5. Gewissenhaftigkeit in der Verschaffung von eigenen Vortheilen. Nicht blos wo ein Gewinn mittelst einer rechtlich verbotenen Handlung erworben werden kann, sondern auch wo die Erlangung dem Staate oder den Bürgern nachtheilig wäre, ist die Nachsuchung und Annahme sittlich unerlaubt.
6. Fortbildung in der intellectuellen Befähigung zum Amte. Ein Stehenbleiben auf dem Standpunkte des jungen Mannes, welcher dem Staate seine Tauglichkeit zum Eintritte in den öffentlichen Dienst nachzuweisen hat, kann für das ganze Leben um so weniger genügen, als theils Vieles von dem Erlernten unvermeidlich wieder vergessen wird, theils die für einen höheren und wichtigen Wirkungskreis erforderlichen Kenntnisse und Gedanken andere sind, als welche von dem Anfänger verlangt werden. Ein Beamter thut seine Schuldig- keit nicht, wenn er aus Trägheit in Ansichten und Planen um ein Menschenalter zurück ist 1).
II. Der Volksvertreter.
Man ist um so mehr befugt, entschiedene sittliche Ansprüche an Diejenigen zu stellen, welche die Vertretung der Volksrechte gegenüber der Regierung übernommen haben, weil diese Auf- gabe, wenigstens bei der großen Mehrzahl, nämlich allen Ge- wählten, eine selbstgegebene ist, und Jeder, welcher sie über- nimmt, die große Verantwortlichkeit derselben wohl kennt. Die besonderen Forderungen aber sind:
1. Furchtlosigkeit nach Oben und Unten. Das Letztere ist keineswegs das Leichtere von Beiden, indem ein gewissenhaftes Aussprechen der Wahrheit leicht die Beliebtheit beim Volke kosten kann, was mannchfache Unannehmlichkeiten und besonders ein Verlust der Stelle bei einer neuen Wahl zur Folge hat. Allein der Volksvertreter ist nicht zur blinden
5. Gewiſſenhaftigkeit in der Verſchaffung von eigenen Vortheilen. Nicht blos wo ein Gewinn mittelſt einer rechtlich verbotenen Handlung erworben werden kann, ſondern auch wo die Erlangung dem Staate oder den Bürgern nachtheilig wäre, iſt die Nachſuchung und Annahme ſittlich unerlaubt.
6. Fortbildung in der intellectuellen Befähigung zum Amte. Ein Stehenbleiben auf dem Standpunkte des jungen Mannes, welcher dem Staate ſeine Tauglichkeit zum Eintritte in den öffentlichen Dienſt nachzuweiſen hat, kann für das ganze Leben um ſo weniger genügen, als theils Vieles von dem Erlernten unvermeidlich wieder vergeſſen wird, theils die für einen höheren und wichtigen Wirkungskreis erforderlichen Kenntniſſe und Gedanken andere ſind, als welche von dem Anfänger verlangt werden. Ein Beamter thut ſeine Schuldig- keit nicht, wenn er aus Trägheit in Anſichten und Planen um ein Menſchenalter zurück iſt 1).
II. Der Volksvertreter.
Man iſt um ſo mehr befugt, entſchiedene ſittliche Anſprüche an Diejenigen zu ſtellen, welche die Vertretung der Volksrechte gegenüber der Regierung übernommen haben, weil dieſe Auf- gabe, wenigſtens bei der großen Mehrzahl, nämlich allen Ge- wählten, eine ſelbſtgegebene iſt, und Jeder, welcher ſie über- nimmt, die große Verantwortlichkeit derſelben wohl kennt. Die beſonderen Forderungen aber ſind:
1. Furchtloſigkeit nach Oben und Unten. Das Letztere iſt keineswegs das Leichtere von Beiden, indem ein gewiſſenhaftes Ausſprechen der Wahrheit leicht die Beliebtheit beim Volke koſten kann, was mannchfache Unannehmlichkeiten und beſonders ein Verluſt der Stelle bei einer neuen Wahl zur Folge hat. Allein der Volksvertreter iſt nicht zur blinden
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5. Gewiſſenhaftigkeit in der Verſchaffung
von eigenen Vortheilen. Nicht blos wo ein Gewinn
mittelſt einer rechtlich verbotenen Handlung erworben werden
kann, ſondern auch wo die Erlangung dem Staate oder den
Bürgern nachtheilig wäre, iſt die Nachſuchung und Annahme
ſittlich unerlaubt.
6. Fortbildung in der intellectuellen Befähigung zum
Amte. Ein Stehenbleiben auf dem Standpunkte des jungen
Mannes, welcher dem Staate ſeine Tauglichkeit zum Eintritte
in den öffentlichen Dienſt nachzuweiſen hat, kann für das
ganze Leben um ſo weniger genügen, als theils Vieles von
dem Erlernten unvermeidlich wieder vergeſſen wird, theils die
für einen höheren und wichtigen Wirkungskreis erforderlichen
Kenntniſſe und Gedanken andere ſind, als welche von dem
Anfänger verlangt werden. Ein Beamter thut ſeine Schuldig-
keit nicht, wenn er aus Trägheit in Anſichten und Planen um
ein Menſchenalter zurück iſt 1).
II. Der Volksvertreter.
Man iſt um ſo mehr befugt, entſchiedene ſittliche Anſprüche
an Diejenigen zu ſtellen, welche die Vertretung der Volksrechte
gegenüber der Regierung übernommen haben, weil dieſe Auf-
gabe, wenigſtens bei der großen Mehrzahl, nämlich allen Ge-
wählten, eine ſelbſtgegebene iſt, und Jeder, welcher ſie über-
nimmt, die große Verantwortlichkeit derſelben wohl kennt. Die
beſonderen Forderungen aber ſind:
1. Furchtloſigkeit nach Oben und Unten. Das
Letztere iſt keineswegs das Leichtere von Beiden, indem ein
gewiſſenhaftes Ausſprechen der Wahrheit leicht die Beliebtheit
beim Volke koſten kann, was mannchfache Unannehmlichkeiten
und beſonders ein Verluſt der Stelle bei einer neuen Wahl
zur Folge hat. Allein der Volksvertreter iſt nicht zur blinden
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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/546>, abgerufen am 24.11.2024.
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