Die Herstellung eines rechtlichen Zusammenlebens unter europäisch gesittigten Völkern ist durch die Befolgung nachstehender Grundsätze bedingt:
1) Jeder Staat ist verpflichtet, in seinem Verhalten zu andern coexistirenden Staaten in allen Fällen nach Rechts- grundsätzen zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Bestehen eines Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft desselben anzuerkennen.
2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten, sondern er hat auch die Verpflichtung, seine Unterthanen von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu- halten; hierzu denn aber theils die entsprechenden gesetzlichen Normen, so weit es nothwendig ist mit Strafandrohung, an- zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatsächliche Ver- hinderung eintreten zu lassen. Nur wenn er beweisen kann, daß er Alles, was in seinem Rechte und in seiner Macht lag, zum Schutze der Fremden gethan hat, ist er frei von Vorwürfen wegen Fahrlässigkeit oder gar Mitschuld. Auszuliefern an einen beleidigten Staat zur Bestrafung durch denselben hat übrigens der Staat seine eigenen Unterthanen nicht, sondern nur durch die eigenen Gerichte die eigenen Gesetze gegen sie anzuwenden.
3) Die Verpflichtung, zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Rechtsordnung beizutragen, legt jedem Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln festzustellen, nach welchen die zwischen Fremden und Ein- heimischen entstandenen Rechtsverhältnisse zu beurtheilen und zu
c. Ordnung der Gemeinſchaft.
§ 60. α. Grundſätze.
Die Herſtellung eines rechtlichen Zuſammenlebens unter europäiſch geſittigten Völkern iſt durch die Befolgung nachſtehender Grundſätze bedingt:
1) Jeder Staat iſt verpflichtet, in ſeinem Verhalten zu andern coexiſtirenden Staaten in allen Fällen nach Rechts- grundſätzen zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Beſtehen eines Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft deſſelben anzuerkennen.
2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten, ſondern er hat auch die Verpflichtung, ſeine Unterthanen von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu- halten; hierzu denn aber theils die entſprechenden geſetzlichen Normen, ſo weit es nothwendig iſt mit Strafandrohung, an- zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatſächliche Ver- hinderung eintreten zu laſſen. Nur wenn er beweiſen kann, daß er Alles, was in ſeinem Rechte und in ſeiner Macht lag, zum Schutze der Fremden gethan hat, iſt er frei von Vorwürfen wegen Fahrläſſigkeit oder gar Mitſchuld. Auszuliefern an einen beleidigten Staat zur Beſtrafung durch denſelben hat übrigens der Staat ſeine eigenen Unterthanen nicht, ſondern nur durch die eigenen Gerichte die eigenen Geſetze gegen ſie anzuwenden.
3) Die Verpflichtung, zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Rechtsordnung beizutragen, legt jedem Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln feſtzuſtellen, nach welchen die zwiſchen Fremden und Ein- heimiſchen entſtandenen Rechtsverhältniſſe zu beurtheilen und zu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><pbfacs="#f0444"n="430"/><divn="6"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">c.</hi> Ordnung der Gemeinſchaft.</hi></head><lb/><divn="7"><head>§ 60.<lb/><hirendition="#i">α</hi>. <hirendition="#g">Grundſätze</hi>.</head><lb/><p>Die Herſtellung eines rechtlichen Zuſammenlebens unter<lb/>
europäiſch geſittigten Völkern iſt durch die Befolgung nachſtehender<lb/>
Grundſätze bedingt:</p><lb/><p>1) Jeder Staat iſt verpflichtet, in ſeinem Verhalten zu<lb/>
andern coexiſtirenden Staaten in allen Fällen nach <hirendition="#g">Rechts-<lb/>
grundſätzen</hi> zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und<lb/>
gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Beſtehen eines<lb/>
Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft deſſelben<lb/>
anzuerkennen.</p><lb/><p>2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar<lb/>
ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten,<lb/>ſondern er hat auch die Verpflichtung, ſeine <hirendition="#g">Unterthanen</hi><lb/>
von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu-<lb/>
halten; hierzu denn aber theils die entſprechenden geſetzlichen<lb/>
Normen, ſo weit es nothwendig iſt mit Strafandrohung, an-<lb/>
zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatſächliche Ver-<lb/>
hinderung eintreten zu laſſen. Nur wenn er beweiſen kann,<lb/>
daß er Alles, was in ſeinem Rechte und in ſeiner Macht lag,<lb/>
zum Schutze der Fremden gethan hat, iſt er frei von Vorwürfen<lb/>
wegen Fahrläſſigkeit oder gar Mitſchuld. Auszuliefern an einen<lb/>
beleidigten Staat zur Beſtrafung durch denſelben hat übrigens<lb/>
der Staat ſeine eigenen Unterthanen nicht, ſondern nur durch<lb/>
die eigenen Gerichte die eigenen Geſetze gegen ſie anzuwenden.</p><lb/><p>3) Die Verpflichtung, zur <hirendition="#g">Aufrechterhaltung der<lb/>
allgemeinen Rechtsordnung beizutragen</hi>, legt jedem<lb/>
Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln<lb/>
feſtzuſtellen, nach welchen die zwiſchen Fremden und Ein-<lb/>
heimiſchen entſtandenen Rechtsverhältniſſe zu beurtheilen und zu<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[430/0444]
c. Ordnung der Gemeinſchaft.
§ 60.
α. Grundſätze.
Die Herſtellung eines rechtlichen Zuſammenlebens unter
europäiſch geſittigten Völkern iſt durch die Befolgung nachſtehender
Grundſätze bedingt:
1) Jeder Staat iſt verpflichtet, in ſeinem Verhalten zu
andern coexiſtirenden Staaten in allen Fällen nach Rechts-
grundſätzen zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und
gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Beſtehen eines
Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft deſſelben
anzuerkennen.
2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar
ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten,
ſondern er hat auch die Verpflichtung, ſeine Unterthanen
von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu-
halten; hierzu denn aber theils die entſprechenden geſetzlichen
Normen, ſo weit es nothwendig iſt mit Strafandrohung, an-
zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatſächliche Ver-
hinderung eintreten zu laſſen. Nur wenn er beweiſen kann,
daß er Alles, was in ſeinem Rechte und in ſeiner Macht lag,
zum Schutze der Fremden gethan hat, iſt er frei von Vorwürfen
wegen Fahrläſſigkeit oder gar Mitſchuld. Auszuliefern an einen
beleidigten Staat zur Beſtrafung durch denſelben hat übrigens
der Staat ſeine eigenen Unterthanen nicht, ſondern nur durch
die eigenen Gerichte die eigenen Geſetze gegen ſie anzuwenden.
3) Die Verpflichtung, zur Aufrechterhaltung der
allgemeinen Rechtsordnung beizutragen, legt jedem
Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln
feſtzuſtellen, nach welchen die zwiſchen Fremden und Ein-
heimiſchen entſtandenen Rechtsverhältniſſe zu beurtheilen und zu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/444>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.