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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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Gesandten verlangten Cäremonien, wie z. B. der chinesische Kotu, sind Bei-
spiele von Verkehrsformen, welche einer völligen Abschließung gleichkommen,
indem von Vertretern unabhängiger Staaten als Bedingung der Zulassung
und des Eintretens in amtlichen Verkehr Ehrenbezeugungen verlangt werden,
welche auf ein Unterordnungsverhältniß hinweisen.
4) Kein verständiger Mensch wird unnöthige und widersinnige Paßplacke-
reien anrathen oder auch nur vertheidigen. Ebenso ist eine vollkommene
Willkühr in der Zurückweisung oder Wiederentfernung Fremder aus dem
Staatsgebiete nicht nur gehässig, sondern geradezu völkerrechtswidrig. Es
muß hier nach bestimmten Grundsätzen gehandelt werden und eine Nicht-
zulassung oder Ausweisung nur in genau bezeichneten Fällen erweisbarer
Gefährlichkeit für die eigene Rechtsordnung oder die Verfolgung der eigenen
Staatszwecke stattfinden können. Allein man hat sich doch hier auch vor
Uebertreibungen nach der andern Seite hin zu hüthen, und darf der Staat nicht,
in übergroßer Sorge für die Wünsche Fremder, in die Unmöglichkeit versetzt
werden, seine eigene Sicherheit zu wahren und den Ansprüchen seiner eigenen
Unterthanen auf Schutz ihrer Rechte und Interessen zu entsprechen. Wenn
also z. B. die englische und amerikanische Gesetzgebung jedem Fremden ohne
Unterschied den Zutritt in das Land gestattet, so daß der Regierung kein
Recht zur Abhaltung oder Wiederentfernung zusteht, so ist dies kein Grund
zur Aufstellung eines gleichlautenden allgemeinen Satzes im Völkerrechte,
vielmehr ist jenes besondere Verhalten in dreifacher Beziehung ein Fehler.
Einmal wird dadurch ein Schutz der eigenen Bürger gegen gefährliche Fremde
unmöglich gemacht, somit zu Gunsten Solcher, welche zu keinem Anspruche
an den Staat berechtigt sind, eine Pflicht gegen das eigene Volk und Land
nicht erfüllt. Zweitens aber entsagt der Staat ohne Grund und Noth einem
Vertheidigungsmittel, dessen er selbst zur Wahrung seiner Rechte leicht sehr
bedürftig sein könnte. Endlich wird England und Amerika durch diese un-
bedingte Selbstverpflichtung zur Aufnahme Fremder in die Unmöglichkeit
versetzt, den von einem gesittigten Staate mit Recht zu verlangenden Bei-
trag zu einer Weltrechtsordnung zu leisten. Die Abneigung der Engländer
gegen eine Alienbill beruht auf achtungswerthem Grunde, ist aber ein Miß=
verständniß und wird zu weit getrieben. Die von fremden Staaten häufig
geführten Beschwerden sind zum großen Theile gerechtfertigt, und die in der
Hinweisung auf die Landesgesetzgebung bestehende angebliche Entschuldigung
ist durchaus nichtig. Darin eben besteht der Vorwurf, daß die Landesgesetz-
gebung mit den Forderungen des Völkerrechtes nicht übereinstimmt. Vgl.
meine Revision der völkerrechtlichen Lehre vom Asyle, in der Tüb. Zeitschr.
für Staatsw., 1853, S. 461 fg.
Geſandten verlangten Cäremonien, wie z. B. der chineſiſche Kotu, ſind Bei-
ſpiele von Verkehrsformen, welche einer völligen Abſchließung gleichkommen,
indem von Vertretern unabhängiger Staaten als Bedingung der Zulaſſung
und des Eintretens in amtlichen Verkehr Ehrenbezeugungen verlangt werden,
welche auf ein Unterordnungsverhältniß hinweiſen.
4) Kein verſtändiger Menſch wird unnöthige und widerſinnige Paßplacke-
reien anrathen oder auch nur vertheidigen. Ebenſo iſt eine vollkommene
Willkühr in der Zurückweiſung oder Wiederentfernung Fremder aus dem
Staatsgebiete nicht nur gehäſſig, ſondern geradezu völkerrechtswidrig. Es
muß hier nach beſtimmten Grundſätzen gehandelt werden und eine Nicht-
zulaſſung oder Ausweiſung nur in genau bezeichneten Fällen erweisbarer
Gefährlichkeit für die eigene Rechtsordnung oder die Verfolgung der eigenen
Staatszwecke ſtattfinden können. Allein man hat ſich doch hier auch vor
Uebertreibungen nach der andern Seite hin zu hüthen, und darf der Staat nicht,
in übergroßer Sorge für die Wünſche Fremder, in die Unmöglichkeit verſetzt
werden, ſeine eigene Sicherheit zu wahren und den Anſprüchen ſeiner eigenen
Unterthanen auf Schutz ihrer Rechte und Intereſſen zu entſprechen. Wenn
alſo z. B. die engliſche und amerikaniſche Geſetzgebung jedem Fremden ohne
Unterſchied den Zutritt in das Land geſtattet, ſo daß der Regierung kein
Recht zur Abhaltung oder Wiederentfernung zuſteht, ſo iſt dies kein Grund
zur Aufſtellung eines gleichlautenden allgemeinen Satzes im Völkerrechte,
vielmehr iſt jenes beſondere Verhalten in dreifacher Beziehung ein Fehler.
