Eine Vermittelung tritt da ein, wo ein dritter bei dem Streite unbetheiligter Staat sich anbietet, die Streitpunkte in einer für beide Theile gleich wohlwollenden Gesinnung mit denselben zu besprechen und einen Ausgleichungsvorschlag zu machen. Da von einem selbstständigen Rechte der Einmischung in fremde Angelegenheiten nicht die Rede ist, so kann das ganze Verfahren nur mit freiwilliger Zustimmung aller Theile vor sich gehen; und wenn der Versöhnungsversuch nicht gelingt, so tritt der Vermittler wieder in seine unbetheiligte Stellung zurück. Eine bewaffnete Vermittelung mit der Folge, daß sich der Vermittler gegen denjenigen der Streitenden, welcher durch seine Hartnäckigkeit die Schuld des Scheidens trägt, mit Waffen- gewalt wendet, ist nach allgemeinen Grundsätzen nur in dem Falle gerechtfertigt, wenn der Vermittler bei Fortdauer des Streites selbst gegen seinen Willen in derselben gezogen werden oder sonst Beeinträchtigungen erleiden würde 1).
Ein noch wirksameres Mittel zur Beilegung völkerrecht- licher Streitigkeiten ist die Wahl eines Schiedsrichters, welcher nach Anhörung beider Theile einen förmlichen Spruch über die Rechtsfrage ertheilt. Das Eintreten eines solchen Urtheiles kann auf doppelte Weise herbeigeführt werden. -- Entweder nämlich haben bestimmte Staaten überhaupt für den Eintritt von Streitigkeiten die Unterwerfung unter einen schiedsrichterlichen Ausspruch verabredet. In diesem Falle ist der Aufruf des Schiedsrichters, die Führung der Sache vor ihm und die Befolgung seines Spruches einfache Vertragspflicht; und höchstens mag darüber Zweifel und Streit entstehen, ob der Streitfall zu einer bestimmten Gattung von Meinungsver- schiedenheiten gehöre, wenn nämlich nicht für alle und jede, sondern nur für bestimmte Arten von Streitigkeiten Unterwerfung unter ein Schiedsgericht verabredet ist. -- Oder aber wird ohne vorgängige allgemeine Verabredung und somit blos für einen
Eine Vermittelung tritt da ein, wo ein dritter bei dem Streite unbetheiligter Staat ſich anbietet, die Streitpunkte in einer für beide Theile gleich wohlwollenden Geſinnung mit denſelben zu beſprechen und einen Ausgleichungsvorſchlag zu machen. Da von einem ſelbſtſtändigen Rechte der Einmiſchung in fremde Angelegenheiten nicht die Rede iſt, ſo kann das ganze Verfahren nur mit freiwilliger Zuſtimmung aller Theile vor ſich gehen; und wenn der Verſöhnungsverſuch nicht gelingt, ſo tritt der Vermittler wieder in ſeine unbetheiligte Stellung zurück. Eine bewaffnete Vermittelung mit der Folge, daß ſich der Vermittler gegen denjenigen der Streitenden, welcher durch ſeine Hartnäckigkeit die Schuld des Scheidens trägt, mit Waffen- gewalt wendet, iſt nach allgemeinen Grundſätzen nur in dem Falle gerechtfertigt, wenn der Vermittler bei Fortdauer des Streites ſelbſt gegen ſeinen Willen in derſelben gezogen werden oder ſonſt Beeinträchtigungen erleiden würde 1).
Ein noch wirkſameres Mittel zur Beilegung völkerrecht- licher Streitigkeiten iſt die Wahl eines Schiedsrichters, welcher nach Anhörung beider Theile einen förmlichen Spruch über die Rechtsfrage ertheilt. Das Eintreten eines ſolchen Urtheiles kann auf doppelte Weiſe herbeigeführt werden. — Entweder nämlich haben beſtimmte Staaten überhaupt für den Eintritt von Streitigkeiten die Unterwerfung unter einen ſchiedsrichterlichen Ausſpruch verabredet. In dieſem Falle iſt der Aufruf des Schiedsrichters, die Führung der Sache vor ihm und die Befolgung ſeines Spruches einfache Vertragspflicht; und höchſtens mag darüber Zweifel und Streit entſtehen, ob der Streitfall zu einer beſtimmten Gattung von Meinungsver- ſchiedenheiten gehöre, wenn nämlich nicht für alle und jede, ſondern nur für beſtimmte Arten von Streitigkeiten Unterwerfung unter ein Schiedsgericht verabredet iſt. — Oder aber wird ohne vorgängige allgemeine Verabredung und ſomit blos für einen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><pbfacs="#f0461"n="447"/><p>Eine <hirendition="#g">Vermittelung</hi> tritt da ein, wo ein dritter bei<lb/>
dem Streite unbetheiligter Staat ſich anbietet, die Streitpunkte<lb/>
