen Rechtsſätze
auf moraliſche Perſonen theils ganz unmöglich wegen Mangels an ent-
ſprechenden Verhältniſſen, theils wenigſtens höchſt gezwungen und ſchief;
ſondern die Hauptſache iſt, daß auf dieſe Weiſe die beſondere Aufgabe der
Rechtsordnung unter Staaten, nämlich die Annäherung an eine Weltrechts-
ordnung, gar nicht einmal ins Auge gefaßt wird. Es fehlt ſomit an der
richtigen Grundlage der gemeinſamen Rechtsverbindlichkeit und an der Ver-
folgung des eigenthümlichen Zieles. Mit Einem Worte, ein ſolches philo-
ſophiſches Völkerrecht iſt leer, hohl und falſch zu gleicher Zeit. Hierin liegt
denn auch der Grund, warum die wiſſenſchaftliche Bearbeitung des philo-
ſophiſchen Völkerrechtes ſo lange vollkommen im Stocken war.
3) Die Annahme verſchiedener und auf weſentlich abweichender Grund-
lage ruhender Lehren des Völkerrechtes, des philoſophiſchen ſowohl als des
poſitiven, beruht auf denſelben Gründen, welche eine Annahme verſchiedener
und doch gleichberechtigter Syſteme des philoſophiſchen Staatsrechtes verlangen,
nämlich auf der Anerkennung der Berechtigung verſchiedener rechtlicher Lebens-
auffaſſungen und daraus ſtammender Geſittigungsarten. Sie ſteht und fällt
alſo mit dieſer letzteren. Siehe oben, § 14, Seite 97.
4) Strenge genommen iſt allerdings der Ausdruck „Völkerrecht“ nicht
ganz richtig, indem nicht die Völker, ſondern ihre organiſchen Einheiten,
die Staaten, die hier in Frage ſtehenden Rechtsſubjecte ſind. Es iſt aber doch
die Bezeichnung beizubehalten, weil die Worte „Staatenrecht“ und „Staats-
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[405/0419] ¹⁾ Laurent — als letzte Aufgabe der menſchlichen Entwickelung die Gründung eines allgemeinen Weltſtaates und ſomit eines das geſammte Menſchenge- ſchlecht umfaſſenden einheitlichen Organismus aufſtellen. Man kann das Geſetz der Harmonie auch weſentlich anders auffaſſen, nämlich als weſent- lichen Einklang getrennt bleibender Vielheiten. Jedenfalls iſt die Erreichung eines ſolchen Zieles im höchſten Grade zweifelhaft und in die Ferne gerückt, und bedarf es zunächſt und noch auf lange einer wiſſenſchaftlichen Grund- lage für die rechtsphiloſophiſche Auffaſſung der jetzt beſtehenden und nach aller Wahrſcheinlichkeit noch während ungezählter Generationen allein mög- licher Verhältniſſe. Das richtige letzte Ziel des philoſophiſchen Völkerrechtes iſt ſomit kein Weltſtaatsrecht, ſondern ein Weltſtaatenrecht. Vgl. meine Anzeige von Laurent, Histoire du droit des gens, in der Zeitſchr. für Rechtsw. des Ausl., Bd. XXIV, S. 313 fg. ²⁾ Nichts hat der wahren wiſſenſchaftlichen Entwickelung des philoſo- phiſchen Völkerrechtes ſo ſehr geſchadet als die, freilich ſchon von Grotius veranlaßte namentlich aber von der Kant’ſchen Schule feſtgehaltene und ausgebildete, Annahme, daß daſſelbe nichts Anderes ſei, als eine Anwendung der Sätze des philoſophiſchen Privatrechtes auf unabhängige moraliſche Perſonen. Nicht nur iſt ſchon äußerlich die Anwendung der für phyſiſche Individuen und für ihr Verhältniß zu ihres Gleichen gültigen Rechtsſätze auf moraliſche Perſonen theils ganz unmöglich wegen Mangels an ent- ſprechenden Verhältniſſen, theils wenigſtens höchſt gezwungen und ſchief; ſondern die Hauptſache iſt, daß auf dieſe Weiſe die beſondere Aufgabe der Rechtsordnung unter Staaten, nämlich die Annäherung an eine Weltrechts- ordnung, gar nicht einmal ins Auge gefaßt wird. Es fehlt ſomit an der richtigen Grundlage der gemeinſamen Rechtsverbindlichkeit und an der Ver- folgung des eigenthümlichen Zieles. Mit Einem Worte, ein ſolches philo- ſophiſches Völkerrecht iſt leer, hohl und falſch zu gleicher Zeit. Hierin liegt denn auch der Grund, warum die wiſſenſchaftliche Bearbeitung des philo- ſophiſchen Völkerrechtes ſo lange vollkommen im Stocken war. ³⁾ Die Annahme verſchiedener und auf weſentlich abweichender Grund- lage ruhender Lehren des Völkerrechtes, des philoſophiſchen ſowohl als des poſitiven, beruht auf denſelben Gründen, welche eine Annahme verſchiedener und doch gleichberechtigter Syſteme des philoſophiſchen Staatsrechtes verlangen, nämlich auf der Anerkennung der Berechtigung verſchiedener rechtlicher Lebens- auffaſſungen und daraus ſtammender Geſittigungsarten. Sie ſteht und fällt alſo mit dieſer letzteren. Siehe oben, § 14, Seite 97. ⁴⁾ Strenge genommen iſt allerdings der Ausdruck „Völkerrecht“ nicht ganz richtig, indem nicht die Völker, ſondern ihre organiſchen Einheiten, die Staaten, die hier in Frage ſtehenden Rechtsſubjecte ſind. Es iſt aber doch die Bezeichnung beizubehalten, weil die Worte „Staatenrecht“ und „Staats-

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/419>, abgerufen am 24.11.2024.