Einmal wird dadurch ein Schutz der eigenen Bürger gegen gefährliche Fremde
unmöglich gemacht, ſomit zu Gunſten Solcher, welche zu keinem Anſpruche
an den Staat berechtigt ſind, eine Pflicht gegen das eigene Volk und Land
nicht erfüllt. Zweitens aber entſagt der Staat ohne Grund und Noth einem
Vertheidigungsmittel, deſſen er ſelbſt zur Wahrung ſeiner Rechte leicht ſehr
bedürftig ſein könnte. Endlich wird England und Amerika durch dieſe un-
bedingte Selbſtverpflichtung zur Aufnahme Fremder in die Unmöglichkeit
verſetzt, den von einem geſittigten Staate mit Recht zu verlangenden Bei-
trag zu einer Weltrechtsordnung zu leiſten. Die Abneigung der Engländer
gegen eine Alienbill beruht auf achtungswerthem Grunde, iſt aber ein Miß=
verſtändniß und wird zu weit getrieben. Die von fremden Staaten häufig
geführten Beſchwerden ſind zum großen Theile gerechtfertigt, und die in der
Hinweiſung auf die Landesgeſetzgebung beſtehende angebliche Entſchuldigung
iſt durchaus nichtig. Darin eben beſteht der Vorwurf, daß die Landesgeſetz-
gebung mit den Forderungen des Völkerrechtes nicht übereinſtimmt. Vgl.
meine Reviſion der völkerrechtlichen Lehre vom Aſyle, in der Tüb. Zeitſchr.
für Staatsw., 1853, S. 461 fg.
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[429/0443] ³⁾ Geſandten verlangten Cäremonien, wie z. B. der chineſiſche Kotu, ſind Bei- ſpiele von Verkehrsformen, welche einer völligen Abſchließung gleichkommen, indem von Vertretern unabhängiger Staaten als Bedingung der Zulaſſung und des Eintretens in amtlichen Verkehr Ehrenbezeugungen verlangt werden, welche auf ein Unterordnungsverhältniß hinweiſen. ⁴⁾ Kein verſtändiger Menſch wird unnöthige und widerſinnige Paßplacke- reien anrathen oder auch nur vertheidigen. Ebenſo iſt eine vollkommene Willkühr in der Zurückweiſung oder Wiederentfernung Fremder aus dem Staatsgebiete nicht nur gehäſſig, ſondern geradezu völkerrechtswidrig. Es muß hier nach beſtimmten Grundſätzen gehandelt werden und eine Nicht- zulaſſung oder Ausweiſung nur in genau bezeichneten Fällen erweisbarer Gefährlichkeit für die eigene Rechtsordnung oder die Verfolgung der eigenen Staatszwecke ſtattfinden können. Allein man hat ſich doch hier auch vor Uebertreibungen nach der andern Seite hin zu hüthen, und darf der Staat nicht, in übergroßer Sorge für die Wünſche Fremder, in die Unmöglichkeit verſetzt werden, ſeine eigene Sicherheit zu wahren und den Anſprüchen ſeiner eigenen Unterthanen auf Schutz ihrer Rechte und Intereſſen zu entſprechen. Wenn alſo z. B. die engliſche und amerikaniſche Geſetzgebung jedem Fremden ohne Unterſchied den Zutritt in das Land geſtattet, ſo daß der Regierung kein Recht zur Abhaltung oder Wiederentfernung zuſteht, ſo iſt dies kein Grund zur Aufſtellung eines gleichlautenden allgemeinen Satzes im Völkerrechte, vielmehr iſt jenes beſondere Verhalten in dreifacher Beziehung ein Fehler. Einmal wird dadurch ein Schutz der eigenen Bürger gegen gefährliche Fremde unmöglich gemacht, ſomit zu Gunſten Solcher, welche zu keinem Anſpruche an den Staat berechtigt ſind, eine Pflicht gegen das eigene Volk und Land nicht erfüllt. Zweitens aber entſagt der Staat ohne Grund und Noth einem Vertheidigungsmittel, deſſen er ſelbſt zur Wahrung ſeiner Rechte leicht ſehr bedürftig ſein könnte. Endlich wird England und Amerika durch dieſe un- bedingte Selbſtverpflichtung zur Aufnahme Fremder in die Unmöglichkeit verſetzt, den von einem geſittigten Staate mit Recht zu verlangenden Bei- trag zu einer Weltrechtsordnung zu leiſten. Die Abneigung der Engländer gegen eine Alienbill beruht auf achtungswerthem Grunde, iſt aber ein Miß= verſtändniß und wird zu weit getrieben. Die von fremden Staaten häufig geführten Beſchwerden ſind zum großen Theile gerechtfertigt, und die in der Hinweiſung auf die Landesgeſetzgebung beſtehende angebliche Entſchuldigung iſt durchaus nichtig. Darin eben beſteht der Vorwurf, daß die Landesgeſetz- gebung mit den Forderungen des Völkerrechtes nicht übereinſtimmt. Vgl. meine Reviſion der völkerrechtlichen Lehre vom Aſyle, in der Tüb. Zeitſchr. für Staatsw., 1853, S. 461 fg.

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/443>, abgerufen am 24.11.2024.