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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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ebenso bestimmt aufrecht. In dem jüngsten Kriege der West-
mächte mit Rußland dagegen haben auch sie die Freiheit, zunächst
für diesen Krieg später als Grundsatz, anerkannt.

Ein letzter Streitpunkt ist endlich noch der, ob Handels-
schiffe, welche unter dem Schutze eines Kriegsschiffes ihres
Staates, unter Convoi, segeln, von den Kriegsschiffen der
kriegführenden Mächte angehalten und in Beziehung auf den
Inhalt ihrer Ladungen untersucht werden dürfen, oder ob das
Wort des convoiirenden Befehlshabers als genügender Beweis
eines rechtlich erlaubten Inhaltes angenommen werden müsse?
Diese Frage, welche zu blutigem Zusammenstoße mit Neutralen
geführt hat, verliert freilich ihren Werth großentheils, wenn
der Grundsatz, daß frei Schiff frei Gut mache, bestehen
bleibt.

Die Verletzung der Grundsätze hinsichtlich des den Neutralen
zustehenden Handelsrechtes wird von Seiten der dadurch benach-
theiligten kriegführenden Macht mit Confiscation von Schiff
und Ladung bestraft, wenn der Fehlende auf der That ertappt
wird. Doch kann diese Strafe nur in Folge des Urtheiles
eines Admiralitätsgerichtes eintreten, dessen Verfahren, wenigstens
im Wesentlichen, eine gleichtautende europäische Gewohnheit
feststellt 5).

1) Wenn das Recht und die Pflicht der Neutralen gegenüber von den
kriegführenden Mächten auch wohl dahin formulirt wird, daß der Neutrale
beiden kriegführenden Theilen gleiche Begünstigungen einräumen müsse: so
ist dies insoferne nicht richtig, als der Neutrale grundsätzlich gar keine Be-
günstigung des Krieges vornehmen soll, thatsächlich aber überdies eine voll-
kommen gleiche Begünstigung beider Parteien, theils der geographischen Lage
derselben, theils der Verschiedenheit ihrer Bedürfnisse wegen, kaum je möglich
ist. Ein Neutraler wird sich daher sehr leicht Unannehmlichkeiten aussetzen,
wenn er der einen Macht, welche dessen bedarf, Kriegsbegünstigungen that-
sächlich angedeihen läßt, der andern aber, welche der Lage der Sache nach
keinen Gebrauch davon machen kann, nur mit Worten dieselbe Unterstützung
anbietet.
v. Mohl, Encyclopädie. 32

ebenſo beſtimmt aufrecht. In dem jüngſten Kriege der Weſt-
mächte mit Rußland dagegen haben auch ſie die Freiheit, zunächſt
für dieſen Krieg ſpäter als Grundſatz, anerkannt.

Ein letzter Streitpunkt iſt endlich noch der, ob Handels-
ſchiffe, welche unter dem Schutze eines Kriegsſchiffes ihres
Staates, unter Convoi, ſegeln, von den Kriegsſchiffen der
kriegführenden Mächte angehalten und in Beziehung auf den
Inhalt ihrer Ladungen unterſucht werden dürfen, oder ob das
Wort des convoiirenden Befehlshabers als genügender Beweis
eines rechtlich erlaubten Inhaltes angenommen werden müſſe?
Dieſe Frage, welche zu blutigem Zuſammenſtoße mit Neutralen
geführt hat, verliert freilich ihren Werth großentheils, wenn
der Grundſatz, daß frei Schiff frei Gut mache, beſtehen
bleibt.

Die Verletzung der Grundſätze hinſichtlich des den Neutralen
zuſtehenden Handelsrechtes wird von Seiten der dadurch benach-
theiligten kriegführenden Macht mit Confiscation von Schiff
und Ladung beſtraft, wenn der Fehlende auf der That ertappt
wird. Doch kann dieſe Strafe nur in Folge des Urtheiles
eines Admiralitätsgerichtes eintreten, deſſen Verfahren, wenigſtens
im Weſentlichen, eine gleichtautende europäiſche Gewohnheit
feſtſtellt 5).