in einer für beide Theile gleich wohlwollenden Geſinnung mit<lb/>
denſelben zu beſprechen und einen Ausgleichungsvorſchlag zu<lb/>
machen. Da von einem ſelbſtſtändigen Rechte der Einmiſchung<lb/>
in fremde Angelegenheiten nicht die Rede iſt, ſo kann das ganze<lb/>
Verfahren nur mit freiwilliger Zuſtimmung aller Theile vor<lb/>ſich gehen; und wenn der Verſöhnungsverſuch nicht gelingt, ſo<lb/>
tritt der Vermittler wieder in ſeine unbetheiligte Stellung zurück.<lb/>
Eine <hirendition="#g">bewaffnete</hi> Vermittelung mit der Folge, daß ſich der<lb/>
Vermittler gegen denjenigen der Streitenden, welcher durch ſeine<lb/>
Hartnäckigkeit die Schuld des Scheidens trägt, mit Waffen-<lb/>
gewalt wendet, iſt nach allgemeinen Grundſätzen nur in dem<lb/>
Falle gerechtfertigt, wenn der Vermittler bei Fortdauer des<lb/>
Streites ſelbſt gegen ſeinen Willen in derſelben gezogen werden<lb/>
oder ſonſt Beeinträchtigungen erleiden würde <hirendition="#sup">1</hi>).</p><lb/><p>Ein noch wirkſameres Mittel zur Beilegung völkerrecht-<lb/>
licher Streitigkeiten iſt die Wahl eines <hirendition="#g">Schiedsrichters</hi>,<lb/>
welcher nach Anhörung beider Theile einen förmlichen Spruch<lb/>
über die Rechtsfrage ertheilt. Das Eintreten eines ſolchen<lb/>
Urtheiles kann auf doppelte Weiſe herbeigeführt werden. —<lb/>
Entweder nämlich haben beſtimmte Staaten überhaupt für<lb/>
den Eintritt von Streitigkeiten die Unterwerfung unter einen<lb/>ſchiedsrichterlichen Ausſpruch verabredet. In dieſem Falle iſt<lb/>
der Aufruf des Schiedsrichters, die Führung der Sache vor<lb/>
ihm und die Befolgung ſeines Spruches einfache Vertragspflicht;<lb/>
und höchſtens mag darüber Zweifel und Streit entſtehen, ob<lb/>
der Streitfall zu einer beſtimmten Gattung von Meinungsver-<lb/>ſchiedenheiten gehöre, wenn nämlich nicht für alle und jede,<lb/>ſondern nur für beſtimmte Arten von Streitigkeiten Unterwerfung<lb/>
unter ein Schiedsgericht verabredet iſt. — Oder aber wird ohne<lb/>
vorgängige allgemeine Verabredung und ſomit blos für einen<lb/></p></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[447/0461]
Eine Vermittelung tritt da ein, wo ein dritter bei
dem Streite unbetheiligter Staat ſich anbietet, die Streitpunkte
in einer für beide Theile gleich wohlwollenden Geſinnung mit
denſelben zu beſprechen und einen Ausgleichungsvorſchlag zu
machen. Da von einem ſelbſtſtändigen Rechte der Einmiſchung
in fremde Angelegenheiten nicht die Rede iſt, ſo kann das ganze
Verfahren nur mit freiwilliger Zuſtimmung aller Theile vor
ſich gehen; und wenn der Verſöhnungsverſuch nicht gelingt, ſo
tritt der Vermittler wieder in ſeine unbetheiligte Stellung zurück.
Eine bewaffnete Vermittelung mit der Folge, daß ſich der
Vermittler gegen denjenigen der Streitenden, welcher durch ſeine
Hartnäckigkeit die Schuld des Scheidens trägt, mit Waffen-
gewalt wendet, iſt nach allgemeinen Grundſätzen nur in dem
Falle gerechtfertigt, wenn der Vermittler bei Fortdauer des
Streites ſelbſt gegen ſeinen Willen in derſelben gezogen werden
oder ſonſt Beeinträchtigungen erleiden würde 1).
Ein noch wirkſameres Mittel zur Beilegung völkerrecht-
licher Streitigkeiten iſt die Wahl eines Schiedsrichters,
welcher nach Anhörung beider Theile einen förmlichen Spruch
über die Rechtsfrage ertheilt. Das Eintreten eines ſolchen
Urtheiles kann auf doppelte Weiſe herbeigeführt werden. —
Entweder nämlich haben beſtimmte Staaten überhaupt für
den Eintritt von Streitigkeiten die Unterwerfung unter einen
ſchiedsrichterlichen Ausſpruch verabredet. In dieſem Falle iſt
der Aufruf des Schiedsrichters, die Führung der Sache vor
ihm und die Befolgung ſeines Spruches einfache Vertragspflicht;
und höchſtens mag darüber Zweifel und Streit entſtehen, ob
der Streitfall zu einer beſtimmten Gattung von Meinungsver-
ſchiedenheiten gehöre, wenn nämlich nicht für alle und jede,
ſondern nur für beſtimmte Arten von Streitigkeiten Unterwerfung
unter ein Schiedsgericht verabredet iſt. — Oder aber wird ohne
vorgängige allgemeine Verabredung und ſomit blos für einen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/461>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.