1) Wenn das Recht und die Pflicht der Neutralen gegenüber von den
kriegführenden Mächten auch wohl dahin formulirt wird, daß der Neutrale
beiden kriegführenden Theilen gleiche Begünſtigungen einräumen müſſe: ſo
iſt dies inſoferne nicht richtig, als der Neutrale grundſätzlich gar keine Be-
günſtigung des Krieges vornehmen ſoll, thatſächlich aber überdies eine voll-
kommen gleiche Begünſtigung beider Parteien, theils der geographiſchen Lage
derſelben, theils der Verſchiedenheit ihrer Bedürfniſſe wegen, kaum je möglich
iſt. Ein Neutraler wird ſich daher ſehr leicht Unannehmlichkeiten ausſetzen,
wenn er der einen Macht, welche deſſen bedarf, Kriegsbegünſtigungen that-
ſächlich angedeihen läßt, der andern aber, welche der Lage der Sache nach
keinen Gebrauch davon machen kann, nur mit Worten dieſelbe Unterſtützung
anbietet.
v. Mohl, Encyclopädie. 32
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[497/0511] ebenſo beſtimmt aufrecht. In dem jüngſten Kriege der Weſt- mächte mit Rußland dagegen haben auch ſie die Freiheit, zunächſt für dieſen Krieg ſpäter als Grundſatz, anerkannt. Ein letzter Streitpunkt iſt endlich noch der, ob Handels- ſchiffe, welche unter dem Schutze eines Kriegsſchiffes ihres Staates, unter Convoi, ſegeln, von den Kriegsſchiffen der kriegführenden Mächte angehalten und in Beziehung auf den Inhalt ihrer Ladungen unterſucht werden dürfen, oder ob das Wort des convoiirenden Befehlshabers als genügender Beweis eines rechtlich erlaubten Inhaltes angenommen werden müſſe? Dieſe Frage, welche zu blutigem Zuſammenſtoße mit Neutralen geführt hat, verliert freilich ihren Werth großentheils, wenn der Grundſatz, daß frei Schiff frei Gut mache, beſtehen bleibt. Die Verletzung der Grundſätze hinſichtlich des den Neutralen zuſtehenden Handelsrechtes wird von Seiten der dadurch benach- theiligten kriegführenden Macht mit Confiscation von Schiff und Ladung beſtraft, wenn der Fehlende auf der That ertappt wird. Doch kann dieſe Strafe nur in Folge des Urtheiles eines Admiralitätsgerichtes eintreten, deſſen Verfahren, wenigſtens im Weſentlichen, eine gleichtautende europäiſche Gewohnheit feſtſtellt 5). ¹⁾ Wenn das Recht und die Pflicht der Neutralen gegenüber von den kriegführenden Mächten auch wohl dahin formulirt wird, daß der Neutrale beiden kriegführenden Theilen gleiche Begünſtigungen einräumen müſſe: ſo iſt dies inſoferne nicht richtig, als der Neutrale grundſätzlich gar keine Be- günſtigung des Krieges vornehmen ſoll, thatſächlich aber überdies eine voll- kommen gleiche Begünſtigung beider Parteien, theils der geographiſchen Lage derſelben, theils der Verſchiedenheit ihrer Bedürfniſſe wegen, kaum je möglich iſt. Ein Neutraler wird ſich daher ſehr leicht Unannehmlichkeiten ausſetzen, wenn er der einen Macht, welche deſſen bedarf, Kriegsbegünſtigungen that- ſächlich angedeihen läßt, der andern aber, welche der Lage der Sache nach keinen Gebrauch davon machen kann, nur mit Worten dieſelbe Unterſtützung anbietet. v. Mohl, Encyclopädie. 32

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/511>, abgerufen am 24.11.2024.